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  • Geschichte der Drag-Verbote in den USA

Rechte Geschlechterpolitik: Im Westen nichts Neues

Die Soziologin Clare Sears forscht zu »Crossdressing-Bans« in den USA des 19. Jahrhunderts – den Vorläufern der aktuellen Drag-Verbote

Menschen mit Bartwuchs in Frauenkleidern: Für die bürgerliche Ordnung historisch »unanständig« und ein drohender Kontrollverlust über die Geschlechterordnung.
Menschen mit Bartwuchs in Frauenkleidern: Für die bürgerliche Ordnung historisch »unanständig« und ein drohender Kontrollverlust über die Geschlechterordnung.

Die Rechte in den USA hat ihren »Kulturkampf« auf die Kriminalisierung von Drag Shows ausgeweitet. Tatsächlich ist das kein neues Phänomen: Bereits um 1850 gab es eine Welle von Crossdressing-Verboten. Was war denn damals der gesellschaftspolitische Kontext?

Interview

Clare Sears ist Assoziierte Professorin für Soziologie und Sexualwissenschaften an der San Francisco State University. Sie ist Autorin des Buches »Arresting Dress: Cross-Dressing, Law and Fascination in Nineteenth-Century History«, das in die engere Auswahl für den Lambda Literary Award kam und mit dem John-Boswell-Preis des Committee on LGBT History ausgezeichnet wurde.

Gesetze zum Crossdressing waren im 19. Jahrhundert in den USA sehr verbreitet. Das erste Gesetz, von dem ich weiß, wurde 1848 in Columbus, Ohio, erlassen und mehr als 40 weitere Städte folgten zwischen dem Ende des Bürgerkriegs und dem Ersten Weltkrieg mit ähnlichen Gesetzen. San Francisco kriminalisierte das Crossdressing 1863, indem der Stadtrat eine allgemeine Verordnung erließ, die es verbot, sich in der Öffentlichkeit »in einem Kleid zu zeigen, das nicht seinem oder ihrem Geschlecht entspricht«. Aus dem Gesetzestext geht hervor, dass Cross-Dressing ursprünglich nicht als eigenständiges Delikt definiert wurde, sondern als eine Erscheinungsform des umfassenderen Vergehens der »Unanständigkeit« – neben öffentlicher Nacktheit, unanständiger Entblößung, unzüchtigen Handlungen und unsittlichen Darbietungen. Dieses weitreichende Sittengesetz ging aus einer von Kapitalisten angeführten Sittlichkeitsbewegung hervor, die sich darum bemühte, die Sichtbarkeit der Prostitution in der sich rasch entwickelnden, ursprünglichen Goldgräberstadt San Francisco zu verringern. Das Ziel dieser Männer war es, einen »anständigen« und geordneten Stadtraum zu schaffen, in dem sich »anständige« Frauen und Kinder aus der Mittelschicht aufhalten konnten und der günstig für Geschäftsinvestitionen war, also wirtschaftlichen Interessen diente.

Wie sind Sie selbst dazu gekommen, zum Thema Crossdressing zu forschen?

Ich begann mit der Recherche, als ich im Studium zufällig über das Gesetz zum Crossdressing aus dem 19. Jahrhundert stolperte. Am Anfang stand mein Interesse an der polizeilichen Überwachung von Queer- und Trans-Gemeinschaften in der Mitte des 20. Jahrhunderts, kurz vor den Stonewall-Unruhen und dem, was oft als die Geburt der modernen Schwulenrechtsbewegung angesehen wird. Ich las viele mündliche Erzählungen und Autobiografien aus den 50er und 60er Jahren und war erschüttert über die Beschreibungen von regelmäßigen Polizeirazzien in Queer-Bars, in der Regel in Arbeiter*innenvierteln, bei denen die Polizei trans Frauen, trans Männer, Butch-Lesben und Schwule in Frauenkleidern verhaftete, weil sie nicht genügend Kleidungsstücke »ihres« Geschlechts trugen. Die Berichte dieser Verhaftungen enthielten stets die Anmerkung, dass die Polizei vermutlich ein kommunales Gesetz gegen Crossdressing durchsetzte, der Autor aber keine Nachforschungen anstellen oder Informationen über diese Gesetze finden konnte.

