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In der Hand der Ultrarechten
Israels Regierungskoalition wird getrieben von der anti-palästinensischen Agenda der Ultrareligiösen
Mehr als 100 000 Menschen sind nach Angaben der Veranstalter den siebten Samstag in Folge gegen die umstrittene Justizreform der Regierung auf die Straßen gegangen. In Tel Aviv versammelten sich die Demonstrant*innen am Abend im Zentrum der Stadt. »Israel darf keine Diktatur werden«, hieß es auf Schildern. Dazu gab es Appelle an die internationale Gemeinschaft wie »Biden, Macron – helft uns«. Die haben sich jüngst wegen der Siedlungspolitik Israels zu Wort gemeldet.
Man sei »zutiefst beunruhigt über die Ankündigung der israelischen Regierung, annähernd 10 000 Siedlungseinheiten zu genehmigen sowie einen Prozess zur Normalisierung von neun Außenposten einzuleiten, die bislang nach israelischem Recht als illegal galten«, schreiben die Außenminister*innen Deutschlands, der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Italiens in einer Erklärung. In einer Welt, in der Kritik darin besteht, die Alternativlosigkeit der Zweistaaten-Lösung zu betonen, auf »geöffnete Fenster der Gelegenheit« hinzuweisen und von »einseitigen Maßnahmen abzuraten«, kommt die Erklärung fast lautem Gebrüll gleich. An diesem Montag wird auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) in Israel erwartet.
Was war geschehen? Israels Regierung, eine Koalition aus dem rechtskonservativen Likud von Regierungschef Benjamin Netanjahu, zwei ultraorthodoxen Parteien und dem rechtsradikalen Parteienbündnis »Religiöser Zionismus«, möchte den Siedlungsbau so massiv vorantreiben wie keine andere Regierung seit dem Sechs-Tage-Krieg, in dem das Westjordanland und Ost-Jerusalem erobert wurden. Kurzfristig sollen alle mehr als 200 ungenehmigten Siedlungen nachträglich genehmigt und an die Infrastruktur angeschlossen werden; die ersten neun wurden bereits Anfang der Woche gestattet, wobei unklar ist, auf welcher rechtlichen Grundlage dies geschehen ist. Auch Sprecher*innen der Regierung konnten diese Frage nicht beantworten. Mittelfristig sollen zudem 10 000 Wohneinheiten in Siedlungen gebaut werden, das ist Wohnraum für bis zu 60 000 Menschen.
Im israelischen Außenministerium hat die Erklärung der westlichen Außenminister*innen für erhebliche Unruhe gesorgt: Denn die Unterzeichnenden sind nicht irgendwer, die engsten Partner*innen des jüdischen Staats in der internationalen Gemeinschaft sind darunter. Die US-Regierung beispielsweise setzt im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen traditionell ihr Veto ein, wenn sich Resolutionen gegen Vorhaben oder Handlungen der israelischen Regierung richten. Bislang war diese Unterstützung felsenfest; selbst wenn der Fall absolut klar schien, konnte man in West-Jerusalem, wo Israels Regierung und Parlament ihren Sitz haben, auf Washington bauen.
Nach der Erklärung ist dieser Weg nun versperrt. Und ein weiterer Partner Israels hat seinen Auftritt: die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), mit denen man erst 2021 diplomatische Beziehungen aufgenommen hat und seitdem enge, vor allem militärische und sicherheitspolitische Bindungen pflegt. Ungefähr zeitgleich mit der Erklärung der Außenminister*innen legten die VAE einen Resolutionsentwurf für den Uno-Sicherheitsrat vor, in dem die Pläne der israelischen Regierung verurteilt werden sollen. Es könnte durchaus geschehen, dass diese Resolution nun nicht am Veto der USA scheitert.
Eine konkrete Bedeutung hätte eine solche Resolution zunächst nicht. Unter den Karriere-Diplomat*innen im israelischen Außenministerium, aber auch in der Politik herrscht nun die Befürchtung, dass die Haupt-Protagonist*innen in der internationalen Arena nun von ihrem Credo der Fenster der Gelegenheiten, der Zweistaaten-Lösung nur auf dem Verhandlungswege abkommen und Palästina auf breiter Basis als Staat anerkennen könnten. Oder noch schlimmer: dass lebenswichtige Partnerschaften wegbrechen. Die USA werden vor allem als Unterstützung im militärischen Bereich gebraucht; auf die VAE, Jordanien, Ägypten und Bahrain setzt man in Sachen Iran große Hoffnungen.
Der Vorfall zeigt aber auch, dass Netanjahu nur wenige Wochen nach der Regierungsbildung mit dem Rücken zur Wand steht. Die Religiösen Zionist*innen, deren 14 Stimmen im Parlament für den Regierungschef absolut unverzichtbar sind, drohen offen mit dem Aus der Koalition, wenn Netanjahu nicht exakt das tut, was sie von ihm verlangen. Sie wollen den Siedlungsbau, die Legalisierung der ungenehmigten Siedlungen – und dass Bezalel Smotrich, einer der Spitzenpolitiker der Rechtsradikalen, die Hoheit über die Zivilverwaltung in den besetzten Gebieten erhält.
Das »System Netanjahu«, das es ihm seit 2009 mit kurzer Unterbrechung ermöglicht, eine Regierung nach der anderen zu bilden, basierte bisher darauf, dass er allen alles versprach und es dann gekonnt ignorierte, sobald die Parteien in die Regierung eingetreten sind. Stattdessen hält er sie dann mit Drohungen vor Neuwahlen und Appellen an die nationale Einheit bei der Stange. Doch deshalb, und auch weil Netanjahu wegen Korruption angeklagt ist, sind seine aktuellen Partner die letzten, die noch mit ihm koalieren wollen. Und die Religiösen Zionist*innen sind anders als alle anderen: Ihnen geht es nicht darum, ob sie bei der nächsten Wahl vielleicht ihre Mandate verlieren, oder ob die Zeit im Parlament für eine Rente ausreicht. Und so wird der Ton zunehmend rauer: Netanjahu diskriminiere die Siedler*innen, wetterte Smotrich Mitte der Woche, nachdem der sich erneut geweigert hatte, die Zivilverwaltung an Smotrich zu übertragen.
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