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  • Menschenrechte in Kolumbien

»Ein Denkmal ohne Gerechtigkeit ist kein Denkmal für uns«

Anlässlich des Tribunals von Siloé haben sich betroffene Familien organisiert. Nun werden sie sogar von der neuen Regierung eingeladen

  • Interview: Johann Ape
  • Lesedauer: 5 Min.
»Zu Ehren der Getöteten und Verschwundenen, für ein freies und friedliches Kolumbien« steht auf dem Schild, das bei dem Tribunal von Blumen und Kerzen umrahmt war.
»Zu Ehren der Getöteten und Verschwundenen, für ein freies und friedliches Kolumbien« steht auf dem Schild, das bei dem Tribunal von Blumen und Kerzen umrahmt war.

Wie bewerten Sie die Urteilsverkündung des Tribunals?

Interview

Isabella Albán ist Soziologin und lebt in Cali. Als Aktivistin des »Tribunal Popular en Siloé« gehört sie zu denjenigen, die die Ermordung junger Demonstrierender durch Polizei und Sicherheitskräfte während der sozialen Proteste 2021 in Kolumbien skandalisieren und symbolisch anklagen. Das Tribunal versteht sich als Organisierung von unten, als eine Initiative der Community des marginalisierten Stadtteils Siloé.

Das Urteil war wichtig, weil wir den Prozess, den wir mit den Angehörigen, den Familien der Getöteten, als Tribunal begonnen haben, gut abschließen konnten. Es wurde ein ethisches Urteil gefällt gegen den Staat, der während der Proteste die Menschenrechte verletzte. Das Urteil hält fest, dass es eine gewalttätige Operation während der Proteste im Jahr 2021 gab. Sie reiht sich ein in einen systematischen, kontinuierlichen Krieg gegen die marginalisierte Bevölkerung, der die Geschichte Kolumbiens kennzeichnet. Uns ist wichtig, daran zu erinnern, dass es Präsident Duque war, der den Befehl gab, den Protest so zu behandeln, als sei man im Krieg.

Das Tribunal arbeitet nun seit fast einem Jahr. Sind Sie mit dem Prozess zufrieden?

Es ist ein Prozess, der am 3. Mai 2022 begann, am Jahrestag der Angriffe auf die Proteste. Den Befehl dafür gab General Eduardo Enrique Zapateiro Altamirano, dieser wurde durch die Richter heute symbolisch schuldig gesprochen, eine der hauptverantwortlichen Personen für die direkte Gewalt in Siloé.

Das Wichtigste des Prozesses war, dass sich viele Hinterbliebene uns angeschlossen und beschlossen haben, darüber zu sprechen, was 2021 passiert ist. Die Familien sagen, dass das Tribunal für sie viel Unterstützung bedeutet. Ein Teil des Prozesses ist auch Heilung des Schmerzes, den sie über den Verlust ihrer Angehörigen empfinden oder damit umzugehen, dass jemand aufgrund seiner Verletzungen nicht mehr laufen kann.

Mit den Familien war es ein guter Prozess. Wir konnten die verschiedenen Familien kennenlernen, auch welche, die zuerst nicht klagen oder an unseren Aktivitäten teilnehmen wollten, weil sie Angst hatten vor der Polizei. Zu Beginn des Tribunals wussten wir erst von wenigen Morden durch die Polizei, im Laufe des Prozesses sind es mehr geworden und wir wissen immer mehr Details. Es gab aber auch Familien, die nicht teilnehmen wollten, weil sie sich vor möglichen Konsequenzen fürchteten.

Ein weiterer Schritt waren dann die Anhörungen, bei denen wir unsere Anschuldigungen vor den als Jury fungierenden Menschenrechts- und Sozialaktivist*innen vorgelegt haben. Sie haben die Beweise zu den Verbrechen, die während der Proteste passierten, studiert und überprüft. Heute haben die Ermittlungen und der Prozess einen Abschluss gefunden. Die Richter haben ein symbolisches Urteil verkündet.

Es gab allgemeine Drohungen gegen das Tribunal und explizit auch gegen namentlich genannte Personen. Hat das Ihre Arbeit beeinflusst?

