Transformationsfantasien

Für ein stabileres Klima müsste der Naturverbrauch sozialökologisch reduziert werden. Aber wie soll das umgesetzt werden?

  • INTERVIEW: Alexander Amberger
  • Lesedauer: 5 Min.
Befreiung vom Autowahnsinn klappt im Kapitalismus faktisch nur in absoluten Krisenzeiten: Die A40 während des Corona-Lockdowns, April 2020
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In ihrem Bestseller »Das Ende des Kapitalismus« plädiert Ulrike Herrmann für eine »Kriegswirtschaft«, um die Klimakatastrophe abzuwehren. Wäre das auch für Sie ein Vorbild?

Interview

Frank Adler ist Soziologe und arbeitet zu Postwachstum und sozialökologischer Transformation. Sein jüngstes Buch »Wachstumskritik, Postwachstum, Degrowth. Wegweiser aus der (kapitalistischen) Zivilisationskrise« erschien 2022 im Oekom-Verlag.

Wachstumskritik – Transformationsfantasien

Die britische Kriegswirtschaft ist kein gelungenes Beispiel für einen demokratisch gelenkten Übergang zu einer ökologisch gezielt schrumpfenden Industrie. Da gibt es bessere Vorschläge für den Einstieg in ein »Degrowth by Design«. Aber anderen wachstumskritischen Thesen der Autorin möchte ich ausdrücklich zustimmen. Gut begründet ist ihre Skepsis, dass die verfügbare grüne Energie nicht ausreichen wird, um das bisherige Ausmaß wirtschaftlicher Aktivität in Ländern wie Deutschland aufrechtzuerhalten, geschweige denn, als energetische Basis einer stetig wachsenden grünen Wirtschaft zu dienen.

Welche politischen Konsequenzen hätte das für die Bundesregierung und die EU?

Aus diesem Befund und dem wahrscheinlichen Verfehlen der Klimaziele bis 2030 können sehr unterschiedliche Konsequenzen abgeleitet werden: Die Klimaziele für 2030 ff. »anpassend« verwässern? Rückfall in die Kernenergie? CO2 abscheiden oder aus der Atmosphäre absaugen? Andere unausgereifte Technologien jetzt schon praktizieren und Geoengineering vorantreiben? Hier zeichnet sich ein Epizentrum von Kontroversen und Konflikten ab. Der Tenor lautet quer durch politische Lager: Der Ausweg aus der näher rückenden Klimakatastrophe liegt in öko-technischen Lösungen.

Und das greift Ihrer Meinung nach zu kurz? Was wäre denn ein Alternativvorschlag?

Wir benötigen gesellschaftliche Wege zu Klimaneutralität, die den Bedarf an Energie und Naturverbrauch verringern. Bisher werden solche Lösungen weitgehend tabuisiert. Ergänzend zur Dekarbonisierung braucht es eine rasche sozialökologische Reduktion unseres Naturverbrauchs. Gemeint sind damit Strategien eines ökologisch gezielten, demokratisch legitimierten und sozial gerecht verringerten Umfangs von Wirtschaften in Ländern des globalen Nordens. Das ginge über politische Innovationen und Rückbauten, die ohne umfangreiche Investitionen auskommen. Als Leitprinzip kann gelten: Ein Weniger an Naturverbrauch, das mit einer besseren Lebensqualität für Mehrheiten einhergeht, weil es ökologisch gerecht – nach dem Verursacherprinzip – und demokratisch gestaltet wird.

Weniger Verbrauch bei besserer Lebensqualität, wie soll das in einer Konsumgesellschaft funktionieren?

