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Die Traumwandlerin
Berlinale-Wettbewerb: »Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste« von Margarethe von Trotta
Den Atem der Callas beschrieb sie so, dass man die Sängerin fortan anders hörte. Und sie selbst – wie klang sie, die 1926 in Klagenfurt geborene Dichterin? Es gibt einen Mitschnitt ihrer Frankfurter Poetikvorlesungen von 1959. Eine junge Frau, Anfang 30 mit mädchenhaft heller Stimme, wie im Korsett ihres hohen Anspruchs steckend, dekliniert sich durch die moderne Dichtung. Monoton wie Gottfried Benn, der in »Probleme der Lyrik« bereits ähnliche Überlegungen anstellte, in gleicher provokanter Nicht-Rhetorik.
Das gemeinsame Fazit: Das lyrische Ich darf nicht mit dem Alltags-Ich verwechselt werden, es ist ein reines Kunstprodukt, eine Erfindung. Aber es klingt gefährlich nach Selbstverlust, wie sie dieses Ich als Nichts auffasst, »die Hypostasierung einer reinen Form, irgendetwas wie eine geträumte Substanz, eine Chiffre für etwas, das zu dechiffrieren mehr Mühe macht als die geheimste Order«.
Wie lebt es sich, wenn man sich selbst auf den eisigen Gipfeln reiner Kunst aussetzt, aber nicht das zynische Talent eines Gottfried Benn besitzt, sich gleichzeitig die kalte Welt vom wohlgenährten Leib zu halten? Nein, das konnte sie nicht, der eigene überhöhte Kunstanspruch griff ihren Körper an, ging ihr unter die schmerzende Haut – bis sie im Sommer 1973 in Rom, von Alkohol- und Tablettensucht (sie nahm händevoll Beruhigungsmittel) berührungstaub geworden, gar keinen Schmerz mehr auf der Haut fühlte. Die Zigaretten, die der so Betäubten immer wieder aus der Hand fielen, hinterließen Brandwunden. Bis sie im Bett rauchend wieder einmal einschlief und sich schwer verbrannte. Im Krankenhaus wusste man nichts von ihrer Sucht, im akuten Entzug starb sie unter Krämpfen.
Dieses grausame Ende einer großen Dichterin zeigt Margarethe von Trotta in ihrem Film »Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste« nicht – und das ist gut so. Als der Film endet, versteckt sich die einst gern als Star (so der Vorwurf von Kritikern) inszenierende Autorin in ihrer Wohnung in Rom, als sei sie schon nicht mehr existent.
Diesen Weg in die Selbstzerstörung zeichnet Margarethe von Trotta präzise nach. Oder ist sie von anderen zerstört worden? Wir hören sie gleich am Anfang von Max, dem Mörder sprechen. Gemeint ist Max Frisch, mit dem sie vier Jahre, bis 1963, zusammenlebt, erst in Uetikon bei Zürich, dann in Rom. Frisch, der 15 Jahre Ältere, hat sich ihrer wie einer Trophäe bemächtigt. Aber was schlimmer ist: Er versteht ihren Kunstanspruch nicht, schreibt selbst ganz anders. Er setzt für seine Theaterstücke Realitätspartikel neu zusammen, ein raffinierter Handwerker, während sie an einsamen Wort-Kunst-Welten baut. Das kann nicht gut gehen; sie nennt seine Art zu schreiben jene »vom einfachsten Rollenfach« und ist entnervt davon, wie er mit bloß einem Finger auf der Schreibmaschine tippt. Wie kann man mit einem Finger nur so viel Lärm machen?
Es geht nicht gut mit ihnen, aber wer trägt daran die Schuld? Zum Glück widersteht die Regisseurin der Versuchung, dem unsensiblen Max Frisch alle Schuld aufzuladen. Sie lässt stattdessen die Bachmann ein albanisches Sprichwort sagen, das meint, der Ermordete trage auch eine Mitschuld am Mord.
