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Selbsthilfe der Abgeschotteten

Philippinische Migrant*innen in Griechenland leben oft prekär. Doch viele kämpfen für Verbesserungen

  • Carolin Philipp, Athen
  • Lesedauer: 8 Min.
Viele philippinische Migrant*innen sind in der Gewerkschaft Kasapi organisiert. Die Community hat sich beim letztjährigen Antirassismus-Tag in Athen eingebracht, bei dem Menschen aus unterschiedlichen Ländern gemeinsam gekocht haben.
Viele philippinische Migrant*innen sind in der Gewerkschaft Kasapi organisiert. Die Community hat sich beim letztjährigen Antirassismus-Tag in Athen eingebracht, bei dem Menschen aus unterschiedlichen Ländern gemeinsam gekocht haben.

Catalina de Torres kam nach Europa, um ein besseres Leben zu haben. Auch wenn sie dafür viel aufgeben musste. »Meine Kinder waren fünf und neun Jahre alt, als ich die Philippinen verließ. Ich arbeitete hier als Hausangestellte und lebte bei den Arbeitgebern. Viele, viele Jahre und ohne Sozialversicherung. Eine Rente bekomme ich nicht.« Jetzt ist sie Mitte 60 und hat eigentlich das Ende ihres Arbeitslebens erreicht. Sie sitzt im Gemeinschaftsraum des migrantischen Frauenkollektivs Melissa im Zentrum Athens und blickt zusammen mit vier anderen Frauen der Kasapi-Gewerkschaft auf ihr Schicksal. »Viele von uns lassen Familie, Ehemänner und Kinder in den Philippinen zurück, um hier in Europa auf die Kinder der Arbeitgeber aufzupassen«, erzählt sie.

Auch Laura Cuartero Yujuico wohnte in dem Haushalt, in dem sie angestellt war. »Als Hausangestellte bist du in einer sehr prekären Situation. Abgeschottet von der Außenwelt. Wenn der Arbeitgeber um 23 Uhr abends noch ein Glas Wasser will, dann musst du es ihm bringen.« Seit 1987 lebt sie bereits in Griechenland. »2015 hatte ich einen Unfall und konnte ein Jahr lang nicht arbeiten.« Weil auch sie ohne Sozialversicherung beschäftigt war, hatte sie während dieser Zeit auf staatliche Leistungen keinen Anspruch.

Die meisten der 12 800 philippinischen Arbeiter*innen in Griechenland sind weiblich und arbeiten als Hausangestellte. Debbie Valencia kam schon 1985 und gründete im Jahr darauf die Gewerkschaft Kasapi mit. Ursprünglich, um ein Solidaritätsnetzwerk für den Widerstand gegen Diktator Marcos aufzubauen, der in den Philippinen bis 1986 herrschte. Doch sie blieb im Exil, ihr Mann und ihr Sohn kamen nach.

»Für uns war eine Organisierung der philippinischen Arbeiter*innen wichtig«, erzählt sie am Telefon. »Als wir 1988 eine Konferenz an der Panteion Universität organisierten, war dies das erste Mal, dass die Anliegen migrantischer Arbeiter*innen öffentlich diskutiert wurden.« Auch die Presse habe damals erstmals über ihre Anliegen berichtet. »Wir haben viel Unterstützung bekommen. Ich kann mich daran erinnern, dass wir 1988 ein Büro im Gewerkschaftszentrum einrichteten. Der damalige Generalsekretär Nikos Gavras sagte zu uns: ›Dieses Büro werdet ihr für immer haben. Niemand wird euch jemals rausschmeißen.‹ Wir hatten einige Erfolgserlebnisse.«

Trotzdem gibt es auch 40 Jahre nach der Gründung von Kasapi noch viele Probleme. »Schlechte Arbeitsbedingungen wie extrem lange Arbeitstage, sehr niedrige Löhne, nur teilweise oder gar keine Sozial- und Rentenversicherung oder Arbeitsunfälle«, zählt Debbie Valencia sie auf. »Griechenland hat wenige Fortschritte gemacht, wenn es um die Rechte von migrantischen Arbeiter*innen geht. Ich bin mir nicht sicher, ob die griechische Regierung überhaupt weiß, dass eine ILO-Konvention für Hausangestellte existiert.«

Die Konvention 189 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO zu Hausangestellten stammt von 2011. Sie soll die Rechte von den Arbeiter*innen stärken. Denn nach Einschätzung der ILO verdienen sie weltweit weniger als die Hälfte des Durchschnittslohns jenes Landes, in dem sie arbeiten, oft nicht einmal ein Fünftel. Zudem haben 90 Prozent der Hausangestellten keine Sozialversicherungen. Das heißt auch: kein Arbeitslosengeld und keine Rente.