Die Bedrohungen erreichten uns, als wir einen Konsolidierungsprozess mit den Familien und mit den Communities hatten. Angehörige befürchteten, es würde nicht weitergehen, aus Angst vor den Bedrohungen. Sie waren sehr traurig, da sie befürchteten, dass wir den Prozess jetzt beenden würden. Aber wir entschieden uns gemeinsam dafür, weiterzumachen, weiterzukämpfen für Gerechtigkeit und Aufklärung – und auch für das Gedenken. Wir haben verschiedene kulturelle Aktivitäten mit den Angehörigen organisiert, wie zum Beispiel das »Festival ohne Angst«. Gleichzeitig entschieden sich tatsächlich einige Familien aufzuhören, weil sie Angst wegen der Bedrohungen hatten. Es haben sich andere Angehörige zurückgezogen, weil sie kein Vertrauen mehr in die Justiz haben. Es gab zu Ermittlungsverfahren teilweise keine Rückmeldungen durch die zuständigen Behörden, andere Verfahren sind bereits eingestellt worden, und man erhielt nicht mal darüber eine Information. Aber es gibt nach wie vor Angehörige, die wir weiterhin unterstützen und die viel Kraft schöpfen durch das Weiterführen des Prozesses im Tribunal.

Wie geht es nun nach der Urteilsverkündung weiter?

Wir werden weiter mit den Familien arbeiten. Es ist wichtig zu sagen, dass das Tribunal nicht mit dieser Anklage enden wird. Wir möchten das Urteil in einfacher Sprache zur Verfügung stellen. Für die verschiedenen Communities in verschiedenen Teilen des Landes, die normalerweise nicht gerne lesen. Und auch für andere Tribunale im ganzen Land, mit denen wir in den Austausch gehen wollen. Wir planen auch Comics oder Graffitis, Videos oder Dokumentationen, um weiter über das Geschehene und das Tribunal zu informieren. Jeder Mensch kann dann über den Prozess Bescheid wissen und sich an uns ein Beispiel nehmen.

Kürzlich kam die Nachricht, dass die Regierung das Tribunal offiziell nach Bogotá eingeladen hat, um die Fälle und die Anklageschriften zu besprechen. Was bedeutet Ihnen diese Einladung und mit welchen Erwartungen gehen Sie in das Treffen?

Es ist ein wichtiges Zeichen, dass die Regierung wissen will, was die Opfer denken. Die Familien wissen die Wahrheit über das, was passiert ist, und sie wollen Gerechtigkeit. Das sagen auch die Familien: Wir wollen keine Denkmäler ohne Gerechtigkeit, denn ein Denkmal ohne Gerechtigkeit ist nichts für uns, also werden sie darüber mit der Regierung sprechen. Sie werden zeigen, hey, wir sind hier, weil wir die Chance für ein Gedenken an unsere Toten nutzen wollen, und wir wollen Wiedergutmachung. Uns ist es wichtig, dass die Opfer sagen, auf welche Weise sie erinnern wollen, welche Denkmäler sie wollen, dass sie einfordern, dass die Geschichte über ihre Söhne erzählt wird. Die Regierung weiß, was 2021 während der Proteste passiert ist. Und es macht einen Unterschied, ob es jetzt eine Reform gibt, im Gesundheitsbereich und bei der Polizei. Viele Menschen wurden während der Proteste schwer verletzt, verloren Augen oder sind auf eine andere Art körperlich dauerhaft eingeschränkt. Viele brauchen ärztliche Behandlung, die sie sich nicht leisten können oder sie können die Krankenversicherung nicht zahlen. Viele brauchen Behandlung in Krankenhäusern, haben aber das Geld nicht. Es ist also wichtig, dass die Opfer mit der Regierung sprechen. Und sagen, was sie wollen und was sie brauchen. Zu dieser Einladung werden wir Vertreter des Tribunals schicken, vor allem von den Familien.

Wir führen das Interview für eine deutschsprachige Zeitung. Gibt es etwas, was Sie sich aus dem Ausland an Solidarität wünschen würden, das Ihre Arbeit unterstützen könnte?

Wir wollen, dass die ganze Welt unseren Prozess kennt, unseren Prozess für Gerechtigkeit, das ist wirklich wichtig. Und die ganze Welt soll von den Menschen erfahren, die während der Regierung von Iván Duque und unter dem Befehl von General Eduardo Enrique Zapateiro Altamirano getötet wurden.

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