Sachsen bleibt ein Härtefall

CDU blockiert Beitritt des Freistaats zu einem Fonds, der das Rentenunrecht Ost mildern soll

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.
Auch ehemalige Beschäftigte der Post in der DDR sind teilweise vom Rentenunrecht Ost betroffen
Auch ehemalige Beschäftigte der Post in der DDR sind teilweise vom Rentenunrecht Ost betroffen

Immerhin: Die Sache wurde als dringlich anerkannt. Bis zum 31. März müsste sich Sachsen entscheiden, ob es einen vom Bund eingerichteten Härtefallfonds aufstockt, der Ungerechtigkeiten bei der Überleitung des DDR-Rentenrechts in die Bundesrepublik ausgleichen soll. In der letzten Sitzung des sächsischen Landtags vor diesem Termin wurde das Thema an diesem Donnerstag daher auf die Tagesordnung gehoben: Einen entsprechenden Antrag der Linken ließ die Koalition aus CDU, Grünen und SPD per Enthaltung passieren; die AfD stimmte zu.

Eine parlamentarische Mehrheit für den Beitritt zeichnete sich vor der Debatte dennoch nicht ab. Nach jetzigem Stand verweigert Sachsen den im Freistaat lebenden Betroffenen die mögliche Verdoppelung einer Kompensationszahlung.

Der Härtefallfonds ist Teil eines Pakets, mit dem die Bundespolitik mit jahrzehntelanger Verzögerung einen Schlussstrich unter das Rentenunrecht Ost ziehen will. Im Einigungsvertrag von 1990 waren Ansprüche aus Zusatz- und Sonderrenten für viele Berufsgruppen, beispielsweise Reichsbahner und Angestellte der Post, Beschäftigte in der Braunkohlenveredlung, in künstlerischen Berufen oder der technischen Intelligenz, unter den Tisch gefallen. In der Folge erhalten sie bis heute deutlich niedrigere Renten. Gleiches trifft für Frauen zu, die nach DDR-Recht geschieden wurden.

Eine Einmalzahlung aus dem Härtefallfonds soll dafür einen, wenn auch eher symbolischen Ausgleich leisten. Zwar gibt es an dieser Lösung viel Kritik. So wird das Geld nur an Menschen gezahlt, die derzeit von Renten in Höhe der Grundsicherung leben müssen, also maximal rund 830 Euro beziehen. Das trifft auf weniger als ein Zehntel der Betroffenen zu. Sören Pellmann, Leipziger Bundestagsabgeordneter der Linken, nannte das eine »absolute Veralberung der Leute«. Der Fonds drohe zu einer »Enttäuschungsmaschine« zu verkommen.

Gleichzeitig räumen aber auch Kritiker ein, dass gerade diesen Menschen das Geld sehr helfen würde. Vom Bund sollen sie 2500 Euro erhalten. Dieser Betrag könnte sich auf 5000 Euro verdoppeln, wenn die Bundesländer der vom Bund zur Abwicklung der Zahlungen eingerichteten Stiftung beitreten. Die Entscheidung muss bis spätestens Ende März getroffen werden. Bisher haben das von SPD und Linke regierte Mecklenburg-Vorpommern sowie das von einer Koalition aus Linke, SPD und Grünen geführte Thüringen angekündigt, diesen Schritt zu gehen.

Auch in Sachsen, wo Schätzungen zufolge 20 000 Rentnerinnen und Rentner betroffen wären, gibt es zahlreiche Stimmen, die auf einen solchen Schritt drängen – in Opposition wie Koalition. Die Linke hatte das Thema bereits im Februar in den Landtag gebracht. Der Fonds verdiene zwar »viel Kritik«, räumte Fraktionschef Rico Gebhardt ein. Das sei aber »kein Grund, dieses Geld einzubehalten«. Die Linke plädiert dafür, den Härtefall- zu einem Gerechtigkeitsfonds auszubauen, und verwies darauf, dass der Runde Tisch Rentengerechtigkeit Zahlungen von 10 000 bis 20 000 Euro für angemessen halte. Davon ist man jetzt deutlich entfernt. Als ersten Schritt solle Sachsen »wenigstens die symbolische Einmalzahlung aufstocken«, sagte Gebhardt. Die ebenfalls oppositionelle AfD stimmt zu. Es gehe für die Betroffenen um eine »kleine Anerkennung ihrer Lebensleistungen«, sagte ihr parlamentarischer Geschäftsführer Jan Zwerg und fügte mit Blick auf deren Alter hinzu, man dürfe »nicht warten, bis sich das Problem von selbst erledigt«.

