»Meine Waffen sind die Trommeln«

Beth Beli über die Ziele ihrer afro-feministischen Gruppe beim brasilianischen Karneval

  • Laís Clemente und Lisa Kuner
  • Lesedauer: 7 Min.
Beth Beli ist die Gründerin einer feministischen Karnevalsgruppe in Sao Paulo.
Beth Beli ist die Gründerin einer feministischen Karnevalsgruppe in Sao Paulo.

Wie läuft ein Karnevalsauftritt des Bloco Ilú Obá de Min ab?

Interview

Beth Beli – eigentlich Elizabeth Belizário – ist 55 Jahre alt und leitet seit 20 Jahren die afro-femi­nis­tische Karnevalsgruppe Ilú Obá de Min. Übersetzt heißt das ungefähr: »Weibliche Hände trommeln für den König«. Der Bloco, wie Gruppen des brasilianischen Straßenkarnevals genannt werden, besteht zu 80 Prozent aus Schwarzen Frauen. Sie treten mit Trommeln und anderen Rhythmusinstrumenten sowie Gesang beim Karneval von São Paulo auf. Nach drei Jahren Pandemie findet an diesem Wochenende auch in Brasilien wieder der berühmte Straßenkarneval statt.

Wir sind ein afro-feministischer Bloco – bei unseren Auftritten auf der Straße machen wir »Feminages« an brasilianische Schwarze Frauen. Das Wort ist eine Ableitung von Hommage, wir wollten, dass es weniger männlich klingt. So haben wir zum Beispiel schon die Sängerin Elza Soares oder die Künstlerin Raquel Trindade geehrt. Wir machen das mit den Interpretationen einer Percussion-Band, mit Tänzern und Stelzenläufern. Wir wollen damit Geschichten erzählen, die an den Unis nicht gelehrt werden, die nicht in den Büchern stehen. Wir wollen die Geschichte von Brasilien neu erzählen, aber aus der Perspektive Schwarzer Frauen.

Und was ist Ihr Ziel dabei?

Wir wollen Schwarze Frauen stärken!

Wie machen Sie das konkret? Wie fördern und stärken Sie Schwarze Frauen?

Durch sogenannte Affirmative Action (Positive Verstärkung). In Brasilien gibt es Quotengesetze, die Schwarze und indigene Menschen fördern. Das wenden wir auch bei Ilú an. Seit ein paar Jahren nehmen wir auch nur noch Schwarze Menschen auf. Wir sind Teil der Revolution.

Sie sind schon seit Jahrzehnten bei Ilú. Wie kamen Sie zum Karneval und zur Musik?

Ich mochte schon immer Musik. Mit 17 Jahren habe ich gelernt, Percussion zu spielen. Mein Vater fand das nicht so toll, er war beim Militär. Inzwischen lebt er nicht mehr. Aber ich bin sicher, er könnte jetzt auch stolz auf mich sein, oder nicht? Ich habe jetzt eine ganze Armee von Frauen, aber meine Waffen sind die Trommeln. Da kommt kein Feuer raus.

Wie ging es dann mit der jungen Beth weiter?

Ich habe mir nach und nach ein Leben aufgebaut; ich bin auch Erzieherin. Aber die Kunst, die Musik und die Trommeln waren immer dabei. Meine Familie meinte damals, dass mich das Trommeln nirgends hinbringen werde. Ich habe aber weitergemacht, mit der mit Leder bespannten Trommel. Sie hat mich inzwischen an viele Orte gebracht – und bestärkt.

War das einfach?

Ich bin all den Schwierigkeiten begegnet, die man als Schwarze Frau in einer rassistischen Gesellschaft vorfindet. Ich bin mit 17 Jahren zu Hause ausgezogen, habe sehr früh angefangen zu arbeiten. Da wurde mir schnell klar, dass man als Schwarze Person immer besser sein muss als andere, um durchzukommen.

Und wie entstand die Idee, eine eigene Karnevalsgruppe zu gründen?

Ich dachte, wenn ich durch eine Trommel so viel Selbstvertrauen gewinnen kann – warum sollte das bei anderen nicht funktionieren? Dann habe ich andere Frauen mit ähnlichen Interessen kennengelernt. Irgendwann haben wir einen Workshop gemacht. Wir wollten unser Wissen weitergeben. So ist Ilú entstanden. Am Anfang waren wir ungefähr zehn Frauen, heute sind wir 400.

So viele?

Ja, ungefähr 400. Die Jüngste ist vier Jahre alt, die Älteste 84. 350 Frauen trommeln und spielen auf Percussion-Instrumenten. Die Männer bei uns dürfen nur tanzen oder auf Stelzen laufen. Zu einem unserer letzten Auftritte sind rund 60 000 Menschen gekommen. In diesem Jahr erwarten wir 100 000.

Sie verstehen sich als afro-feministische Gruppe. Was bedeutet die Verbindung zu Afrika für Sie? Wie drückt sie sich aus?

