Lichtenberg: Linke sucht nach Erklärungen für verlorene Wahl

Nur noch Platz zwei: Linke sucht nach Erklärungen für den Wahlausgang in einstiger Hochburg

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 7 Min.
Im Roten Rathaus von Lichtenberg könnte demnächst tatsächlich ein CDU-Mann den Chefposten einnehmen.
Im Roten Rathaus von Lichtenberg könnte demnächst tatsächlich ein CDU-Mann den Chefposten einnehmen.

Die Laune bei den Linken in Lichtenberg war schon mal besser nach einer Wahl. »Das Ergebnis ist enttäuschend. Einen Großteil unserer Wahlziele haben wir verfehlt«, sagt Sebastian Schlüsselburg zu »nd«. Der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus konnte sein seit 2016 gehaltenes Direktmandat im Wahlkreis Lichtenberg 4 immerhin verteidigen. Ansonsten spricht er mit Blick auf die Wahlergebnisse im Ostberliner Großbezirk von einem »Denkzettel«, den die Wähler seiner Partei verpasst hätten.

Linke in anderen Berliner Bezirken dürften von Jammern auf hohem Niveau sprechen. Schließlich hat die Partei bei den Wahlen zur Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg nach dem vorläufigen Endergebnis knapp 23 Prozent und damit 14 von 55 Sitzen geholt. Verglichen mit der für ungültig erklärten Wahl im September 2021 sind das rund zwei Prozentpunkte weniger. Berlinweit ist es aber immer noch das beste Ergebnis auf Bezirksebene. 

Und für Lichtenberg ist es trotzdem eine Zäsur. Denn zum ersten Mal seit 1990 sind die lange Zeit erfolgsverwöhnten Sozialisten im Bezirk nicht mehr die stärkste Kraft. Das ist seit dem Wahlsonntag auch hier die CDU, die in Lichtenberg nun auf fast 24 Prozent kommt, rund zehn Prozentpunkte mehr als vor gut eineinhalb Jahren.

»Das Wahlergebnis zeigt, dass wir jetzt ehrlich zu uns selbst sein und eine vorbehaltlose Wahlanalyse machen müssen«, sagt Schlüsselburg. Gemeinsam mit Lichtenbergs Bezirksbürgermeister Michael Grunst, der zweiten Verteidigerin eines Direktmandats für das Abgeordnetenhaus im Bezirk, Hendrikje Klein, und sieben weiteren Linke-Politikern hat Schlüsselburg für den Bezirksparteitag an diesem Samstag einen Antrag eingereicht, mit dem genau diese Wahlanalyse angestoßen werden soll. Titel: »Nach den Wahlen ist vor den Wahlen«. 

Gefordert wird in der einstigen Dauer-Hochburg unter anderem, »in einem partizipativen Verfahren mit der Mitgliedschaft die notwendigen inhaltlichen und organisatorischen Schlussfolgerungen für den Bezirksverband selbst und seine politische Arbeit zu ziehen«. Auch wird die Linksfraktion in der BVV »gebeten, eine interne Analyse ihrer Arbeit vorzunehmen«. Und auch hier geht es um die zu ziehenden Schlussfolgerungen. Die beiden Vorsitzenden der Linksfraktion gehören nicht zu den Antragstellern. 

Probleme in Sachen Parteiarbeit sieht Sebastian Schlüsselburg nicht zuletzt im Ortsteil Neu-Hohenschönhausen. Ausgerechnet in der Großwohnsiedlung am Stadtrand, in der die Sozialisten zu ihren besten Nachwendezeiten fast 60 Prozent absahnten, landete Die Linke mit rund 15 Prozent nur noch auf Platz drei, weit abgeschlagen hinter der CDU, aber auch noch hinter der rechtsextremen AfD. 

Schlüsselburg sagt: »Du kannst so einen Wahlkampf nicht nur mit Bratwurstständen bestreiten.« Man müsse die Wähler mit konkreter Kiezpolitik überzeugen. »Anders als früher haben wir es in Hohenschönhausen schon in den vergangenen Jahren nicht mehr geschafft, die Leute mit Themen ›abzuholen‹, die sie beschäftigen.« Das zumindest, so Schlüsselburg weiter, sei sein »Rezept« in seinem Wahlkreis, der mit dem südlichen Teil von Fennpfuhl ja auch eine Großwohnsiedlung umfasst.

Zur Wahrheit gehört, dass am Sonntag vor eineinhalb Wochen in etlichen Wahllokalen in Neu-Hohenschönhausen weniger als 20 Prozent der Wahlberechtigten überhaupt von ihrem Stimmrecht Gebrauch gemacht haben. Auch ansonsten war die Wahlbeteiligung im gesamten Bezirk mit 55 Prozent schlechter als im berlinweiten Schnitt. Schlüsselburg sagt daher auch: »Der Wahlgewinner dieser Wiederholungswahl ist die CDU. Der Wahlverlierer ist, wenn man sich die Wahlbeteiligung anschaut, die Demokratie.« 

Der Linke-Rechtsexperte hatte von vornherein Vorbehalte gegen die Komplettwiederholung der Berlin-Wahlen vom September 2021 und gehört zu den gut 40 Berliner Landes- und Bezirkspolitikern, die vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Entscheidung der Berliner Landesverfassungsrichter geklagt hatten.