Hinzu kommt noch, dass viele migrantische Hausangestellte in Griechenland kein sicheres Bleiberecht haben. Meistens sind die Aufenthaltsgenehmigungen nämlich an eine reguläre Anstellung und einen Arbeitgeber gebunden, der Sozialversicherungsbeiträge für die tatsächliche Arbeitszeit entrichtet. Wenn das Arbeitsverhältnis endet, verlieren die Menschen oft auch die Aufenthaltsgenehmigung. Zudem gibt es Gesetzesverschärfungen. »Ich hatte einmal eine unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung« erzählt Autora Roy. »Griechenland ist ja mein zweites Zuhause. Das Klima ähnelt dem der Philippinen. Aber dann wurde meine Genehmigung reduziert auf zehn Jahre.« Unbegrenzte Aufenthaltstitel gibt es nicht mehr. Sie fragt sich, warum es die griechische Regierung den Leuten nicht einfacher machen kann, »die legal einreisen, arbeiten und ihre Steuer zahlen«. Sie fühlt sich schikaniert.

Das unbegrenzte Bleiberecht für Migrant*innen wurde 2014 von der damaligen rechtskonservativen Regierung unter Premier Andonis Samaras abgeschafft. Ein solches Bleiberecht kann man nur erhalten, wenn man mehr als 250 000 Euro in Griechenland investiert. Das ist utopisch für migrantische Arbeiter*innen. Damit bleibt ihnen nur die Einbürgerung, um eine unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Diese wurde 2015 unter der Syriza-Regierung von Alexis Tsipras zwar vereinfacht, bleibt aber für viele Betroffene trotzdem unerreichbar.

Es sei schon immer schwer, ein Bleiberecht zu bekommen, meint Laura Cuartero Yujuico. »Deshalb initiierten wir Mitte der 1990er Jahre eine Legalisierungskampagne mit Kasapi.« Sie war schon damals Mitglied der Gewerkschaft und erinnert sich an die vielen Unterschriften, die sie sammelten: »Überall. Von Unterstützern in Netzwerken, auf der Straße. Es war Winter und wir waren oft bis spät in die Nacht unterwegs. Ich war erkältet, hatte Fieber, aber ich habe trotzdem weiter gesammelt. Es war enorm wichtig für uns.« Ungefährlich war das aber nicht. »Damals war die Neonazi-Bewegung Chrysi Avgi zwar noch nicht so aktiv, aber es gab andere Rechtsradikale, die schwarz bekleidet am Straßenrand standen.« Letztlich war die Kampagne erfolgreich. Ende der 1990er Jahre wurde zumindest die Möglichkeit eingerichtet, eine befristete Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen.

Das bedeutete auch, dass Familienmitglieder nachkommen durften, wovon Cataline de Torres profitierte. Sie holte ihre Töchter nach Griechenland. »Viele Jahre passte ich auf die Kinder anderer Leute auf, während meine eigenen kleinen Kinder auf den Philippinen waren.« Inzwischen sind sie erwachsen. Eine Tochter von ihr lebt in Kanada, eine in Athen. »Jetzt passe ich auf meine eigenen Enkelkinder auf«, was sie versöhnlich stimmt.

