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Münchner Sicherheitskonferenz: Die Uhr tickt
Die Münchner Sicherheitskonferenz hat mehr Themen als Zeit zur Beratung
München, 17. Februar, Hotel »Bayerischer Hof«. Drei Tage konzentriert sich hier das Geschehen der Münchner Sicherheitskonferenz 2023. Es ist die 59. ihrer Art und die erste, die von Christoph Heusgen – der einst Kanzlerin Angela Merkel beriet und dann Deutschland in der Uno vertrat – geleitet wird. Die MSC 2023 soll – wie jedes Jahr – auch diesmal eine »einzigartige Plattform für hochrangige Debatten zu den größten außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen unserer Zeit« werden. Fast ein Jahr nach dem Beginn der russischen Angriffe auf die Ukraine ist das wichtigste Konferenzthema mit dem Begriff »Zeitenwende« gesetzt.
Die jedoch erschöpft sich nicht nur im Verhältnis zu Russland, dessen Diplomaten diesmal nicht eingeladen sind. Man wolle ihnen, so twitterte Heusgen, »keine Plattform für ihre Propaganda« bieten. Lieber werde man »Russlands Zukunft mit russischen Oppositionsführern und Exilanten diskutieren«, deren Stimmen müssten gehört und verstärkt werden. Es fragt sich allerdings, warum man dazu Leute wie den früheren Schach-Promi Garri Kasparow und den aus Russland vertriebenen Oligarchen Michail Chodorkowski eingeladen hat. Will man ernsthaft mit solchen Partnern Chancen erörtern, wie man perspektivisch wieder zu normalen Beziehungen mit Russland gelangen kann?
Zugleich biete die Konferenz »Gelegenheit zur Bestandsaufnahme des Zusammenhaltes innerhalb der Allianz und der politischen Verpflichtung gegenüber der regelbasierten internationalen Ordnung«, heißt es bei den Veranstaltern. Besondere Spannung bietet auch das nicht. Die wichtigsten Entscheidungen zur weiteren Unterstützung der Ukraine wurden wenige Tage vor Konferenzbeginn von der Nato und der Ukraine-Kontaktgruppe getroffen, die den Konflikt fast ausschließlich militärisch und immer nur auf kurze Distanz betrachten.
Ob dagegen Forderungen von Heusgens Vorgänger im Amt, Wolfgang Ischinger, erfüllt werden, ist ungewiss. Der gleichfalls erfahrene Diplomat fordert vor allem, dass Klarheit über die Ziele der westlichen Staaten im Ukraine-Krieg geschaffen werden müsse. Er regt eine politisch-strategische Kontaktgruppe an, um die westlichen Kriegsziele so klar zu definieren, »dass wir alle wissen – gemeinsam wissen –, wo es hingeht«, sagte Ischinger in der vergangenen Woche mit kritischem Blick auf die Nato und fragte: »Wollen wir tatsächlich die Ukraine ermuntern, die Krim militärisch zurückzuerobern?« Da gibt es gewiss auch auf den Gängen des »Bayerischen Hofes« ein weites Spektrum unterschiedlicher Meinungen. Für jeden, der sich aus München in Sachen Ukraine-Krieg Anregungen für einen Waffenstillstand samt anschließendem Friedensprozess erhoffen sollte, ist die eindimensionale Zielsetzung der Konferenz enttäuschend.
Als offenes Geheimnis gilt, dass Deutschland und die EU in München verstärkt um Partner im »Süden« werben wollen. Darauf weist der kurz vor Konferenzbeginn veröffentlichte Munich Security Report hin. Man müsse sich, heißt es in der Studie, endlich der Tatsache stellen, dass immer noch kein einziges Land Afrikas und Lateinamerikas – sowie kaum ein Land Asiens – die westliche Sanktionspolitik gegen Russland unterstütze. Wolle man ernste Rückschläge im globalen Machtkampf gegen Russland und China langfristig vermeiden, müsse man wenigstens einige der Länder im globalen Süden zurückgewinnen. Es gelte, »dafür zu sorgen, dass die bestehende Ordnung allen gleichermaßen zugutekommt«. Eher hilflos plädiert der Munich Security Report für eine wirkungsvolle Entwicklungshilfe und dafür, dass »Europa und die USA ihre Versprechen erfüllen, globale öffentliche Güter bereitzustellen«. Zugleich müssten sie vom »Geber-Empfänger-Verhältnis« loskommen.
Wer sich in den führenden US-Medien umschaut, fand bislang nur wenige direkte Überlegungen zu den Zielen der diesjährigen Sicherheitskonferenz. Dafür beachtet die »Washington Post«, was Wang Yi, der neue oberste außenpolitische Berater des chinesischen Staatschefs Xi Jinping, derzeit treibt. Wang Yi unternimmt, bevor er nach München fliegt, gerade eine achttägige Reise. Eine Station ist Moskau. Dort könnten beide Seiten ihre strategische Partnerschaft weiter ausbauen und Meinungen über »internationale und regionale Hotspot-Themen von gemeinsamem Interesse« austauschen – womit natürlich der Ukraine-Krieg gemeint ist. Weitere Stationen auf Wangs Reise seien geeignet, »neue Fortschritte in den bilateralen Beziehungen« mit Frankreich, Italien und Ungarn zu erreichen sowie »das strategische gegenseitige Vertrauen zwischen China und der EU zu fördern«, hieß es aus Wangs Umfeld.
In den USA spekuliert man auch darüber, dass sich der chinesische Diplomat am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz mit dem US-Außenminister Anthony Blinken treffen könnte. Das wäre die Gelegenheit, die nach der »Ballonaffäre« runtergekühlten Beziehungen zwischen Washington und Peking wiederzubeleben.
Das ist vor allem aus US-Sicht dringend. Zwei Jahre nach dem Beginn von Joe Bidens Präsidentschaft haben es die USA gleich mit zwei Sicherheitskrisen zu tun. Da ist zunächst das Verhältnis zu Russland. Abgesehen vom Bereich der Atomwaffen sind die USA inzwischen weitaus mächtiger als das Riesenreich. Der Krieg in der Ukraine und eine Reihe katastrophaler Niederlagen auf dem Schlachtfeld haben den Mythos der russischen Supermachtstärke zudem deutlich entlarvt. Doch: Auch wenn die Rivalitäten mit Russland bei weitem nicht mehr die Bedeutung der Auseinandersetzung mit der Sowjetunion haben, so bindet vor allem der Ukraine-Krieg die USA dennoch auf vielen Gebieten.
Zugleich sind die USA aber mit China als dem größten geopolitischen, militärischen und wirtschaftlichen Rivalen des 21. Jahrhunderts konfrontiert. Washington braucht Verbündete auf lange Sicht. Wo findet man die? Vielleicht in München. Auch wenn dieses Thema dort offiziell nicht oben auf der Agenda steht, so wird es doch viele der angereisten Experten und Politiker beschäftigen. Alle wissen: Noch ist Zeit, um zu verhindern, dass die wachsende Kraftprobe zwischen den Vereinigten Staaten und China zu einem Konflikt wird, der die Welt in einen neuen Krieg stürzen könnte.
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