Hitler sells

Nach Jahrzehnten wird erstmals der Inhalt der falschen Hitler-Tagebücher öffentlich. Der Verfasser Konrad Kujau hatte Verbindungen zu Neonazis

In der Welt des Marketing gibt es die Binsenweisheit, dass selbst negative Nachrichten gute Werbung sind. Sollte das zutreffen, müsste beim Verlagshaus Gruner + Jahr und bei der Mediengruppe RTL geradezu Festtagsstimmung herrschen. Sicher, Schlagzeilen aus den vergangenen Wochen wie »Räumungsverkauf bei Gruner + Jahr« oder »RTL streicht 700 Arbeitsplätze« lösen nicht bei allen Beteiligten Jubelrufe aus. Am allerwenigsten bei den Autor*innen und Redakteur*innen von Magazinen, die nach der Fusion des traditionsreichen Verlagshauses mit RTL verkauft oder gänzlich eingestellt werden sollen.

Doch gemäß der Erkenntnis der Marketingbranche dürfte zumindest in der Werbeabteilung der Laden brummen. Dass der Verlag weiterhin in den Schlagzeilen bleibt, ist nicht zuletzt dem NDR zu verdanken. Dieser hat jüngst historische Dokumente wissenschaftlich aufbereitet, die seit nunmehr vier Jahrzehnten gut verschlossen im Safe bei Gruner + Jahr ihr Dasein fristeten – und die allem Anschein nach überhaupt nicht für die Augen der Öffentlichkeit bestimmt sein sollten. Um »Missbrauch zu verhindern«, wie es vom »Stern«, dem Flaggschiff des Verlages, heißt. Die Rede ist von den sogenannten Hitler-Tagebüchern.

Enge Kontakte ins Neonazi-Milieu

Zur Erinnerung: In den 80er Jahren ließ der »Stern« sich für über neun Millionen D-Mark insgesamt 62 Bände Tagebücher des falschen Führers unterjubeln und veröffentlichte – allen Zweifeln an deren Authentizität zum Trotz – unter großem Getöse erste Auszüge. Das Magazin prophezeite damals: »Die Geschichte des Dritten Reichs wird in großen Teilen umgeschrieben werden müssen.« Mochte man dem Inhalt der Tagebücher damals Glauben schenken, erscheint diese Formulierung nicht einmal übertrieben. »Der fiktive Hitler hat mit nationalsozialistischen Gewaltverbrechen nichts zu tun, er ist sogar derjenige, der versucht, seine Parteigenossen im Zaum zu halten«, fasst die an der NDR-Auswertung beteiligte Historikerin Heike Görtemaker die Lektüre zusammen.

Wie für Prophezeiungen üblich, sollte auch die des »Stern« nicht in Erfüllung gehen. Schon zwei Wochen nach der Veröffentlichung stellte sich heraus, dass man dem Fälscher Konrad Kujau auf den Leim gegangen war. Neue Recherchen weisen darauf hin, dass dieser mehr als nur finanzielles Interesse an dem gesamten Unterfangen gehabt haben könnte. Immerhin pflegte Kujau zu jener Zeit enge Kontakte ins Umfeld der damaligen Neonazi-Größe Michael Kühnen und dessen »Aktionsfront Nationaler Sozialisten«.

Obgleich der größte Medienskandal des Hauses in den vergangenen Jahren bereits vom »Stern« in einer Podcast-Reihe sowie von RTL mit einer Mini-Serie bedacht wurde, spielte dieser Aspekt bislang keine Rolle. Im Jubiläumsjahr des großen Schwindels darf man daher wohl durchaus auf die nächste Ausgabe »Stern-Crime«, das »True-Crime-Magazin über wahre Geschichten und Verbrechen«, gespannt sein. Vorausgesetzt natürlich, der Titel kommt bis dahin nicht auch noch auf die Gruner + Jahr-Abschussliste.

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