Die philippinische Community in Athen hat sich einige notwendige Strukturen selbst schaffen können. Um etwa Menschen zu unterstützen, damit sie die Doppelbelastung von harter Arbeit und notwendiger Kinderbetreuung bestehen, sei in den 1990er Jahren der Kindergarten Munting Nayon aufgebaut worden, erklärt Laura Cuartero Yujuico. »Erst in einer Privatwohnung, jetzt in einem richtigen, für Kinder umgebauten Gebäude. Wir haben mit 17 Kindern angefangen, jetzt sind es über 100. Und nicht nur aus der philippinischen Community. Sie kommen aus der ganzen Welt.« Natürlich seien sie anfangs nicht für ihre Arbeit bezahlt worden, erinnert sie sich. »Wenn du etwas aufbauen willst, musst du erst mal Opfer bringen. Natürlich mussten wir nebenher andere Jobs machen.«

Auch im Frauennetzwerk Melissa, das Deborah Valencia mitgegründet hat, sind viele philippinische Frauen organisiert. Aurora Tabangin arbeitet dort, Catalina de Torres war drei Jahre für Melissa in einem Projekt mit geflüchteten Kindern aktiv und Lucrecia Salcedo arbeitet in einem Projekt für minderjährige geflüchtete Frauen, das von dem Frauennetzwerk aufgebaut wurde.

Um auf die weiterhin bestehenden Probleme ihrer Community aufmerksam zu machen, haben die organisierten Frauen zu einer Studie über Arbeits- und Lebensbedingungen von philippinischen Arbeiter*innen in Griechenland angeregt. Aurora Tabangin war Teil des Forschungsteams. Zusammen mit Wissenschaftler*innen des Forschungskollektivs Recollective und der Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung hat sie als Vertreterin der Kasapi-Gewerkschaft die Untersuchung durchgeführt: Mehr als 100 Fragebögen sind in die Untersuchung eingeflossen, und acht Tiefeninterviews konnten mit Arbeiter*innen durchgeführt werden.

»Es gibt noch immer viele Probleme für philippinische Arbeiter*innen«, weiß Aurora Tabangin. »Besonders dann, wenn sie nach ihrem Arbeitsleben zurück auf die Philippinen wollen. Zurzeit kann ich auf den Philippinen meine griechische Rente nicht beziehen.« Das ist problematisch, da die Renten von philippinischen Arbeiter*innen meistens zu niedrig sind, um in Griechenland davon leben zu können. Oft betragen sie nur 200 bis 300 Euro. Aber auf den Philippinen wäre es ein gutes Auskommen. Allerdings kann man das Geld nicht auf ein philippinisches Konto überwiesen bekommen, da es kein bilaterales Abkommen zwischen den beiden Ländern gibt. »Für ein griechisches Konto braucht man eine Aufenthaltsgenehmigung«, erläutert sie. »Die läuft aber ab, wenn man sich länger im Ausland aufhält.« Mehrmals im Jahr nach Griechenland reisen, sei auch keine Option. »Das kann man nicht mit einer kleinen Rente machen«, meint sie.

Die Idee für die Studie kam von Joe Valencia, der viele Jahre Vorsitzender der Kasapi-Gewerkschaft war. Zweieinhalb Jahre dauerte es, bis sie umgesetzt werden konnte. Die Anbindung der Gewerkschaft an die Community half dabei, dass viele der umfangreichen Fragebögen ausgefüllt wurden. Die Ergebnisse der Befragung spiegeln die prekäre Lage: Über 65 Prozent der 110 Teilnehmer*innen haben keinen Arbeitsvertrag, mehr als 35 Prozent der Befragten arbeiten mehr als 40 Stunden in der Woche (8 Prozent sogar zwischen 14 und 15 Stunden am Tag). Und nur knapp 3 Prozent haben die griechische Staatsbürgerschaft, auch wenn sie bereits seit Jahrzehnten in Griechenland leben. Altersbezüge erhalten lediglich 22 Prozent in Griechenland oder werden bei Renteneintritt voraussichtlich welche bekommen.

»Die Ergebnisse der Befragung wollen wir nutzen, um die griechische und die philippinische Regierung dazu zu bringen, ein bilaterales Sozialversicherungsabkommen zu schließen«, sagt Aurora Tabangin. Missstände sollen damit unterbunden werden. Immerhin gab es ein erstes Treffen im philippinischen Arbeitsministerium, bei dem die Gewerkschaft Kasapi für ein solches Abkommen geworben hat.

Link zur Studie: https://www.dasnd.de/studie

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