Vogelgrippe: Übertragung unter Säugetieren

Ein Überspringen der Influenza A H5N1 auf den Menschen ist ein Stück näher gerückt – auch wegen der Massentierhaltung

  • Matthias Becker
  • Lesedauer: 5 Min.

Natürlich könnte so eine Pandemie ausgelöst werden!» Mit diesen Worten kommentierte Tom Peacock vom Londoner Imperial College gegenüber dem Fachjournal «Science» den Ausbruch der Vogelgrippe auf einer spanischen Pelztierfarm. Peacock ist Virologe und erforscht Influenza A-Viren. Viele seiner Fachkollegen äußerten sich ähnlich, sprachen beispielsweise von einem «klaren Warnsignal» oder einer «extrem besorgniserregenden Entwicklung». Aber niemand wurde derart deutlich wie er: «Dass so etwas heutzutage noch möglich ist, raubt mir den Verstand! Vielleicht ist es an der Zeit, die Pelztierzucht abzuschaffen.»

Was war geschehen? Anfang Oktober starben ungewöhnlich viele Nerze (Neovison vison) in einer großen Zuchtanlage im äußersten Nordwesten Spaniens. Die spanischen Veterinärbehörden stellten fest, dass eine neue, bislang unbekannte Variante der Vogelgrippe (hochpathogene aviäre Influenza A) verantwortlich war. Um den Ausbruch einzudämmen, wurden im November alle Nerze in der Anlage getötet und ihre Überreste beseitigt. Tests der insgesamt zwölf Beschäftigten auf der Nerzfarm blieben negativ. Diese Handvoll Mitarbeiter waren laut Aussage der Behörden für die erstaunliche Anzahl von insgesamt 51 986 Nerzen verantwortlich.

Die Vorfahren der heutigen Vogelgrippeviren zirkulierten in Wildvögeln. Die heute vorherrschende Variante der aviären Influenza entstand Ende der 1990er Jahre in der chinesischen Geflügelindustrie, als das Virus von Wildenten zu Mastenten wanderte. Seitdem entwickelten sich verschiedene Subtypen, die teils für die Tiere äußerst schädlich waren, teils kaum Krankheitssymptome verursachten. Die Vogelgrippe verbreitete sich in den folgenden Jahren weltweit, aber Epidemien ereigneten sich nur in den Wintermonaten und blieben auf einzelne Brutplätze oder Geflügelzuchtbetriebe beschränkt. Die jüngste Variante dagegen verursacht seit dem Jahr 2021 ein beispielloses Massensterben. Schätzungen sprechen von über 200 Millionen verendeten Wildvögeln seit Anfang des Jahres 2021. In der Geflügelzucht in den USA wurden allein im Januar 2023 knapp 58 Millionen Tiere gekeult.

Virus ist weltweit verbreitet

«Die Vogelgrippe hat eine neue Qualität bekommen», betont die Biologin Elke Reinking vom Friedrich-Löffler-Institut. «Sie ist endemisch geworden.» Das Virus habe die bisherigen regionalen und saisonalen Beschränkungen überwunden. Die neue Variante vom Typ H5N1 scheint infektiöser als frühere zu sein und befällt auch Gattungen, die bisher verschont geblieben waren, wie beispielsweise Schleiereulen oder Turmfalken. Zum ersten Mal grassiert die Infektion weltweit. Das Virus wanderte von Asien und Europa über Island nach Nordamerika und von dort aus weiter nach Südamerika.

Eine Tierseuche mit solchen verheerenden Ausmaßen ist neu. Weil gleichzeitig der Klimawandel die Lebensräume und das Nahrungsangebot für die Wildvögel schrumpfen lässt, befürchten Biologen, dass manche Vogelpopulationen sich niemals wieder erholen werden und bereits bedrohte Arten aussterben könnten. Allerdings gibt es mittlerweile Hinweise darauf, dass sich bei einigen Wildvögeln eine Immunität gegen den Erreger bildet.

Bei Menschen verlaufen Vogelgrippeinfektionen oft schwer, in vielen Fällen auch tödlich. Das Virus löst eine Lungenentzündung mit starken Blutungen aus, schädigt aber auch andere Organe, führt beispielsweise unter Umständen zu Hirnentzündungen. Allerdings sind diese Fälle selten – seit 2021 erkrankten nur sieben Menschen weltweit – und die Infizierten stecken keine weiteren Personen an. Für die aviäre Influenza sind Menschen sogenannte Fehlwirte, das heißt, nur eine Sackgasse in der Infektionskette.

Anpassung an Säugetiere

Der Ausbruch unter Nerzen in Spanien verdeutlicht nun, dass das Überspringen des Erregers hin zum Menschen theoretisch möglich ist. Viren sind an die Lebensweise und das Körpergewebe bestimmter Wirte angepasst. So vermehrt sich die aviäre Influenza vor allem in den Verdauungsorganen der Vögel. Dort herrschen andere Temperaturen und ein anderes biochemisches Milieu als in den Atemwegen von Menschen und anderen Säugetieren. Die Zellen der Darmwand der Vögel unterscheiden sich außerdem durch die Struktur der Sialinsäuren, an die die Influenza-Virusstränge anhaften.

Bei der Analyse des Genoms der Influenza-Variante, die in der spanischen Pelztieranlage grassierte, fanden die Forschenden eine Mutation, die eine Übertragung von Säugetier zu Säugetier erleichtert. Der Verlauf des Ausbruchs spricht ebenfalls dafür. Die spanischen Veterinäre vermuten, dass ein Nerz einen infizierten Wildvogel gefressen hat, der auf das Gelände gefallen war. Danach sei das Virus auf der Farm übertragen worden, ohne dass Vögel eine Rolle spielten.

Damit schrumpft der Sicherheitsabstand erheblich. Im Gegensatz zu Vögeln haben Nerz und Mensch physiologisch viel gemeinsam. Die Körpertemperatur, die Proportionen der Atemwege und die Krankheitssymptome ähneln sich. Aus diesem Grund sind Frettchen, als Marderart eng mit den Nerzen verwandt, beispielsweise das Versuchstier der Wahl in der Influenza-Forschung. Dass eine gegenseitige Ansteckung von Nerz und Mensch mit respiratorischen Viren möglich ist, zeigte sich während der Covid-19-Pandemie. Im Sommer 2020 wurden nach Ausbrüchen auf Pelztierfarmen etwa eine halbe Million Nerze in Dänemark, in den Niederlanden und Spanien getötet.

Erreger aus dem Tierreich, die auf Menschen übergehen, sind ein wachsendes Problem. Solche Zoonosen entstehen nicht sprunghaft, sondern in einem längeren Prozess der Anpassung von Viren, Bakterien, Parasiten und Pilzen an ihre neuen Wirte. Die Krankheitserreger bilden allmählich neue Eigenschaften aus, die es ihnen erlauben, sich im Körper einer anderen Art zu vermehren und übertragen zu werden. Statt die Gattungsschranke mit einem Satz zu überspringen, müssen sie diese Schranke sozusagen Stufe um Stufe nach oben klettern.

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