Aber auch im Regierungslager wird teils vehement auf einen Beitritt Sachsens zu dem Fonds gedrängt. Die »jahrelange verständliche Enttäuschung über mangelnde Gerechtigkeit« sei eine »Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt«, betonte SPD-Sozialministerin Petra Köpping in einer gemeinsamen Erklärung mit ihrem Parteifreund, Wirtschaftsminister Martin Dulig – auch wenn sie hinzufügte, es handele sich bei der jetzigen Lösung um einen »politischen Kompromiss auf kleinstem gemeinsamen Nenner«. Franziska Schubert, Grünen-Fraktionschefin im Landtag, forderte ebenfalls, der Freistaat solle »trotz der Mängel diesen kleinen Beitrag zur Wiedergutmachung leisten«. In den sozialen Medien lieferten sich Politiker der beiden kleinen Koalitionspartner kuriose Scharmützel zur Frage, wer als Erstes den Beitritt zum Fonds gefordert habe. Eine klare parlamentarische Mehrheit dafür gäbe es jedenfalls.

Allerdings verweigerten Grüne und SPD trotz dieser inhaltlichen Übereinstimmung im Februar die Zustimmung zum Antrag der Linken; Gleiches zeichnete sich jetzt für den erneuten Vorstoß ab. Grund dafür ist die Ablehnung der CDU und die Vereinbarung, in der Koalition nicht gegeneinander zu stimmen. In der CDU wird darauf verwiesen, dass die vom Bund ersonnene Optionslösung zu Ungleichbehandlung führe, wenn sich nicht alle ostdeutschen Länder für einen Beitritt entscheiden. Zudem wird betont, Rentenfragen seien Angelegenheit des Bundes. Dem widersprechen Grüne und SPD vehement. Sachsen zahle seit Jahren jährlich einen dreistelligen Millionenbetrag, um Sonderrenten für frühere Angehörige von NVA und Polizei zu finanzieren, betont Schubert. Während der Beitritt zum Härtefallfonds den Freistaat 50 Millionen Euro kosten würde, seien für die Sonderrenten allein 2018 rund 832 Millionen Euro überwiesen worden. Menschen, die »damals den Apparat gestützt« hätten, erhielten ihre Zusatzrenten, »und Sachsen zahlt dafür«, sagte die Grüne; andere sollten nun leer ausgehen: »Darin lebt DDR-Unrecht weiter.« Auch die SPD-Minister Köpping und Dulig betonten, diese Schieflage »nicht hinnehmen zu wollen«.

Das änderte am Widerstand der CDU aber ebenso wenig wie mahnende Stimmen aus den eigenen Reihen. Yvonne Magwas, aus dem Vogtland stammende Vizepräsidentin des Bundestags, schrieb auf Twitter, es wäre »kein gutes Signal, wenn Sachsen sich nicht beteiligt«. Schließlich, fügte sie kurz nach dem Internationalen Frauentag am 8. März hinzu, treffe die Härtefallregelung nicht zuletzt auch in der DDR geschiedene Frauen. Zu einem Sinneswandel bei ihren Parteifreunden im sächsischen Landtag und Kabinett führte das nicht. »Bisher«, räumten Köpping und Dulig zähneknirschend ein, sei »die Staatsregierung noch zu keiner gemeinsamen Haltung gelangt«. Ob sich das nach der erneuten Ablehnung im Landtag noch ändert, steht zu bezweifeln.

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