Vegane Fleischerei: »Schmeckt genauso wie Leberwurst«

Seit Stefan Meyer-Goetz eine vegane Fleischerei eröffnet hat, sorgt das Thema für Diskussionen. Ihm wird unter anderem Etikettenschwindel vorgeworfen

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 6 Min.

Herr Meyer-Goetz, Sie haben mit drei Mitstreitern in Dresden eine vegane Fleischerei eröffnet. Sind Sie Veganer?

Zwei von uns sind Veganer, die anderen beiden, zu denen ich gehöre, »Teilzeit-Veganer«. Wir alle sind Menschen, die darüber nachdenken, was sie essen und wo die Lebensmittel herkommen. Bei allen von uns hat sich der Konsum tierischer Produkte dadurch verändert. Ich habe früher regelmäßig Fleisch gegessen. Seit es unser Geschäft gibt, verzichte ich vollständig.

Interview

Stefan Meyer-Goetz hat zu Beginn des Jahres in Dresden die »Vegane Fleischerei« eröffnet, die seither in der Stadt für scharfe Kontroversen sorgt und über die deshalb mittlerweile bundesweit berichtet wird. Der 40-Jährige ist eigentlich Händler für Roh- und Röstkaffee und Kaffeeexperte. In der »Veganen Fleischerei« kümmert er sich um das Marketing.

Gab es einen konkreten Anlass zu überlegen, ob Sie weiter Fleisch essen wollen?

Eine Rolle spielten Filme über Massentierhaltung. Die Bedingungen dort sind unwürdig, haben nichts mit Tierwohl zu tun und sind auch für die Qualität des Fleischs nicht gut. Aus Nahrungsmitteln beziehen wir die Energie für den Tag. Da sollte man sich schon bewusst machen, was man konsumiert, und nicht nur auf den Preis schauen.

Wie denken Sie über das Töten von Tieren?

Mein Vater und meine Schwester sind Jäger. Sie schießen also Tiere. Da geht es aber nicht um Sonntagsbraten oder gar Lust am Töten, sondern um die Regulierung von Beständen und den Schutz des Waldes. Solches Wild zu essen, kann man vertreten. Ich lasse es aber.

Vermissen Sie etwas ohne Fleisch?

Nein. Manche sagen, sie haben Sehnsucht nach einem bestimmten Geschmack. Wir alle sind da ja aus unserer Kindheit geprägt. Der Duft eines Bratens weckt sentimentale Erinnerungen. Aber vieles hängt da weniger am Fleisch als an Gewürzen, Aromen, der Textur. Und das lässt sich heute zum guten Teil auch unter Verzicht auf tierische Produkte nachbauen. Eier etwa: Meine Frau kommt vom Land, ihr Nachbar hält Hühner, die viel Platz haben. Von denen esse ich hin und wieder ein Ei. Aber Eiersalat gibt es auch bei uns. Da sorgt Schwefel für den Geschmack. Klingt gewöhnungsbedürftig, aber wenn man den auf dem Brot hat: kein Unterschied.

Stefan Meyer-Goetz ist eigentlich Händler für Roh- und Röstkaffee und Kaffeeexperte. In der »Veganen Fleischerei« kümmert er sich um das Marketing.
Stefan Meyer-Goetz ist eigentlich Händler für Roh- und Röstkaffee und Kaffeeexperte. In der »Veganen Fleischerei« kümmert er sich um das Marketing.

War Tierwohl der Anlass für Ihr Geschäft?

Nicht nur. Ich bin auf das Thema aufmerksam geworden durch einen meiner jetzigen Mitstreiter, der Mitinhaber eines Fitnessstudios ist, in dem ich trainiere. Er betreut auch Spitzensportler. Viele ernähren sich vegan, weil ihr Körper so schneller regeneriert. Vegan ist also gesund. Das war Anstoß zu sagen: Lass uns eine vegane Fleischerei eröffnen. Wir beide sind aber keine Köche. Also suchten wir Menschen, die das können. So ging es los.

Was ist die größte Schwierigkeit, wenn man Salami oder Schnitzel imitieren will?

An Konsistenz und Textur haben wir bei manchen Produkten lange getüftelt. Zum Glück haben wir einen Koch, der in seinem Lokal schon länger zum Beispiel vegane Burger anbot. Sicher lassen die sich leichter fleischlos herstellen als etwa ein Rumpsteak. Auch Bacon ist eine Herausforderung, der ja kross und geräuchert schmecken soll. Wir stellen ihn auf Basis von Jackfruit her. Insgesamt haben wir vor Eröffnung vier Monate experimentiert. Inzwischen kommen 70 Prozent unseres Sortiments aus eigener Herstellung.

Richtet sich Ihr Geschäft an Fleischesser mit moralischen Skrupeln oder an Veganer, die den Geschmack von Wurst vermissen?

