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Wuppertal: Ditib kommt, Autonome sollen weg.
Stadtrat in Wuppertal macht den Weg frei für Gotteshaus von umstrittener Vereinigung
»Kein Tag ohne Autonomes Zentrum!« schallt es vom dunklen, nassen und kalten Johannes-Rau-Platz dem hell erleuchteten Wuppertaler Rathaus entgegen. Aus großen Boxen erklingt, wie könnte es anders sein, der Ton-Steine-Scherben Klassiker vom Rauch-Haus. Drinnen im Rathaus ist vor wenigen Minuten eine Debatte zu Ende gegangen, die das Ende des Autonomen Zentrums bedeuten könnte. Im Zentrum der Debatte stand allerdings nicht das linke Kulturzentrum, sondern eine Moschee. Genauer gesagt: Pläne für einen Neubau der lokalen Gemeinde der Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib). Für diese Pläne, die neben der Moschee auch ein Seniorenheim, eine Kita und Wohnungen für Studierende umfassen, soll das Autonome Zentrum weichen.
Schon seit vielen Jahren möchte die Ditib-Gemeinde eine neue Moschee in Wuppertal bauen. Ihr altes Gelände, das in direkter Nachbarschaft des geplanten Neubaus liegt, ist für hunderte Mitglieder, die regelmäßig dort beten, zu klein. Der Neubau soll groß und repräsentativ werden. Die Stadtverwaltung und die Mehrheit der Wuppertaler Parteien begrüßen das Projekt. Sie versprechen sich von dem Neubau vor allem einen Beitrag zur Stadtteilentwicklung. Aufwertung, wie Kritiker*innen es nennen. Denn Kioske, Wettbuden und Shisha-Bars an der Gathe, wo das Autonome Zentrum sich befindet, sollen verdrängt werden.
Die zentrale Einfahrt in den Stadtteil soll hübscher werden. Die Ditib weiß, dass das der Stadt wichtig ist. In einer Präsentation zitiert sie Artikel über kriminelle Vorfälle in der Gegend. Ihr hingegen liege »Sicherheit am Herzen«. In der Stadtspitze hat das einige zu Ditib-Fans gemacht. Oberbürgermeister Uwe Schneidewind (Grüne) geriet kürzlich fast ins Schwärmen für das Projekt. Die Gemeinde setze einen »zentralen städtebaulichen Akzent«, das sei ein »ganz kraftvolles Signal«. Vorurteile über Ditib träfen außerdem nicht auf den Wuppertaler Verein zu.
Über die besondere Gemeinde in Wuppertal sprechen am Montagabend bei der Ratssitzung Vertreter verschiedener Parteien. Ein CDU-Mann weiß von der guten Zusammenarbeit mit der Gemeinde zu berichten. Diese hatte sich 2014 von der salafistischen »Scharia-Polizei« distanziert, die auf der Gathe patrouillierte. In der Corona-Pandemie bot Ditib sogar Impfungen an. Sorge vor einer Beeinflussung durch den türkischen Staat muss man bei der lokalen Gemeinde nicht haben, ist sich der SPD-Vorsitzende Servet Köksal sicher. Auch Erdogan-Kritiker hätten »kein Problem, diese Gemeinde zu besuchen, weil die Gemeinde bereits nach ihrer eigenen Satzung ein politikfreier Ort ist«, berichtet er.
Andere Menschen dagegen haben nicht so viel Vertrauen in die Gemeinde. Ulrich Klan etwa, der lange Lehrer an einer Gesamtschule war und sich selbst als »eine Art Hausmeister des Stadtteils« bezeichnet. Klan ist sich sicher, »auch in der Stadtverwaltung weiß man, dass es im Umfeld von Ditib Menschen gibt, die andere bedrohen«.
Klan engagiert sich für das Andenken von Armin T. Wegner, einem aus Wuppertal stammenden Schriftsteller, der den Völkermord an den Armeniern fotografisch und literarisch festhielt. Als eine Büste für Wegner aufgestellt wurde, habe die Stadt dafür gesorgt, dass die Öffentlichkeit davon kaum Notiz nehme, aus Sorge vor Leugnern des Völkermords. Klan erzählt das alles bei einer Veranstaltung von Ditib-Kritiker*innen aus dem Umfeld des Autonomen Zentrums.
Dort sitzt auch der Linkspolitiker Civan Akbulut auf dem Podium. Die Geschichte von der lokalen Gemeinde, die ganz anders sei als der Verband, kennt der Essener. Dort wollte Ditib zum Träger der Jugendhilfe werden. Akbulut sprach sich dagegen aus, erst alleine, dann mit Unterstützung von Verbänden und Vereinen. Kritische Stimmen wurden auch in der Essener Lokalpolitik laut. Irgendwann brach Ditib den Dialog mit der Stadt ab. Der Antrag liegt seitdem auf Eis. Ein Teilerfolg für Akbult, der auch von Morddrohungen berichtet, von denen sich die Essener Ditib nie distanziert habe.
Wie wenig kritische Beiträge zu den Mitgliedern des Wuppertaler Stadtrats durchgedrungen sind, das zeigte auf beeindruckende Weise das Stadtratsmitglied Sascha Carsten Schäfer (Grüne). Dieser hatte zwar mitbekommen, dass es von Nachbar*innen der Moschee und vom Politikwissenschaftler Ismail Küpeli Kritik am Auftritt des Hisorikers Mehmet Işık gab. Er wischte diese aber beiseite, in dem er zu den im Zuscherbereich sitzenden Ditib-Vertretern bei der Ratssitzung sagte: »Es war vielleicht nicht die beste Idee, diesen einen Historiker einzuladen.« Eventuell könne Ditib beim nächsten Mal einen anderen einladen. Ein freundlicher Ratschlag, angesichts eines Referenten, dem Ismail Küpeli attestiert, Formulierungen zu nutzen, die für »für verschiedene Feindbilder aus der Verschwörungsideologie des türkischen Nationalismus« stehen. Işık schreibt in seinen Büchern unter anderem über »Zionisten« und »Krypto-Armenier«.
Am Ende stimmte eine ganz große Koalition aus SPD, CDU, FDP und Grünen mehrheitlich für den Zielbeschluss, Ditib eine Moschee an der gewünschten Stelle errichten zu lassen. Für das Autonome Zentrum soll ein Ersatzobjekt gefunden werden. Konkrete Gespräche gibt es bisher nicht.
Vor dem Rathaus ist am Montagabend nicht mehr viel los, als die letzten Takte des Rauch-Haus-Songs ausklingen. Man fängt mit dem Einpacken an. Ein paar Menschen rufen Ratsmitgliedern, die das Rathaus verlassen, ein wütendes »Schämt euch!« entgegen. Andere diskutieren mit ihnen. Als eine Gruppe von acht sehr jungen Zentrums-Unterstützer*innen den Platz verlässt und noch einmal ruft, dass es keinen Tag ohne Autonomes Zentrum geben wird, gehen ihnen direkt vier Polizisten in Kampfausrüstung hinterher. Die Beamten lassen die jungen Linken aber unbehelligt zur Schwebebahn gehen. Doch ein wenig nervös scheint man auf polizeilicher Seite schon zu sein: Bis spät in den Abend fahren Mannschaftswagen Streife in der Gegend um das Autonome Zentrum.
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