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Protest am Flughafen BER: Hundert gegen Sammelabschiebung
Abschiebeflug nach Pakistan wurde über Stunden durch Aktionsgruppe blockiert
Mittwochnachmittag am Flughafen BER: Etwa 100 Aktivist*innen blockieren die Zugänge zum Terminal 5. Inzwischen ist das Bild bekannt, haben doch seit Eröffnung des Flughafens vor allem Klimaaktivisten*innen den Flugverkehr immer wieder gestört. Diesmal geht es den Blockierenden nicht um die Klimakatastrophe, sondern darum, eine Sammelabschiebung nach Islamabad in Pakistan zu stoppen – pünktlich zum Flüchtlingsgipfel, der am Donnerstag in Berlin stattfindet. »Jede Abschiebung zerstört ein Leben«, sagt Aktivistin Lilli Meyer nach der Aktion zu »nd«. Das Ziel der Aktionsgruppe, die die Blockade am Mittwoch auf die Beine gestellt hat, sei die Abschaffung jeglicher Abschiebungen.
Um zu verhindern, dass die geplante Abschiebung nach Pakistan stattfinden kann, haben die Aktivist*innen alle drei Eingänge zum Terminal 5 des BER durch Sitzblockaden versperrt, von wo aus der Flug starten sollte. Zusätzlich sei eine Zufahrtsstraße durch einen Transporter und mehrere sogenannte Tripods – große dreibeinige, mit Aktivist*innen besetzte Metallgestelle – blockiert worden. »Das hat auch erst mal funktioniert«, sagt Meyer. Schließlich sei aber gegen 9 Uhr abends der zu verhindernde Flieger doch gestartet. Wie genau das passieren konnte, wissen die Aktivist*innen auch nicht. Meyer vermutet, dass die Menschen, die abgeschoben werden sollten, durch eine andere Zugangskontrollstelle über das Flugfeld zum Terminal 5 gebracht worden sind.
»Es wurde auch eine Familie mit vier kleinen Kindern abgeschoben – elf, neun, acht und vier Jahre alt«, so Meyer. Eine Anwältin habe noch versucht, dies mit einem Eilantrag zu verhindern, der aber abgelehnt worden sei. »Die saßen also auch in dem Flieger«, stellt Meyer betrübt fest. Die Aktivistin kennt nicht alle Details zur Durchführung der Abschiebung, aber zumindest in diesem Fall sei die ganze Familie um 4 oder 5 Uhr morgens unangekündigt von der Polizei aus ihrer Unterkunft abholt worden. »So etwas ist für alle Menschen extrem traumatisierend. Bei so kleinen Kindern ist das schon besonders schlimm«, sagt Meyer.
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Fast zeitgleich zur Sammelabschiebung nach Pakistan findet in Berlin der Flüchtlingsgipfel des Bundes statt. Für Meyer ist das nur eine Verstetigung der »menschenfeindlichen und rassistischen Abschiebepolitik« der BRD. Obgleich das Asylrecht Bundessache sei, könnten auch die Länder ihre Spielräume zur Verhinderung von Abschiebungen und zur Ermöglichung von Aufenthaltsperspektiven, zum Beispiel durch Berufsausbildungen oder das neue Chancen-Aufenthaltsrecht, besser ausnutzen. Die Aktionsgruppe gegen Abschiebungen fordert neben dem Ende aller Abschiebungen auch die sofortige Einstellung aller Pläne für das Abschiebzentrum am Flughafen BER.
Der Flüchtlingsrat Brandenburg steht hinter den Aktionen der Abschiebegegner*innen. »Abschiebungen sind alltäglich, doch sie finden meistens unter dem Radar der breiteren Öffentlichkeit statt. Wir finden es richtig und wichtig, wenn durch Aktionen und Berichterstattung mehr Aufmerksamkeit für die unmenschliche Abschiebepraxis geschaffen wird«, sagt Sprecherin Henrike Koch zu »nd«. Laut Flüchtlingsrat sind am Mittwoch bei dem Flug nach Islamabad 34 Menschen abgeschoben worden, drei davon aus Brandenburg.
Das zuständige Brandenburger Innenministerium bestätigt gegenüber »nd«, dass das Land an der Sammelabschiebung »federführend beteiligt« war. »An der Maßnahme nahmen sechs weitere Bundesländer sowie weitere EU-Mitgliedstaaten teil«, sagt Andreas Carl, ein Ministeriumssprecher.
»Wir sind entsetzt, dass Brandenburg die Federführung für die Sammelabschiebung nach Pakistan übernommen hat«, sagt Koch. Der Flüchtlingsrat spreche sich grundsätzlich gegen Abschiebungen aus. »Anstatt diese zu forcieren, sollte die Brandenburger Landesregierung ihre Ressourcen lieber darauf verwenden, die Realität von Flucht und Migration langfristig und vorausschauend zu gestalten«, so Koch. Dafür seien Investitionen in den sozialen Wohnungsbau und in Teilhabemöglichkeiten notwendig. Koch verweist ebenfalls auf die Familie mit Kleinkindern, die vor der Abschiebung in Rheinland-Pfalz gelebt habe und deren Vater nicht mit abgeschoben worden sei. »Dieser Vorfall ist besonders tragisch, da hier eine Familientrennung billigend in Kauf genommen wurde«, sagt sie.
Auch die asylpolitische Sprecherin der Linksfraktion im brandenburgischen Landtag äußert sich kritisch zur Abschiebepraxis in ihrem Bundesland. »Seit Monaten, eigentlich seit Beginn der Koalition, liegt der Schwerpunkt auf Abschiebungen«, sagt Andrea Johlige zu »nd«. Die Grünen hätten zwar versprochen, den Schwerpunkt in Richtung Integration zu verschieben, dabei aber »versagt«. »Tatsächlich wurde bei den Integrationsmaßnahmen gekürzt«, so Johlige. Die Linke-Politikerin erzählt, dass unter den Menschen, die am Mittwoch abgeschoben wurden, auch ein Bewohner Falkensees gewesen sei: »Der Mensch hatte eine feste Einstellung und war gut integriert.« Die Linke in Brandenburg setze sich grundsätzlich gegen Sammelabschiebungen ein, weil diese zu einer Vernachlässigung der Einzelfallprüfung führten, um »den Flieger vollzukriegen«, so Johlige.
Abschiebungen zu verhindern oder zumindest zu erschweren, sei in den letzten Jahren enorm schwierig geworden, erzählt Aktivistin Lilli Meyer. »Abschiebungen werden nicht mehr angekündigt, die Menschen werden einfach mitten in der Nacht aus ihren Wohnungen oder Unterkünften abgeholt«, sagt sie. Die Aktionsgruppe gegen Abschiebungen wolle trotzdem auch künftig alles tun, um die menschenfeindliche Praxis zu unterbinden. »Wenn wir rechtzeitig von Abschiebungen erfahren, werden wir da sein und alles tun, um sie zu verhindern.«
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