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Altbackene Ausbildung
Überall wird nach Lehrkräften gesucht, dabei ist die Abbrecherquote noch immer hoch. Das hat Gründe
An einer Förderschule im Hamburger Osten unterrichtet seit einigen Wochen ein gelernter Koch in einer Mittelstufenklasse. Vor ihm sitzen Jugendliche, die neben Schwierigkeiten mit dem Lernen auch einen Förderbedarf im emotional-sozialen Bereich haben. Eigentlich sollte er an der Schule nur einen Kochkurs geben, aber aufgrund des großen Lehrermangels hat man ihn ohne Vorbereitung in den Unterricht gesteckt.
Das Beispiel aus Hamburg lässt sich beinahe deutschlandweit übertragen. Überall fehlen Lehrkräfte. Dabei gehen die Schätzungen weit auseinander. Während die Kultusministerien von Bund und Ländern aktuell einen Bedarf von 13 000 Stellen sehen, vermutet der Deutsche Lehrerverband, dass eher 30 000 bis 40 000 Pädagogen fehlen. Quereinsteiger füllen landauf, landab die größten Lücken. Dass ein dringender Handlungsbedarf besteht, darin sind sich alle Beteiligten einig. Doch woher soll man auf die Schnelle so viele Lehrer bekommen?
Im Januar ging ein Aufschrei durch die Schulen, als die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (KMK) vorgeschlagen hatte, dem Mangel durch eine Vergrößerung der Klassen und Erhöhung der Arbeitszeit beizukommen. Gegen den Stress empfahl die Kommission »Achtsamkeitstrainings«. Für eine Charmeoffensive waren diese Ratschläge nicht geeignet. Auch auf dem Bildungsgipfel am Dienstag in Berlin gab es nur wenige Anregungen, um den Lehrerberuf attraktiver zu machen.
Stattdessen wiederholt sich regelmäßig die dringende Warnung, dass der »Kompetenzstand von Kindern und Jugendlichen alarmierend« sei. Noch immer wirkt der Ausnahmezustand an den Schulen während der Corona-Pandemie nach. Hinzu kommt, dass immer häufiger der Unterricht improvisiert werden muss. Bei allem Alarmismus bleibt die Lehrerausbildung jedoch, wie sie ist. Dabei gab es in der Vergangenheit Modellprojekte, die versucht haben, die strikte Zweiteilung der Lehrerausbildung zu überwinden. Aber die Gliederung der Ausbildung in Hochschulstudium und Referendariat hat sich durchgesetzt. Verbindungen zwischen beiden Phasen gibt es kaum.
»In meinem gesamten Studium habe ich während der Praktika keine einzige Sonderschule von innen gesehen«, erzählt Janis S. dem »nd«. Die Sonderpädagogin hat im Frühjahr ihr Referendariat in Hamburg begonnen und ist mit vielen Ideen von der Uni direkt an einer Sonderschule gelandet. »Damit kann ich jetzt aber wenig anfangen, da ich auf so heterogene Lerngruppen gar nicht eingestellt war«, erzählt die 26-Jährige. Sie berichtet von vielen ihrer Freundinnen, die das Lehramtsstudium abgebrochen hätten und heute in ganz anderen Bereichen arbeiten.
Die Wahrnehmung der angehenden Lehrerin deckt sich mit den Ergebnissen der Untersuchung »Studienerfolg und -misserfolg im Lehramtsstudium«, die unter Federführung von Falk Radisch 2018 in Rostock erschien. Entgegen der Annahme des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung, die von einem Schätzwert von 16 Prozent Studienabbrechern im Master ausgeht, kommt Radisch zu anderen Ergebnissen. Knapp die Hälfte der Lehramtsstudenten für den Bereich Grundschulen beendet demnach das Studium in Rostock und Greifswald nicht. Beim Lehramt fürs Gymnasium lägen die Zahlen sogar leicht darüber. Für das Lehramt an Regionalen Schulen (in anderen Bundesländern vergleichbar mit Oberschulen oder Stadtteilschulen) erreichten sogar nur knapp ein Drittel der Studenten den Abschluss.
