Karriereaus dank Lockdown

Wissenschaftlerinnen fielen in der Pandemie zurück

Kita zu, Schulunterricht nur über Videochat – vielen Eltern läuft wohl immer noch ein Schaudern über den Rücken, wenn sie an die Corona-Lockdowns zurückdenken. Plötzlich mussten neben der Arbeit im Homeoffice auch noch die Kinder bekocht und bespaßt werden. Studien zeigen, dass das häufig an den Müttern hängenblieb. Ein Viertel der Mütter mit Kindern im Schulalter gab laut einer DIW-Studie an, die Last der Kinderbetreuung im Lockdown getragen zu haben. Für viele Frauen bedeutete das, bei der Erwerbsarbeit zurückstecken zu müssen.

An der Freien Universität diskutieren am Freitag auf Einladung der Frauenbeauftragten Expertinnen über Karriereknicke, die speziell Wissenschaftlerinnen während des Lockdowns erleiden mussten. »Überlastung und Erschöpfung sind das, was viele verspürt haben«, sagt Sarah Czerney zu Beginn der Diskussion. Sie engagiert sich im Netzwerk Mutterschaft und Wissenschaft und hat gemeinsam mit der ebenfalls auf dem Podium sitzenden Lena Eckart ein Buch zu dem Thema veröffentlicht. »Bei vielen gab es das Gefühl, alleingelassen zu werden«, sagt sie. Und das nicht nur von der Politik, sondern auch von Kollegen und Universitäten.

Von einem »Rückfall in traditionelle Rollenmuster« spricht auch ihre Kollegin Lena Eckert. Viele Frauen verließen während des Lockdowns die Wissenschaft. Schon vor Corona hätten 34 Prozent der Frauen in naturwissenschaftlichen und technischen Fächern nach der Geburt eines Kindes ihre Karrieren beendet. In der Pandemie sei dieser Wert noch gestiegen. »Wir befürchten, dass eine ganze Generation von Wissenschaftlerinnen verloren gehen könnte«, sagt sie.

Besonders schlug sich das in der Publikationstätigkeit nieder. Schon lange wird von einem Gender Publication Gap gesprochen – also einer Lücke zwischen vielpublizierenden Männern und Frauen, die vergleichsweise wenig veröfffentlichen. Lena Hipp vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) hat untersucht, ob diese Lücke in der Pandemie größer geworden ist. In Befragungen geben Frauen demnach häufiger an, geplante Publikationen nicht realisiert zu haben.

Betrachte man die Veröffentlichungen in den Fachzeitschriften selbst, sei die Lage aber »nicht eindeutig«. In manchen Fächern sei der Publication Gap während der Pandemie sogar kleiner geworden. Hipp schränkt aber ein: Wegen der umfangreichen Prüfungsverfahren verginge nicht selten mehr als ein Jahr, bevor eingereichte Aufsätze erscheinen können. Es könnte also sein, dass Effekte der Pandemie erst jetzt sichtbar werden.

Bei den Publikationen zurückzufallen, kann die Karriere beenden. Denn bei Bewerbungsverfahren um Professuren und Postdoc-Stellen ist die Zahl der Publikationen in möglichst prominenten Fachzeitschriften oft das ausschlaggebende Kriterium. »Publikationen zu zählen ist zwar das einfachste, aber nicht das fairste Mittel«, sagt Soziologie-Professorin Kathrin Zippel. Kindererziehung müsse bei der Berechnung des sogenannten akademischen Alters berücksichtigt werden. Mit dem Begriff wird die effektiv in der Forschung verbrachte Zeit beschrieben. Auch hier lauern aber Fallstricke.

In den USA hätten von einer Regelung, bei der jedes Kind auf das Akademische Alter angerechnet wurde, vor allem Männer profitiert, so Barbara Fritz, Vorsitzende der Kommission zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen an der FU. Sie hätten auch während der Erziehungszeiten munter weiter publiziert und offenbar nur wenig Zeit für die Kindererziehung aufgebracht. »Wir brauchen Regelungen, von denen spezifisch Frauen profitieren«, so Fritz. Sie schlägt vor, dass Mitglieder von Berufungskommisssionen in Gleichstellungsfragen geschult werden sollen.

An der Universität Hamburg gab es schon ein Projekt, mit dem Wissenschaftlerinnen im Lockdown unterstützt werden sollten. Svenja Saure aus der Verwaltung der Hanse-Universität berichtet, dass Mütter beantragen konnten, beim Schreiben von Publikationen von studentischen Hilfskräften unterstützt zu werden. Ein gutes Geschäft für beide Seiten: Viele Studierende verloren während der Pandemie ihre Arbeit und konnten sich so etwas dazuverdienen. Auch finanzielle Unterstützung bei der Kinderbetreuung wurde angeboten. »Insgesamt wurden die Maßnahmen gut nachgefragt«, so Saure. Mit einem Budget von 90 000 Euro dürften die strukturellen Effekte aber begrenzt sein.

Um Wissenschaftlerinnen in der Lehre zu entlasten, wurden an der FU zusätzliche studentische Tutoren angestellt, berichtet Vizepräsidentin Verena Blechinger-Talcott. Zusätzlich wurde ein Fonds eingerichtet, von dem schwangere Naturwissenschaftlerinnen profitieren sollen. Denn ab dem ersten Tag der Schwangerschaft schreibt der Gesundheitsschutz vor, dass sie keine Labore mehr betreten dürfen. Damit sie trotzdem geplante Versuche durchführen können, werden aus dem Fonds Techniker bezahlt, die die Experimente betreuen. Unter älteren Wissenschaftlerinnen gebe es häufig wenig Verständnis für die Maßnahmen. »Manche sagen: Warum macht ihr das überhaupt? Wir hatten das ja auch nicht«, so Blechinger-Talcott. Dort müsse noch Aufklärungsarbeit geleistet werden.

Letztendlich, so Lena Hipp vom WZB, gehe es um die Diskriminierung von Müttern. »Kinder wirken sich für Frauen noch immer negativ im Lebenslauf aus«, sagt sie. Frauen mit Kindern würden 25 Prozent seltener zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. Lena Eckert fordert dann auch, Elternschaft gesetzlich als einen Diskriminierungsgrund einzuführen. Mütter, die glauben wegen ihrer Kinder eine Stelle nicht erhalten zu haben, könnten dann juristisch gegen den Arbeitgeber vorgehen.

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