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Baerbocks fehlende Bescheidenheit
Christoph Ruf über die Rolle der deutschen Außenministerin
Vor einiger Zeit saß ich bei einem Medienforum auf dem Podium. Im Vorgespräch hatte ich die Frage bejaht, ob es okay sei, wenn die Veranstaltung auf Englisch stattfände. Ich fand das okay, schließlich hatte ich Englisch neun Jahre halbwegs erfolgreich in der Schule. Und außerdem redet man auch als Erwachsener immer mal wieder Englisch. Was dann von mir kam, war allerdings nicht okay. Meine Argumente wurden gefühlt mit jedem Satz simpler – so simpel, wie die Sprache, die ich ab einem gewissen Moment nur noch mit dem Ziel sprach, keine allzu schlimmen Fehler mehr zu machen. Ich hatte mich also schlicht überschätzt.
Ich erwähne das nur, weil ich mich frage, warum so viele deutsche Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker offenbar nicht merken, wie es um ihr Englisch bestellt ist. Wolfgang Schäuble oder Günther Oettinger (beide CDU) waren da schon Pioniere der globalen Erheiterung. Nun macht sich Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) immer wieder zum Gespött. Nicht bei den offiziellen Reden, die sie abliest und offenbar auch vorher schon mal einstudiert hat, sondern dann, wenn sie frei redet. Dass ihr Akzent dann nieder- statt angelsächsisch ist, mag ja noch durchgehen. Aber sie rutscht dabei in Ermangelung komplexeren Vokabulars ins Kita-Englisch ab.
Ich frage mich, ob sie Russland auch dann so ganz nebenbei den Krieg erklärt hätte (»Wie ar in wor wiss Rascha«), wenn sie auf Deutsch geantwortet und sich hätte übersetzen lassen? Oder hätte das Ganze dann vielleicht etwas differenzierter geklungen? Vielleicht sogar so differenziert, wie es wünschenswert wäre, wenn man vor dem Hintergrund einer extrem bedrohlichen weltweiten Sicherheitslage daherplaudert? Baerbock fehlt offenbar die Fähigkeit, die eigenen Grenzen zu erkennen. Nennen wir diese Tugend mal Bescheidenheit. Die ist eine gute Voraussetzung, um offen zu bleiben, nachzudenken, nicht alles, was einen verstört, gleich niederzubrüllen. Borniertheit, die Unfähigkeit, wirklich zu diskutieren, sind aber leider ebenso im Trend wie die panische Abwehr des Gedankens, dass manche Themen sehr komplex sind, um sie in richtig/falsch- oder dämlich/clever-Kategorien einzusortieren.
Ich habe in diesem Zusammenhang vor ein paar Tagen den Namen »Franziska Davies« gegoogelt. Nachgeforscht habe ich, weil ich wissen wollte, wer diese promovierte Osteuropa-Expertin gewesen ist, die Jürgen Habermas’ kontroversen Ukraine-Beitrag in der »Süddeutschen Zeitung« als »dämlich« und »Schnodder« bezeichnet hat. Einen der klügsten Intellektuellen des Landes mal eben so abzuqualifizieren, erfordert schließlich schon ein gesundes Selbstvertrauen. Erst danach habe ich den Habermas-Text gelesen.
Und jetzt bin ich mir absolut sicher, dass die mir bis dato unbekannte Davies den Text nicht gelesen haben kann. Falls doch, hat sie ihn nicht verstanden. Denn Habermas argumentiert klug und differenziert. Vor allem aber fordert er nichts, sondern deutet Fragen allenfalls an, die sich viele stellen: Ob es tatsächlich sinnvoll sein kann, immer mehr Waffen an die Ukraine zu liefern, ohne die Frage zu beantworten, was das Kriegsziel ist: Putins durch eine Revolution erzwungener Rücktritt? Der ist angesichts der Stimmungslage in Russland utopisch. Seine militärische Niederlage? Die würde allenfalls dann eintreten, wenn die Nato endgültig zur Kriegspartei wird. Was ja keiner will. Oder etwa doch?
Was ich von der Außenministerin vernehme, ist mir jedoch zu einfach. Es gehe um »Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit«, »Freiheit oder Unterdrückung« und darum, ob man »auf der Seite des Aggressors oder des Opfers« stehe. Je mehr ich darüber nachdenke, umso mehr beschleicht mich ein schlimmer Verdacht: Vielleicht spricht die Frau auf Englisch einfach nur so simpel, wie sie auf Deutsch denkt.
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