Beides hat mich wirklich fasziniert: der Mangel an Informationen über diese Gesetze ebenso wie die polizeiliche Kontrolle von Queer- und Trans-Gemeinschaften in Hinblick auf ihre Kleidung und nicht etwa aufgrund ihres sexuellen Verhaltens. So begann ich mit ersten Forschungen und entdeckte, dass Crossdressing-Gesetze zur Überwachung von Lesben und Schwulen durchaus keine Erfindung des 20. Jahrhunderts sind, sondern bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden. Ich war beeindruckt von dem Bestreben, die Geschlechtergrenzen per Gesetz zu kontrollieren und begann meine Arbeit über die Entstehung, die Funktionsweise und die Konsequenzen des Crossdressing-Gesetzes in San Francisco in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

In welcher Weise fand Crossdressing damals statt, wer waren die beteiligten Personen oder Communitys?

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nahm die Polizei von San Francisco fast 100 Personen wegen der Straftat des Crossdressings fest, das Gesetz wurde bald zu einem flexiblen Instrument für die Verfolgung vielfältiger geschlechtsspezifischer »Übertretungen«. Eine Vielzahl von Menschen fiel unter dieses Gesetz, darunter feministische Kleiderreformerinnen, Frauenimitatoren, »schlampige« junge Frauen, die sich für eine Nacht in der Stadt als Männer verkleideten und Menschen, deren Geschlechtsidentifikation nicht mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmte – also Menschen, die heute vermutlich als Transgender bezeichnet würden. Wer verhaftet wurde, musste mit Polizeigewalt, öffentlicher Bloßstellung und sechs Monaten Gefängnis rechnen, der Höchststrafe, die das Gesetz vorsah. Im späten 19. Jahrhundert riskierten Crossdresser*innen auch die Einweisung in eine psychiatrische Anstalt oder die Deportation, falls sie keine US-Bürger*innen waren. Ich möchte kurz von einigen betroffenen Personen genauer erzählen.

Da gab es John Roberts, der 1874 von der Polizei in San Francisco verhaftet wurde, weil er in der Öffentlichkeit in »weiblicher Kleidung« erschien, genauer gesagt in der Kleidung eines »hübschen Kellnermädchens«, bestehend aus »einem rot gestreiften Kleid, einem Strohhut mit Spitzen und Blumen und einem schweren Schleier«. In diesen Jahren beschäftigten die Bars der Barbary Coast im Herzen des Rotlichtviertels »hübsche Kellnerinnen« und Travestie-Künstler, um Alkohol und Sex in den Lokalen zu verkaufen. Wir wissen nicht, ob Roberts in diesen Bars arbeitete oder sich lediglich im Stil der Angestellten kleidete. Berichterstatter gaben an, dass Roberts zu dieser Zeit betrunken war, eine »Manie« für das Tragen von Frauenkleidern hatte und kürzlich wegen desselben Vergehens verhaftet worden war.

Es gab Jeanne Bonnet, eine Person, die Mitte der 1870er Jahre wiederholt verhaftet wurde, stets »männliche Kleidung« trug und sich als Mann in der Stadt bewegte. Bonnet hielt sich vor allem in den Bars und Bordellen entlang der Dupont Street auf, freundete sich mit Frauen von der Berberküste an und überredete mindestens eine lokale Prostituierte, Blanche Buneau, die Prostitution und ihren ausbeuterischen Liebhaber zu verlassen. Die Polizei verhaftete Bonnet mehr als 20-mal wegen Crossdressings, und diese polizeilichen Schikanen fanden erst 1876 ein Ende, als ein Unbekannter Bonnet im Bett von Blanche Buneau ermordete.

