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Ein Leben für den Wald
Perspektive Deutsches Kino: »Vergiss Meyn Nicht« arbeitet mit Aufnahmen des Filmemachers Steffen Meyn, der bei der Räumung des Hambacher Forsts starb
Am Anfang steht ein Ende: Menschen in einem Wald, ein Körper fällt, ein Aufprall. Rufe sind zu hören: »Ihr seid Mörder! Alles wegen euch.« Während der Räumung der Baumhäuser im Hambacher Forst im Herbst 2018 stürzt der Filmstudent Steffen Meyn, der die Ereignisse dokumentieren will, in die Tiefe. Er stirbt noch vor Ort.
Hinterlassen hat er unzählige Stunden Filmmaterial. Aufnahmen, auf denen der Dokumentarfilm »Vergiss Meyn Nicht« (Lonely Oaks) beruht, der in der Sektion Perspektive Deutsches Kino der diesjährigen Berlinale läuft. Die Filmemacher*innen Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl und Jens Mühlhoff haben die Archive ihres verstorbenen Freundes gesichtet und verwoben das Material mit Interviews, die sie mit ehemaligen Besetzer*innen des Hambacher Forsts geführt haben.
Indem die Regisseur*innen den unvermeidbaren Tod Meyns vorwegnehmen, entlasten sie die Erzählung, entziehen ihr unnötige Spannung und schaffen Raum, um über Dahinterliegendes zu sprechen. Die Trauer über den Tod zieht sich durch den Film. Dabei vermeidet »Vergiss Meyn Nicht« jedoch, den Protagonisten zu heroisieren. Stattdessen nähert sich ihm der Film mit einer warmen, aber nicht verklärenden Haltung – so wie sich Meyn auch den Aktivist*innen im Hambacher Forst annäherte.
Der junge Filmemacher, der bei seinem Tod 27 war, studierte an der Kunsthochschule für Medien Köln und wollte die Besetzungen im Hambacher Forst dokumentieren. Er kaufte sich eine neue 360-Grad-Kamera und befestigte sie auf einem Fahrradhelm. So lief er durch den Wald, immer auf der Mitte des Weges und rief: »Ich filme jetzt«. So erinnert sich einer der Interviewpartner daran, wie er Steffen Meyn kennenlernte. Lockenkopf, verrutschte Brille, Helm. So tauchte der Filmemacher im Wald auf und wollte Kontakte knüpfen. »Er sah so unfassbar lustig aus«, sagt der Interviewpartner.
Meyn kam aus der großen Stadt in das besetzte Gebiet. »Deshalb hatte er schon ganz viele Minuspunkte in Wald-Coolness«, erzählt eine andere Aktivistin lächelnd. Doch Meyn zeigte sich interessiert und hartnäckig. Er sympathisierte mit den Besetzer*innen, kletterte in schwindelerregende Höhen und schlief in kalten, engen Baumhäusern. Er sprach mit Aktivist*innen und dokumentierte, wie die Häuser und Dörfer im Wald aussahen, wie sich Menschen sicherten und über Brücken fortbewegten. Dabei ist auch Platz für kontemplative Momente, Aufnahmen von Lichtungen inmitten hoher Bäume und Gespräche mit Aktivist*innen, die von der Schönheit des Waldes schwärmen.
Meyn bezeichnet sich als Journalist, aber auch als Freund. Irgendwie scheint er dazugehören zu wollen. Trotzdem behält er eine kritische Distanz und reflektiert im Selbstgespräch die Rolle von Gewalt und Militanz gegenüber der Polizei, die ihn umtreibt und belastet.
Diesen Faden greifen die Filmemacher*innen in ihren Interviews auf. Sie sprechen mit Besetzer*innen über ihre Ziele, Entbehrungen, ihre Erfahrungen mit Polizeigewalt und Dilemmata im aktivistischen Denken und Handeln. In Kombinationen mit den Aufnahmen und Interviews von Steffen Meyn geben diese Gespräche tiefe Einblicke in persönliche Motivationen. Sie geben eine Ahnung davon, wie es ist, bloß mit dem eigenen Körper einen Baum schützen zu wollen. Und sie lassen verstehen, was Menschen dazu bewegt. Auch geben die Interviewten einen Eindruck vom Leben in der Gemeinschaft des Hambacher Forsts, einem Sammelbecken für unterschiedliche Menschen, die teilweise viel aufgegeben haben, um sich dem Aktivismus zu widmen. Was bedeutet in diesem Kampf ein Menschenleben? Die befragten Aktivist*innen reflektieren über diese Frage und finden verschiedene Antworten.
Steffen Meyn war ungesichert, als er abstürzte. Inwiefern spielte das Vorgehen der Polizei bei dem Einsatz eine Rolle, den Gerichte später für illegal erklärten? Der Tod des Filmemachers kann in die eine oder andere Richtung instrumentalisiert werden, doch die befragten Aktivist*innen vermeiden Schuldzuweisungen.
»Vergiss Meyn Nicht« ist ein vielschichtiger, berührender und nachdenklich machender Film, der außergewöhnliche Einblicke in eine für Außenstehende unzugängliche Szene gibt. Gleichzeitig ist er ein sehr eindrucksvolles und sensibles Porträt eines energischen, lustigen und warmherzigen Menschen, der voller Begeisterung seine Mission verfolgte.
»Vergiss Meyn Nicht«: Deutschland 2023. Regie und Buch: Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl, Jens Mühlhoff. 100 Minuten. Termine: 20.2., 10 Uhr, Cubix 6, 21.30 Uhr, Filmtheater am Friedrichshain; 24.2., 15 Uhr, Zeiss Großplanetarium.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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