Wir freuen uns über jeden mit Interesse. Unser Ziel ist nicht, Veganer noch veganer zu machen. Die sind in Sachen Essen ohnehin gut organisiert, weil sie zumindest bis vor wenigen Jahren sehr genau planen mussten, wo sie was einkaufen. Hier soll jeder reinkommen, der neugierig ist. Unser Laden ist modern und poppig, es läuft Musik …

… und es gibt Kacheln an den Wänden. Das Klischeebild einer Fleischerei.

Mit voller Absicht. Die Leute sollten sagen: Kenne ich. Ist vertraut – und trotzdem anders.

Woraus speist sich dieser Ehrgeiz zur Imitation? Sie könnten vegane Produkte anbieten, die nicht den Vergleich mit »richtigen« Knackern bestehen müssen.

Zum einen sind wir, wie schon gesagt, Gewohnheitsmenschen und vermissen Dinge, mit denen wir groß geworden sind, die wir damals nicht hinterfragt haben, aber jetzt nicht mehr guten Gewissens zu uns nehmen würden. Es erleichtert aber auch das Geschäft, wenn man Produkte nicht erklären muss, sondern sagen kann: Schmeckt genauso wie Leberwurst, ist aber ohne totes Tier.

Wobei Sie die Leberwurst nach Intervention der Lebensmittelbehörde umbenennen mussten, weil keine Leber drin ist.

Die Regularien sind recht strikt. Wir hatten das nicht ganz auf dem Schirm, haben aber kein Problem damit, Etiketten zu ändern. Die »Grobe Leberwurst« heißt jetzt »Die Grobe«, die Sülze »Gesülze«. Das sehen wir sportlich.

Der Laden heißt aber weiter »Fleischerei«?

Na klar. Das Label »Vegane Fleischerei« beschreibt einfach am besten, was wir sind.

… erbost aber viele. Artikel der Lokalpresse ernteten Tausende wütende Kommentare; nun wird bundesweit berichtet.

Über zu wenig Marketing können wir nicht klagen. Uns war vorab klar, dass der Name nicht allen gefallen würde, aber er war nicht als Provokation gedacht. Wir hätten es nicht für möglich gehalten, dass so eine Lawine über uns hinwegrollt. Im Laden selbst gab es kritische Nachfragen, aber keinen Zoff. In den sozialen Medien geht es hart zur Sache, bis zu Morddrohungen. Uns wird vorgeworfen, »richtige« Fleischer in ihrer Existenz zu bedrohen oder Etikettenschwindel zu betreiben. Ich finde: Bei uns steht sehr klar auf dem Ladenschild, was Sache ist. Wollte man spitzfindig sein, könnte man anmerken, dass »Fleisch« nicht nur von toten Tieren stammen muss, sondern dass es auch Fruchtfleisch gibt.

Warum ist Veganismus so ein Reizthema?

Keine Ahnung. Vielleicht fürchtet mancher, dass ihm das Fleischessen irgendwann verboten werden soll, und wir werden als Wegbereiter gesehen. Es gibt ja hier noch ein Reizthema: Das Bezahlen ist nur mit Karte möglich. Auch da fühlt sich mancher vor den Kopf gestoßen: das heilige Geld! Ihr wollt es abschaffen! Aber wir verfolgen keinen Geheimplan, sondern erleichtern uns die Abrechnung, empfinden Kartenzahlung als hygienischer und bieten Dieben keinen Anreiz.

Verbreitet wird ja das Klischee gepflegt, ein richtiger Mann brauche eben Fleisch.

Da sage ich mal: Hier sind richtige Männer am Start. Ein Mitstreiter ist Kraftsportler, das sieht man ihm auch an. Da braucht es kein Schnitzel. Vegan heißt nicht, schmalbrüstig oder anämisch zu sein. Es heißt nur, sich gesund und vollwertig zu ernähren, ohne dass Tiere sterben müssen oder ausgenutzt werden. Ich verstehe nicht, warum sich Menschen allein durch unsere Existenz angegriffen fühlen. Wir nehmen niemandem etwas weg und haben keinerlei missionarischen Anspruch. Die Entscheidung, bei uns zu kaufen, trifft jeder selbst, indem er unsere Klinke herunterdrückt. Wer das nicht möchte, lässt es bleiben. Bei allen Anfeindungen sage ich aber auch: Das Kundeninteresse ist riesig. Und selbst Fleischer waren schon bei uns. Einer sagte, wenn bei ihm Platten für Familienfeiern bestellt werden, heißt es immer mal: Da sind auch Veganer dabei. Also kommt er zu uns und schaut, was geht. Ein Fleischermeister sagte zu unserem Leberkäse: vom Original kaum zu unterscheiden. Das ist doch ein tolles Kompliment, oder?

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