Wir arbeiten mit Symbolen und Bezügen zu traditioneller afrikanischer Religion, insbesondere aus Nigeria und Angola. Der Karneval fängt für uns immer damit an, dass wir für Exu und Oxalá spielen. Das sind afrikanische Götter, sogenannte Orixás. Sie und unsere Ahnen spielen für uns eine große Rolle.

Was begeistert Sie am Karneval?

Für mich ist es die Chance, vor Tausenden von Menschen Geschichten von Personen zu erzählen, die mich inspirieren. Die Sklaverei war sehr gut organisiert, in der Folge davon haben Schwarze Frauen sehr lange gedacht, dass sie nichts zu sagen hätten. Ich glaube, dass ich das ein bisschen verändern kann. Ich kann den Frauen durch Ilú eine neue Heimat, eine Zugehörigkeit geben. Hier können die Menschen sein, wie sie wollen.

Wie hat sich der Karneval in den letzten Jahrzehnten verändert?

Vor 20 Jahren gab es noch nicht ganz so viele Blocos. Frauen haben damals eher Nebenrollen in den Bands gespielt. Sie waren zum Beispiel nicht an der Repinique (eine kleine Trommel), die die ganze Band orchestriert und den Rhythmus vorgibt. Frauen gab man eher ein Tamburin oder eine Rassel. Mein Bloco Ilú hatte die Idee, das zu verändern, Frauen dazu zu bringen, die Straßen, die öffentlichen Plätze zu erobern. Heute sieht man Frauen auf dem Karneval an allen Instrumenten – Ilú hat das vorangetrieben.

Was waren die größten Schwierigkeiten, die Ihnen auf diesem Weg begegnet sind?

Am Anfang war es schwierig, ernst genommen zu werden und einen Ort für unsere Shows zu finden. Wir spielten auf öffentlichen Plätzen, und dann kam die Polizei und sagte: Ihr könnt hier nicht spielen, ihr behindert den Verkehr. Heute sind wir viel anerkannter, unsere Proben werden angemeldet.

Gibt es noch andere Schwierigkeiten?

Uns zu finanzieren, ist auch eine anhaltende Herausforderung. Alle Leute wollen Schwarze Kultur, aber niemand will dafür zahlen. Die Leute wollen sich das einfach aneignen. Aber inzwischen schaffen wir es, Werbeverträge abzuschließen, vor ein paar Jahren mit Facebook, in diesem Jahr mit dem Sportartikelhersteller Converse. Viele Angebote lehne ich aber auch ab – wir wollen nicht von Konzernen bezahlt werden, die die Umwelt zerstören oder hinter denen ein rechtes Weltbild steht.

Die letzten Jahre unter der Regierung Bolsonaro mit Kürzungen im Kulturbereich und dann noch der Pandemie waren sicher nicht leicht. Wie sind Sie damit umgegangen?

Ich habe viel gearbeitet, es gab in jeder Richtung etwas zu tun. Wir haben Geld gesammelt, uns gegenseitig finanziell unterstützt, Essenskörbe verteilt. Ein Mitglied der Band ist an Covid gestorben. Ich hatte auch Angst, dass wir dadurch unsere musikalischen Fähigkeiten verlieren, den Zusammenhalt. Für uns war es, als gäbe es zwei Pandemien gleichzeitig. Zum einen die Auswirkungen der Regierung Bolsonaro und zum anderen die Covid-Pandemie. Aber wir haben es geschafft, uns zu reorganisieren, und die Zeit hat uns zusammengeschweißt.

Gerade finden die letzten Proben vor dem Karneval statt. Sie stehen dabei vor den Hunderten Frauen und leiten die gesamte Gruppe an. Wie schaffen Sie es, dass so viele Menschen auf Sie hören?

Viele benutzen dafür Pfeifen. Ich mache das nicht. Ich setzte mich nur mit meinem Körper und meiner Körpersprache durch. Dieses ganze Geschrei, das Pfeifen – das finde ich alles zu aggressiv. Es ist wichtig, Frauen mit Respekt zu behandeln. Bei den Auftritten gibt es dann aber auch andere Regentinnen, die mich unterstützen. Ich bin gerade mal 1,60Meter groß – es ist unmöglich, dass mich alle sehen.

Was ist Ihr nächstes Ziel?

Wir arbeiten aktuell an dem Prozess, Kulturerbe von São Paulo zu werden – das dauert eine Weile, aber es ist möglich. Außerdem wollen wir internationaler werden. Und wir wollen damit weitermachen, die Schwarze Geschichte aus Brasilien zu erzählen.

Wie fühlen Sie sich jetzt, kurz vor dem ersten Karneval nach so langer Zeit?

Ich bin etwas nervös. Wir üben seit sechs Monaten – und hoffen, dass alles klappt. Dieses Jahr gilt unsere Feminage Sueli Carneiro (eine bekannte brasilianische Philosophin und Antirassismus-Aktivistin). Dafür haben wir eine einmalige Show vorbereitet.

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