Das ist der Rahmen dieses Films, in dem die Wüste zur Metapher für jene paradoxe Unwirklichkeit wird, wie sie die Bachmann lebenslang suchte: schier unendlich weit und bedrängend nah zugleich, am Tage unerträglich heiß, aber nach Sonnenuntergang in Eiseskälte abstürzend.
Vicky Krieps ist Ingeborg Bachmann. Sie trifft den Typus der Getriebenen, die sich hinter den Mauern der strengen Form wie in einer Festung verbarrikadiert. Sie hat die Unbedingtheit im schmalen Leib, die Energie, die sich aus schwindender Nervenkraft speist. Man glaubt ihr die Dichterin inmitten ihrer Weltabwehr. Die jungen Männer liebt sie, aber auch dies wie eine Süchtige – ganz und gar unnahbar. Mit allem, was sie unternimmt, um schöpferisch zu bleiben, greift sie sich selbst an. Max Frisch, wie ihn Ronald Zehrfeld zeigt, wirkt dagegen wie ein simpler Biedermann, aber dafür notorisch eifersüchtig. Schade, dass sich der Film nicht auch für Frisch interessiert – denn so bleibt die Beziehung beider kein unaufklärbares Geheimnis, sondern scheint bloß ein banaler Irrtum.
Der Film hat Schwächen, die vor allem in der Neigung der Regisseurin zu Mainstream-Hochglanzfotografie und Musikeinsatz als Klangteppich liegen. Das hat etwas von Zuckerguss. Aber er rutscht dann doch nicht in Kitsch ab, dafür nimmt Margarethe von Trotta die Wortmagie der Bachmann zu ernst. Ihr folgt sie auf fast schon bedingungslose Weise. Da ist es ihr offenbar egal, wenn sie die Dichterin Sätze sagen lässt, die schön klingen, aber nicht wenigen wohl unverständlich bleiben werden. So muss es sein mit der Kunst, sie soll überfordern, in unbekanntes Terrain führen!
Natürlich ist da auch viel Selbstinszenierung der Bachmann im Spiel, die der Film nicht bloßstellt. Der berühmte Satz von ihr, die Wahrheit sei dem Menschen zumutbar – sie geht ihm selbst des Öfteren aus dem Wege. Immer wieder spricht sie über Faschismus, dessen Keimzelle die Ehe sei – da herrsche Krieg zwischen Mann und Frau. Als ausgerechnet der frühere HJ-Führer Hans Baumann das »Requiem« der Anna Achmatowa für den Piper-Verlag übersetzen soll, reagiert sie empört und wechselt zu Suhrkamp.
Dort bringt sie dann die Gedichte des von ihr bewunderten Giuseppe Ungaretti heraus, die sie aus dem Italienischen übersetzt und mit einem Nachwort begleitet. Eine völlig neue, bahnbrechende Art Gedicht, keine Frage. Auch Rilke versuchte sich mit Ungaretti in seinen letzten Lebensjahren wieder neu zum Schreiben zu inspirieren. Die Bachmann trifft den alten Ungaretti in Rom, erliegt seinem Charme – so sehr, dass sie in ihrem Begleittext unterschlägt, dass dieser ein prominenter Faschist gewesen war. Mussolini selbst hatte zu seinem Gedichtband »Der begrabene Hafen« das Vorwort geschrieben, und in den 30er Jahren war Ungaretti Pressesprecher im italienischen Außenministerium.
Kein unpolitischer Posten, aber über diesen Lebenswiderspruch eines großen Künstlers kein Wort von der sonst in Sachen Faschismus so strengen Autorin. Max Frisch wäre anders damit umgegangen. Margarethe von Trotta lässt sich auf derartige Widersprüche nicht ein, die der Wahl-Römerin einiges von ihrer esoterischen Gestalt genommen hätten.
»Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste«, Schweiz/Österreich/Deutschland/Luxemburg 2023. Regie und Drehbuch: Margarethe von Trotta. Mit: Vicky Krieps, Ronald Zehrfeld, Roberto Carpentieri. 110 Min. Termin: 26.2., 19.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele.
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