Einer der von Radisch festgestellten Gründe für die vielen Abbrecher ist der mangelnde »Berufsfeldbezug«. Die Forschung zeigt, dass »ein Teil der Lehramtsstudierenden an der eigenen Berufswahl zweifelt bzw. sich selbst mit Beginn des Studiums nur ungenügend darüber Gedanken gemacht hat«. Ein weiterer erschwerender Faktor ist »die Komplexität sowie die Enge und Strenge der nicht zuletzt mit den Bologna-Reformen eingeführten Studienorganisation«.
Hinzu kommt, dass die Zahl der Lehramtsabsolventen abnimmt. Laut Statistischem Bundesamt sank sie zwischen 2011 und 2021 von 33 500 auf 28 900 – ein Minus von fast 14 Prozent. Die Studie von Radisch sollte also aufhorchen lassen, denn bei der geringen Anzahl von Bewerbern müsste es ein Kernanliegen sein, die Abbrecherquote zu senken. Hier fehlen aber sowohl der KMK als auch dem Bildungsgipfel die Ideen.
Dabei lohnt ein Blick in die Geschichte. An der Universität Oldenburg gab es in den 1970er Jahren zum Beispiel den Versuch einer Einphasigen Lehrerausbildung (Elab). Nach den reformorientierten Aufbruchsjahren der Hochschule in den 1960er und 1970er Jahren entschieden sich die Gründer der Universität 1972 für das Modellprojekt der Elab. Dieses wurde 1974 eingeführt und lief bis 1979.
Die Lehrerausbildung sollte in dem Versuch die Theorie mit der Praxis verbinden, hieß es. Deshalb wurde die Ausbildung in nur einer Phase durchgeführt. Nach einem fünfjährigen Besuch der Uni mit vielen integrierten Praxisanteilen erreichten die jungen Pädagogen ihren Abschluss. Ihre Fragen aus der Praxis fanden unmittelbar Eingang in die Lehre, und ihre Ideen aus der Uni konnten sofort in der Schule umgesetzt werden. Allerdings fehlten während des Modellversuchs von Beginn an berufspraktische Ausbildungsplätze in den Schulen, und auch die Freistellung von Lehrpersonen für die Praktika war unzureichend geregelt. Dies lag unter anderem daran, dass die Landesregierung das Reformprojekt von Beginn an zur »Kostenneutralität« verpflichtet hatte.
Die Erziehungswissenschaftler Ulrich Steinbrink und Marianne Kriszio brachten es in ihrem selbstkritischen Resümee auf den Punkt: »Für eine Lehrerausbildung, deren oberstes Kriterium die Minimierung der Ausbildungskosten darstellt, ist die Elab kein geeignetes Modell.« Insgesamt wurde der Modellversuch dennoch von allen Beteiligten positiv bewertet. Das Verhältnis der Kontaktlehrer zu den Studenten wurde gelobt. Die Verarbeitung des »Praxisschocks« sei durch die Verknüpfung von theoretischer und praktischer Ausbildung viel besser gelungen. Dennoch wurde das Modell von der CDU-geführten Landesregierung im Jahr 1979 eingestampft. Das zweigeteilte System blieb bestehen und mit ihm fehlt weiterhin der Berufsfeldbezug.
Somit sitzen in einem Seminar an der Universität weiterhin angehende Lehrkräfte neben künftigen Naturwissenschaftlern, und Erstere fragen sich, was die Inhalte mit dem Unterricht an einer Grundschule zu tun haben. Auch die Sonderpädagogin Janis S. zweifelt in der Schule, ob die Annahme aus dem Uni-Seminar, dass alle Kinder das Einmaleins mit der passenden Förderung schon lernen werden, wirklich so stimmt.
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