Ferdinand Haisch, ein Zimmermann mittleren Alters, wurde 1895 wegen »Verkleidung als Frau« verhaftet, nachdem Nachbar*innen wegen der »seltsamen Frau«, die jeden Abend durch die Straßen spazierte, die Polizei gerufen hatten. Bei ihrer Verhaftung trug Haisch die neueste Damenmode und erklärte den Polizisten lediglich, dass dies neben ihrer Tischlerkleidung die einzige Kleidung sei, die sie besitze. In den Zeitungen, die über die Verhaftung berichteten, hieß es, dass Haisch sehr bemüht war, sich als Frau zu präsentieren, indem sie ihre Kleidung selbst anfertigte und ihre Stimme feminisierte.

Im Januar 1895 erregte ein Mann namens Milton Matson in San Francisco die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, als er im Zimmer seiner Verlobten Ellen Fairweather wegen Betrugs verhaftet wurde. Nach seiner Verhaftung wurde Matson in das Bezirksgefängnis von San Jose gebracht und mit mehreren anderen Männern in eine Zelle gesperrt, wo er zwei Wochen lang bleiben musste, bis der Gefängniswärter ein an Miss Luisa Matson adressiertes Banktelegramm erhielt und feststellte, dass Matson eine Frau war. Nach einem komplizierten juristischen Gerangel wurde die Anklage gegen Matson fallen gelassen, er wurde in Männerkleidung aus dem Gefängnis entlassen und kehrte im Folgemonat nach San Francisco zurück. Dort nahm er einen Job in einer örtlichen »Freakshow« an. Einige Jahre später, 1903, tauchte Matson erneut in der Presse auf, weil er wegen des Tragens von Männerkleidung angeklagt war. Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung hatte Matson bereits mehrere Jahrzehnte lang als Mann gelebt und bestand darauf, dass der Richter ihn als Mann anerkannte. Matsons Geschichte verdeutlicht die Schikanen und Strafen, denen Menschen in der Vergangenheit ausgesetzt waren, weil sie außerhalb ihres legalen Geschlechts lebten – aber sie erinnert uns auch daran, dass diese Menschen sich gewehrt haben.

Was haben die historischen und die aktuellen Anti-Drag-Gesetze gemeinsam?

Sowohl die historischen Verbote des Crossdressings als auch die aktuellen Verbote von Drag-Shows geben vor, »Unanständigkeit« zu bekämpfen. Aber wie die Geschichte des Crossdressing-Gesetzes zeigt, kann die Sorge um vermeintliche Unanständigkeit leicht zum Repressionsmittel gegen ein breites Spektrum von Geschlechtsidentitäten werden. Beide Verbote zielen letztlich darauf ab, die Sichtbarkeit von transsexuellen, queeren und geschlechts-untypischen Menschen im öffentlichen Raum zu verringern. Wir wissen noch nicht, wie die neuen Drag-Verbote durchgesetzt werden, aber wir wissen, dass das Gesetz eine stark normative Aussage macht, indem es dekretiert, dass Menschen, die in Drag auftreten oder deren Geschlechtsdarstellung als »Frauen- oder Männerimitation« ausgelegt werden kann, nicht zur Gesellschaft dazugehören – weder in die Nähe von Kindern, den öffentlichen Raum noch in die Kleidung oder das Geschlecht ihrer Wahl.

Vor dem Hintergrund der rechten Politik in den USA scheint es so, dass die Drag-Verbote – so schlimm sie schon in ihrer direkten Konsequenz für die Betroffenen sind – keinen Selbstzweck darstellen, sondern Teil einer umfassenderen Agenda sind.

Entgegen dem ersten Anschein geht es bei dem Verbot von Drag-Shows nicht hauptsächlich um die bloße Tatsache, dass ein Mann Frauenkleidung trägt oder umgekehrt. Vielmehr geht es um die übergeordnete Eigenschaft von Kleidung, geschlechtliche und sexuelle Nichtkonformität zu signalisieren – und die staatliche Kontrolle über sie ist ein bequemes und flexibles Instrument zur Überwachung, Belästigung und Einschüchterung von Trans- und Queer-Gemeinschaften.

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