»Verfassungstreuecheck«: Gesinnungstest für öffentlichen Dienst

Die Potsdamer Kenia-Koalition plant eine neue Regelanfrage beim Verfassungsschutz für angehende Beamte

  • Volkmar Schöneburg
  • Lesedauer: 4 Min.
Polizisten und Staatsdiener, müssen ohnehin einen Eid auf das Grundgesetz leisten – und können bei Verstößen dagegen belangt werden.
Polizisten und Staatsdiener, müssen ohnehin einen Eid auf das Grundgesetz leisten – und können bei Verstößen dagegen belangt werden.

Es ist schon ein bemerkenswertes Beispiel für Geschichtsvergessenheit: Brandenburgs Kenia-Koalition forciert die Einführung eines »Verfassungstreue-Checks« für zukünftige Lehrer, Polizisten, Richter und Staatsanwälte zu einem Zeitpunkt, wo sich zum 51. Mal die Verabschiedung des »Radikalenerlasses« in der BRD jährt. Während in Niedersachsen eine Landesbeauftragte die negativen Folgen des Erlasses analysiert und eine Rehabilitierung der Opfer auf den Weg gebracht wird und sich Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) bei den Opfern jenes Erlasses entschuldigt, brüstet sich Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) mit dem Aufguss eines »Extremistenbeschlusses« von 1972 für Brandenburg.

Dabei waren die Auswirkungen des Erlasses, der treffend als ideologische Schleppnetzfahndung charakterisiert wurde, fatal. Mit ihm wurde zwingend vorgeschrieben, dass jeder Beamte im öffentlichen Dienst »jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintreten« muss. Dies galt nicht erst ab dem Eintritt in den Staatsdienst, sondern bereits für das Studium oder die Ausbildung. Der Durchsetzung diente eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz.

Die Resultate waren verheerend. Denjenigen, denen der Zugang zum öffentlichen Dienst verwehrt wurde, warf man fast ausnahmslos legale politische Aktivitäten wie die Kandidatur bei Wahlen, die Teilnahme an Demonstrationen, das Unterschreiben politischer Erklärungen oder die Mitgliedschaft in kommunistischen, sozialistischen und anderen Organisationen bis hin zur Friedensbewegung vor. Dieses Vorgehen stellte eine ganze Generation unter Generalverdacht. Es schaffte bei den Betroffenen entweder eine Distanz zum Staat oder produzierte Angepasstheit und Duckmäusertum. Der »Radikalenerlass« und die auf ihm fußenden Berufsverbote beschädigten die Demokratie nachhaltig.

Die Berufsverbotspraxis verstieß gegen Grundnormen des internationalen Arbeitsrechts. Zu diesem Ergebnis kam 1987 die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), eine Sonderorganisation der Uno. Ein zentraler Kritikpunkt war die in den Verfahren praktizierte Prognose der Verfassungstreue. Als Grundlage für die Ablehnung einer Bewerbung oder für eine Entlassung diente nicht etwa ein konkretes Fehlverhalten. Vielmehr wurde von legalen politischen Aktivitäten und der echten oder vermeintlichen Gesinnung des Kanidaten, abgeleitet aus nicht überprüfbaren Geheimdiensterkenntnissen, auf künftiges Fehlverhalten geschlossen.

Mit Rechtsstaatlichkeit hat das wenig zu tun. 1995 urteilte der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Fall einer aufgrund ihrer bloßen Mitgliedschaft in der DKP mit Berufsverbot belegten Lehrerin, dass ihr Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit verletzt wurde.

Zwar hat Stübgen vergleichsweise einen »Radikalenerlass light« auf den Weg gebracht, aber die Kritik am Vorbild trifft auch auf den Brandenburger Gesetzentwurf zu. Auch die Brandenburger Regelungen manifestieren einen unverhältnismäßigen Generalverdacht gegen jeden und führen ein im Grunde gleiches Prognoseverfahren ein. Der Kern der Überprüfung ist ebenfalls die Regelanfrage beim Verfassungsschutz. Dieser entscheidet de facto über den Lebensweg der Bewerber. Dabei ist der Geheimdienst nicht erst seit der Aufdeckung der NSU-Morde und seiner Verstrickung darin als Adressat einer Regelanfrage hinlänglich diskreditiert. Er ist ein Fremdkörper in der Demokratie.

Das ist auch eine Schlussfolgerung aus der Arbeit des Brandenburger NSU-Untersuchungsausschusses von 2016 bis 2019. Dieser arbeitete heraus, dass die Tätigkeit der Schlapphüte geprägt ist durch mangelnde Transparenz, mangelnde Reglementierung und fehlende Überprüfbarkeit der Angaben einer im Geheimen agierenden Behörde. An Recht und Gesetz fühlt sich der Verfassungsschutz im Zweifel nicht gebunden.

Wenn man die Äußerungen Stübgens zu den gewaltlosen Aktionen der Klimaaktivisten, die für ihn hart zu bestrafende »Extremisten« sind, oder zur Roten Hilfe liest, schwant einem nichts Gutes, die Auslegung des Gesetzes betreffend. Nach dem Brandenburger Entwurf sind Voraussetzungen für eine Nichteinstellung in den öffentlichen Dienst unter anderem die Teilnahme an »einschlägigen Veranstaltungen« oder die Zugehörigkeit zu »Beobachtungsobjekten« des Verfassungsschutzes. Danach könnte der Autor dieser Zeilen, der schon für die »junge Welt«, für »nd« und die »Marxistischen Blätter« geschrieben hat und Mitglied der VVN-BdA war – seine Urgroßmutter und sein Großvater wurden von den Nazis in Konzentrationslager verschleppt – wohl nicht im öffentlichen Dienst Brandenburgs arbeiten.

Enttäuschend ist, dass offensichtlich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Projekt bisher mitträgt. Liegen doch die Wurzeln der westdeutschen Grünen auch im Kampf gegen den »Radikalenerlass«. Darüber hinaus sind da die Bürgerrechtler aus der DDR, die als Bündnis 90 für einen anderen Ursprung der Partei stehen. Nach ihren Erfahrungen mit der Staatssicherheit sollte nach ihren Vorstellungen kein Geheimdienst mehr über die Lebensperspektiven der Bürger bestimmen. Haben sie aufgehört, Bürgerrechtler zu sein?

Für eine funktionierende Demokratie ist pauschales Misstrauen nicht angemessen. Erforderlich sind konkrete Einzelfallprüfungen und eine konsequente Anwendung des Dienstrechts, um zu verhindern, dass Neonazis sich in den Schulen, in der Justiz und in der Polizei einrichten. Zudem müssen die strukturellen Ursachen für einen Rechtsextremismus in Teilen der Polizei erkannt und ausgeräumt werden. Das wäre für den Innenminister ein lohnendes Projekt. Einen neuen »Radikalenerlass« braucht es nicht.

Unser Autor ist promovierter Jurist und Autor. Von 2009 bis 2013 war der Linke-Politiker Justizminister des Landes Brandenburg.

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