Dafür gibt es vielfältige Möglichkeiten. Beschränkt werden könnten Produkte oder Praktiken, die beim erreichten Grad von Naturbelastung ökologisch skandalös sind oder als luxuriöse Statussymbole eine imperiale Lebensweise repräsentieren, ebenso gesellschaftliche Bedingungen, die solche Bedarfe begünstigen. Zu stärken wären reproduktive und regenerative Dienstleistungen, die auf Bildung, Gesundheit und Pflege, auf Klimaschutz- und Klimaanpassung, auf öffentlich verfügbare Basisgüter wie Mobilität gerichtet sind. Sinnvoll wären Verbote oder Moratorien für Investitionen, die ökologisch besonders schädliche Pfadabhängigkeiten zementieren, etwa neue Flugplätze oder Autobahnen, ebenso kontinuierlich sinkende Obergrenzen für den Verbrauch ökologisch problematischer Produkte oder Naturverbräuche wie Flächenversiegelung oder Rohstoffentnahmen jenseits von CO2. Geschlechter- und bedarfsgerecht verringerte Erwerbsarbeitszeiten wären ein reduktiver Schritt, zugleich solidarischer Puffer für die entfallenen Arbeitszeiten in den abgewickelten Bereichen und Freiraum für Eigenarbeit, für Muße oder öffentliches Engagement. Zu diskutieren wäre auch, welche Tätigkeitsbereiche ohne Verluste an Gemeinwohl oder Lebensqualität sozial verträglich eingeschränkt werden können, zum Beispiel Sektoren von Werbung und Finanzdienstleistungen. Längst überfällig sind Tempolimits sowie der Wegfall ökologisch schädlicher Subventionen.

Einiges davon wird seit Jahrzehnten gefordert ohne Erfolg.

Die Lage hat sich in mehrfacher Hinsicht verändert. Solche rasch wirksamen Schritte werden angesichts drohender Kipppunkte dringlicher. Auch im Vergleich zu den Risiken von etwa Geoengineering sind sie das »kleinere Übel«. Alle werden an Lebensqualität und Zukunftssicherheit gewinnen. Menschen mit geringem Einkommen werden Vorteile haben, während Spitzenverdiener mit entsprechend großem ökologischem Fußabdruck Privilegien einbüßen. Politische Eingriffe in Marktmechanismen und persönliche Gewohnheiten erscheinen seit Corona nicht mehr als völlig abwegig. Manche Selbstverständlichkeit ist in den vergangenen drei Jahren durch neue Erfahrungen brüchig geworden: Knappheiten und Engpässe, staatliche Priorisierungen und Kontingentierungen statt »unbegrenzter« Verfügbarkeiten auf »freien Märkten«; fragile globale Wertschöpfungsketten; politisch gedeckelte oder sozial gestaffelte Preise für Grundgüter etc. Nicht zuletzt sind sozialökologisch reduktive Forderungen auch im Fokus sozialer Bewegungen und Konflikte.

Diese Engpässe werden aber nur hingenommen, weil sie als temporäre Krise gelten. Ist deshalb nicht mit scharfem Gegenwind zu rechnen?

Aus verschiedenen Richtungen. Allein schon die Tatsache, dass viel mehr als jetzt politisch, demokratisch, nach breiter öffentlicher Debatte zu gestalten wäre, somit der neoliberal postulierten höheren Weisheit von Markt und Wettbewerb entzogen wird, ist eine Provokation, die als Bevormundung, Freiheitsbeschränkung oder Wettbewerbsnachteil denunziert wird. Aber damit wird nur ein ohnehin notwendiger Diskurs forciert: Was bedeuten Wohlstand, Fortschritt, Freiheit für eine Gesellschaft, die – insbesondere ihre Oberschicht – einen maßgeblichen Anteil an der Klimakrise hat? Brauchen wir nicht eine »Streichliste« von – allein schon durch ihre Symbolik – klimaschädlichen Produkten und Praktiken, von Privatflugzeugen bis zu SUVs, die beim Verfehlen von Klimazielen in Kraft tritt? Wie wäre eine solche Auswahl demokratisch zu ermitteln, politisch und ökonomisch nach dem ökologischen Verursacherprinzip, also deprivilegierend auszubuchstabieren? Darüber muss diskutiert werden. Auch im linken Spektrum ist der Glaube an ökologische Problemlösungen durch Technologie, an eine öko-neutrale Fortsetzbarkeit von BIP-Wachstum dank 100-prozentiger Erneuerbare-Energien-Basis stark. Aber wenn sich das zunehmend als illusorisch erweist, wenn keine monetären Zuwächse mehr zu verteilen sind, sollten einige Fragen jetzt bereits intensiver diskutiert werden: Soziale Angleichung wäre nur durch Umverteilung von oben nach unten auf diversen Wegen möglich.

Am 1. März 2023 um 19 Uhr diskutiert Alfred Adler in der Hellen Panke (Kopenhagener Str. 9, 10437 Berlin) über das Thema »Sozialökologische Reduktion von Naturverbrauch als linke Transformationsstrategie«.

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