Wie es nun konkret in Lichtenberg weitergeht, ist vorerst unklar. Zum einen ist bislang ungeregelt, ob das aktuelle Bezirksamt mit Linke-Bürgermeister Michael Grunst an der Spitze einfach weitermachen kann – oder ob man sich einer Neuwahl stellen wird. Eine Diskussion, die alle zwölf Bezirke betrifft. Im Abgeordnetenhaus laufen unter Einschluss der CDU Gespräche für eine entsprechende gesetzliche Regelung. Zum anderen fehlt dem Wahlsieger CDU auch in der BVV Lichtenberg die für eine Abwahl Grunsts und der gesamten Bezirksamtsriege eigentlich notwendige Zweidrittelmehrheit. Mit 15 Sitzen sind die Christdemokraten sogar von einer einfachen Mehrheit deutlich entfernt. 

Die Bezirks-Linken um Grunst und Schlüsselburg verweisen in ihrem Antrag für den Parteitag am Samstag dann auch darauf, dass man zusammen mit SPD und Grünen, die neun beziehungsweise sieben Sitze erringen konnten, »über eine Gestaltungsmehrheit von 30 Sitzen« verfüge: »Die Linke Lichtenberg möchte vor dem Hintergrund der großen inhaltlichen Schnittmengen mit diesen Parteien diese Mehrheit für eine soziale, solidarische und ökologische Gestaltung Lichtenbergs nutzen« – mit Grunst als altem und neuem Bezirksbürgermeister.

Nun klingt die Formel von den »großen inhaltlichen Schnittmengen« bei Rot-Rot-Grün erst einmal nicht abwegig. Allerdings ist die Ausgangslage in Lichtenberg mehr als kompliziert. Dies vor allem, weil Die Linke um Bürgermeister Grunst und die SPD um Baustadtrat Kevin Hönicke in der BVV einander seit vielen Jahren in herzlicher Abneigung verbunden sind. In Anspielung auf die Fernsehserie »House of Cards« und die dort zelebrierten Intrigen im Politikbetrieb wird auch vom »House of Lichtenberg« gesprochen, wenn Linke und SPD mal wieder übereinander herfallen. Und SPD-Mann Hönicke hatte in mehreren seiner zahllosen Twitter-Botschaften nach der Wiederholungswahl bereits erkennen lassen, dass es auch in Lichtenberg kein »Weiter so« geben dürfe.

Sofern sich das Bezirksamt einer Neuwahl stellt, könnte für den Posten des Bezirksbürgermeisters also tatsächlich die CDU mit ihrem Verkehrsstadtrat Martin Schaefer zum Zuge kommen. Schaefer selbst gibt sich in dieser Hinsicht auf »nd«-Anfrage diplomatisch. Er freue sich, »von den Wählerinnen und Wählern so ein gutes Ergebnis für die Gestaltung der nächsten Jahre mitbekommen zu haben«, sagt er. »Es ist eine Ehre, in Lichtenberg stärkste Kraft zu sein.« 

Ihm gehe es politisch bei alldem um die für die Union wichtigen Punkte. Als da wären: »Mobilität für alle, eine bessere Ärzteversorgung, nachhaltiger Wohnungsbau mit grünen Innenhöfen, Ordnung und Sicherheit.« Also eigentlich fast alles. Man suche nun »Partner«, mit denen man das umsetzen könne. »Dann ist auch zu klären, welche Aufgaben unsere beiden Mitglieder im Bezirksamt übernehmen werden.« Die Betonung liegt auf »unsere beiden Mitglieder«. Denn bisher ist die CDU im Bezirksamt nur mit einem Stadtrat vertreten, Schaefer eben.

Unterdessen ist eine Frage im Zuge der Wahlwiederholung wenigstens nach dem Willen der Bezirkswahlleitung vorerst ad acta gelegt: das Hickhack um das Direktmandat für das Abgeordnetenhaus im Wahlkreis Lichtenberg 3, mit dem es der Bezirk gleich mehrfach in die Hauptnachrichtensendungen aller großen Fernsehsender geschafft hat.

Wie berichtet, gab es hier in der vergangenen Woche zwischenzeitlich ein Erstimmen-Patt zwischen der Direktkandidatin der Linken, Claudia Engelmann, und ihrem Herausforderer von der CDU, Dennis Haustein. Beide kamen exakt auf je 4243 Stimmen. Einige Nachzählrunden später lag Haustein – wie am Wahlabend auch – wieder um zehn Stimmen vor Engelmann. Am Montag folgte dann die Entscheidung: Haustein gewinnt das Mandat, Engelmann geht leer aus.

Die bisherige queer- und sportpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus will das nicht hinnehmen. Claudia Engelmann kritisiert, »dass der Bezirkswahlleiter und der Bezirkswahlausschuss weder eine Kontrollzählung des Wahlkreises 3 beschlossen haben noch überhaupt eine Diskussion über die strittigen Wahllokale möglich war«. Für sie steht fest: »Der Bezirkswahlausschuss wurde zu einem Abnickautomaten degradiert.« Dabei hätten die bisherigen Prüfungen und Teilauszählungen gezeigt, »dass es für mindestens weitere elf Stimmen und eine Vielzahl als ungültig gewertete Stimmen Zweifel an dem festgestellten Wahlergebnis« gebe, die nur durch eine vollständige Kontrollzählung ausgeräumt werden könnten. 

Linke-Politikerin Engelmann baut nun auf den Landeswahlausschuss als der dem Bezirkswahlauschuss übergeordneten Instanz. Und sie geht mit Blick auf die für kommenden Montag geplante Feststellung des amtlichen Endergebnisses der Berlin-Wahl noch weiter: »Sollte eine vollständige Kontrollzählung durch den Landeswahlausschuss nicht noch bis zur Feststellung des amtlichen Endergebnisses erfolgen können, werde ich Rechtsmittel beim Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin einlegen. Das umfasst den Antrag auf einstweilige Anordnung, den Zusammentritt des Abgeordnetenhauses zu verschieben«, sagt Engelmann. Das klingt nach Ärger. Zumindest in Lichtenberg kennt man sich damit aus.

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