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Haftentlassung trotz Terrordrohung
Im Fall der Messerangriffe von Brokstedt steht Hamburgs Justizsenatorin Anna Gallina unter Druck
Die Messerstiche im Regionalzug bei Brokstedt in Schleswig-Holstein vom 25. Januar, denen zwei junge Menschen zum Opfer fielen, führen zu heftigen politischen Debatten. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) will künftig bei ähnlichen Fällen den länderübergreifenden Informationsfluss verbessern. In Hamburg steht wegen entsprechender Versäumnisse die Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) unter Druck. Die Opposition in der Bürgerschaft forderte personelle Konsequenzen.
Gallina hatte die politischen Gremien nicht davon in Kenntnis gesetzt, dass vom mutmaßlichen Täter des Messerangriffs, Ibrahim A., möglicherweise extremistische Äußerungen vorlagen. Wenige Monate vor seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft der Hamburger Vollzugsanstalt Billwerder hatte der 33-jährige staatenlose Palästinenser im August 2022 laut einem Bediensteten Sympathien für den Berliner Breitscheidplatz-Attentäter von 2016 geäußert. Einer Aktennotiz in der JVA zufolge soll Ibrahim A. gesagt haben: »Es gibt nicht nur einen Anis Amri, es gibt mehrere – ich bin auch einer.« Dieser Hinweis wurde von der JVA erst nach der Bluttat vom 25. Januar weitergeleitet und vergangenen Sonntag bekannt.
In der Unterrichtung der Bürgerschaft und des Justizausschusses durch Gallina in der Vorwoche fiel dazu jedoch kein Wort. Cansu Özdemir, justizpolitische Fachsprecherin der Linksfraktion, spricht von vorenthaltenen Informationen. »Eine Sondersitzung des Justizausschusses ist unumgänglich«, sagte Özdemir. Sie lastet die Fehler und Versäumnisse in diesem Fall Gallina als Verantwortliche persönlich an und fordert ihren Rücktritt.
CDU-Fraktionschef Dennis Thering wurde ebenfalls deutlich: »Sollte es sich bewahrheiten, dass Ibrahim A. in der Haft mit Attentaten drohen konnte und trotzdem ohne Konsequenzen am 19. Januar auf freien Fuß gesetzt wurde, ist die Justizsenatorin in ihrem Amt nicht mehr zu halten.«
Gallina begründete das bisherige Zurückhalten über die brisante Amri-Bemerkung mit ermittlungstaktischen Erwägungen, um Zeugenaussagen zum Messerangriff im Regionalzug losgelöst von möglichen Motiven des Angreifers unvoreingenommen einzuholen.
Auch für die SPD, den Hamburger Koalitionspartner der Grünen, ist die Forderung nach einer Sondersitzung des Justizausschusses nachvollziehbar. In dieser müsse dann laut Justizexperten Urs Tabbert über das Meldewesen in Vollzugsanstalten sowie über eine Unterrichtung des Verfassungsschutzes in vergleichbaren Fällen geredet werden.
Über Kommunikationspannen und nicht funktionierende Meldeketten zwischen Behörden beim konkreten Fall von Ibrahim A. will sich am Mittwoch auch der Innen- und Rechtsausschuss des Kieler Landtages in einer Sondersitzung austauschen. Dazu hätte man gerne die Hamburger Justizsenatorin Gallina angehört, doch die sagte bereits ab und will zuerst in Hamburg Rede und Antwort stehen. Bereits in der vergangenen Woche hatte Schleswig-Holsteins Integrationsministerin Aminata Toure ihre grüne Parteikollegin scharf kritisiert.
Bei Asylbegehren sollte das Bundesamt für Migration (Bamf) eigentlich stets in den Informationsfluss integriert sein, um gegebenenfalls über einen abzuändernden Aufenthaltsstatus entscheiden zu können. Nach der Brokstedter Messerattacke stellte sich heraus, dass Nordrhein-Westfalen dem Bamf keine Mitteilung über von Ibrahim A. begangene Straftaten gemacht hatte. Auch über den zuletzt einjährigen Untersuchungshaft-Aufenthalt in Hamburg will das Bamf keine Meldung bekommen haben. Offiziell zuständig für A. war unterdessen weiterhin die Ausländerbehörde in Kiel, die ihn jedoch auch aus den Augen verloren hatte.
Diesem Wirrwarr will Bundesjustizminister Marco Buschmann künftig mit einer neuen Verwaltungsvorschrift begegnen. Sollten Asylbewerber in Untersuchungshaft kommen, müssten die Ausländerbehörden konkret über die Inhaftierung und eine etwaige Haftentlassung informiert werden. Das sagte der FDP-Minister gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Buschmann appellierte an die Länder, den Informationsaustausch zwischen den Strafverfolgungs- und den Ausländerbehörden zu optimieren. Abschiebungen dürften nicht an fehlenden Informationen scheitern.
Die Nord-FDP will vor allem, dass der Widerspruch aufgeklärt wird, dass vor der Haftentlassung von Ibrahim A. ein JVA-Psychologe diesem keine Gefährlichkeit attestierte, während JVA-Bedienstete Gegenteiliges feststellten.
Eine kurze Zündschnur und ein radikales Rechtsverständnis bei dem sensiblen Thema bewies der Bundeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt. Gegenüber der »Bild«-Zeitung wünschte er sich spezielle Abschiebegefängnisse für gefährliche Asylbewerber. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt schloss sich dieser Forderung an.
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