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Harter Aufschlag 1938
Eine Biografie des Tennisspielers Gottfried von Cramm, der Männer liebte und die Nazis hasste
Wenn der deutsche Tennisspieler Gottfried von Cramm am 20. September 1937 den Platz betritt, wollen der Komiker Grucho Marx und andere Hollywoodschauspieler demonstrativ aufstehen und gehen – und so protestieren gegen den Rassenhass in Hitlers Reich. Doch sie sehen damals in Los Angeles einen bescheidenen, freundlichen Sportler, der ihnen so ganz anders vorkommt, wie sie sich einen Nazi vorstellen. Sie sehen ihn an, sie sehen sich an – und bleiben sitzen. »Als ich diesen Mann sah, empfand ich sofort Scham, das zu tun, was wir uns vorgenommen hatten«, erzählte Groucho Marx später. 1938 sitzt Gottfried von Cramm dann in Berlin-Moabit im Gefängnis, verurteilt wegen seiner homosexuellen Beziehung zu dem Juden Manasse Herbst.
Mit dieser Begebenheit beginnt Jens Nordalm sein Buch über Gottfried von Cramm, dem zu seiner Zeit mindestens zweitbesten Tennisspieler der Welt. Es trägt den Titel »Der schöne Deutsche«. Dies im Kontrast zu den hässlichen Deutschen, die sich trotz ihrer niedrigen Instinkte für Übermenschen hielten und unvergleichliche Verbrechen begingen.
Der Baron dagegen sieht nicht nur fantastisch aus, sondern verhält sich auch so. Seine Fairness ist legendär. Er korrigiert Fehlentscheidungen des Schiedsrichters, selbst wenn ihn das den Sieg kostet. Nachdem die Nazis besiegt sind, fragt er sich ehrlich, ob ihn eventuell nur seine siebenmonatige Haft davor bewahrt, den Faschisten doch noch hinterherzulaufen und dadurch selbst schuldig zu werden. Er hat sich im Tennis- und im Pferdesportklub geweigert, jüdische Mitglieder auszuschließen. Das geschieht dann gegen seinen Willen. Er kämpft als Soldat an der Ostfront, wird aber bereits im März 1942 aus der Wehrmacht entlassen, vermutlich, weil einer wie er dann doch als wehrunwürdig gilt und nicht weiter befördert werden soll als bis zum Unteroffizier. Wieder Zivilist, trainiert er in Schweden immer wieder die dortigen Tennistalente. Dazu holt ihn der selbst Tennis spielende König Gustav, mit dem er befreundet ist, in das neutrale Land. Für die Verschwörer des Hitlerattentats vom 20. Juli 1944 nutzt von Cramm seine Reisen nach Schweden, um Botschaften zu überbringen. Er ist mit dem am 26. August 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichteten Diplomaten Adam von Trott zu Solz bekannt.
Geboren 1909, wuchs Gottfried von Cramm auf den Gütern seiner Familie bei Hannover auf und lernte dort Tennis spielen. Vater Bernhard gehörte 1926 zu den »allzu wenigen« Standesgenossen, so schreibt Autor Nordalm, die einen Aufruf an den deutschen Adel unterzeichneten, die Weimarer Republik zu unterstützen. Mit seiner jungen Frau Lisa lebt Gottfried von Cramm im glitzernden Berlin, trainiert dort für einen Amateur ungewöhnlich eisern beim Tennisklub Rot-Weiß und hängt 1931 sein Jurastudium nach Turniersiegen an den Nagel. 1935, 1936 und 1937 steht er im Finale von Wimbledon. Er verliert alle drei Spiele, aber die dritte Niederlage gegen den US-Amerikaner Donald Budge gilt als das vielleicht beste Tennismatch aller Zeiten.
Nach dem Krieg startet von Cramm trotz seines Alters noch einmal als Tennisspieler durch. 1947 ist er der erste Sportler des Jahres. Doch dass ihn die Nazis wegen seiner Beziehung zu Manasse Herbst verurteilt haben, bleibt ein Handicap. In die USA darf er nicht mehr einreisen, also dort nicht starten. 1965, nach seiner aktiven Laufbahn, wird von Cramm Präsident von Rot-Weiß in Westberlin. Er reist zu den Vorstandssitzungen an. Denn da handelt er als Geschäftsmann in Hamburg mit Baumwolle für die Textilindustrie, die er aus Ägypten einführt. In dem Land am Nil hatte er einst Tennisturniere gespielt. Dorthin hat er gute Kontakte, die ihm jetzt helfen.
1955 heiratet von Cramm Barbara Hutton, die verschwenderisch lebende Erbin der US-Kaufhauskette Woolworth, die sich 18 Jahre lang nach ihm sehnte und um ihn bemühte. Er ist ihr sechster und vorletzter Gatte. Die Beziehung zerbricht bereits 1957, die Ehe wird 1960 geschieden. Gottfried von Cramm erhält 600 000 Dollar zugesprochen. Doch wegen des Geldes hat er Barbara Hutton nicht geheiratet. Er sei Unternehmer und habe selbst Vermögen, hat er zu Protokoll gegeben. Der Baron liebt auch Frauen und Barbara Hutton insbesondere. Doch sein Wunsch, sie möge sich einer Entziehungskur unterziehen, um ihre Alkoholabhängigkeit zu überwinden, führte wohl zum Zerwürfnis oder, dass er auch Männer liebte, wie andere behaupten. Seine erste Frau Lisa, die ihn schließlich wegen eines Eishockeyspielers verließ, aber weiter verehrte, war da tolerant.
1976 stirbt Gottfried von Cramm bei einem Autounfall in Ägypten. Am Rande des Grunewalds in Berlin ist der Weg, der zum Steffi-Graf-Tennisstadion führt, nach ihm benannt. Die letzten Jahre handelt Buchautor Nordalm auf wenigen Seiten ab. Er spricht von einer gewissen Melancholie, die über dem Leben des Tennisstars lag, weil die spießige frühe Bundesrepublik nicht das Land war, in dem einer wie er sich voll entfalten konnte.
Diese Biografie ist großartig geschrieben. Man kann sie immer wieder lesen, ohne dass es langweilig wird. Höchstens ein Schuss zu viel Sympathie für die Reichen und Vornehmen stört. Aber es fehlt auch nicht der Hinweis, dass die letzten Jahre der Weimarer Republik in Berlin mit Massenarbeitslosigkeit und Massenverelendung für die davon Geplagten ganz und gar keine goldenen Jahre waren. Und natürlich schufteten auch auf den Crammschen Gütern im Zweiten Weltkrieg Polen und Russen als Zwangsarbeiter. Das trübt dann die Schilderung von den ach so geerdeten Herrschaften, die auch selbst aufs Feld hinausgehen, selbst auf dem Traktor sitzen. Es ist viel mehr als ein Buch über einen Sportler, der für seine präzisen und harten Aufschläge berühmt war, sondern ein Buch über eine untergegangene Zeit und ihre Kultur.
Jens Nordalm: Der schöne Deutsche, Rowohlt, 285 Seiten, 24 €.
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