- Politik
- 20 Jahre Irak-Krieg
Irak: Regimechange gescheitert
Im Zuge des Kampfes gegen den Terror belogen die USA die Welt und eine »Koalition der Willigen« begann den Dritten Golfkrieg
Mitte März 2003 hatte sich der damalige US-Präsident George W. Bush entschlossen, den Irak anzugreifen. Bereits sein Vater, George H. W. Bush, hatte in seiner Präsidentschaft einen Feldzug gegen das Land geführt und eine Sanktionslawine ins Rollen gebracht. Nach intensiver medialer Vorarbeit stellte Washington nun dem irakischen Machthaber Saddam Hussein ein neuerliches und endgültiges Ultimatum. Er solle sein Land binnen 48 Stunden verlassen oder…
Das »Oder« trat am 20. März 2003 ein. Anderthalb Stunden nach Ablauf der Drohung begannen präzise Luftangriffe. Im Rahmen der »Operation Iraqi Freedom« rückten US-amerikanische und britische Heeresverbände auf Iraks Hauptstadt Bagdad vor. Ohne Mandat der Uno. Was war das Ziel der 270 000 Soldaten, die einer »Koalition der Willigen« angehörten?
Die US-Regierung wollte nach den verheerenden Terrorangriffen auf die New Yorker Twin Tower und der Attacke auf das Pentagon am 11. September 2001 Stärke beweisen – und die Schwäche Russlands nutzen, das als Erbe der Sowjetunion eine Art Schirmherr arabischer Staaten war. Die US-Strategen sahen die Zeit gekommen, um die politischen Verhältnisse zunächst in der arabischen Welt, die in vielerlei Hinsicht auch wirtschaftlich höchst relevant war, neu zu ordnen. Dazu musste zunächst Saddam Hussein »weg«. Doch wie begründet man den angeblich notwendigen Regime-Wechsel?
Die USA behaupteten, Saddam unterstütze die Terrororganisation Al Qaida, die als Urheber der 9/11-Attacken erkannt in Rede stand. Beim Erfinden eines zweiten Grundes war ein Mann namens Rafid Ahmed Alwan El-Dschanabi behilflich. Der hatte 1999 Asyl in Deutschland beantragt und machte sich gegenüber dem deutschen Auslandsnachrichtendienst BND wichtig. Er sei Ingenieur und Spezialist für chemische Kampfstoffe, die im Irak unter anderem in mobilen Anlagen hergestellt würden.
Der BND reichte Alwan (Deckname »Curveball«) an die CIA weiter. Nicht ohne auf höchster Geheimdienstebene anzumerken, dass man dem Kerl kein Wort glaubt. Doch als US-Außenminister und Ex-General Collin Powell »Curveballs« Räuberpistole samt Skizzen vor dem UN-Sicherheitsrat als Tatsachen verkaufte, schwieg die deutsche Regierung und ermöglichte den USA so den »Präventivschlag zum Schutz der Menschheit«.
Im Weißen Haus und im Pentagon ging man davon aus, dass der irakische Staatschef nach einer kurzen aber heftigen militärischen Anstrengung entmachtet und das unter seinem Diktat leidende Volk rasch auf den Weg der Demokratisierung gebracht werden könne. Nach der Etablierung einer US-freundlichen Regierung wollte man die Truppen schnell heimholen. Das gelang nicht. Zwar wurde Saddam gefasst und Ende Dezember 2006 wegen früherer Massaker an Schiiten und Kurden hingerichtet, doch ist die gesamte Region noch immer weit entfernt von Stabilität.
George W. Bush war das letztlich egal. Er hatte bei einem medial begleiteten kitschigen Auftritt auf dem Flugzeugträger »Abraham Lincoln« verkündet: Mission erfüllt. Das war am 1. Mai 2003. Die Besetzung des Irak durch US-Truppen dauerte dennoch acht Jahre. Zu Opferzahlen gibt es noch immer keine gesicherten Fakten. Sicher ist jedoch, dass bislang weit über 100 000 Menschen umkamen. Die humanitären, politischen und wirtschaftlichen Folgen des Überfalls sowie die Konfusion in allen gesellschaftlichen Bereichen des Irak und zahlreicher Nachbarländer sind verheerend. Auch die Gründung der Terrororganisation »Islamischer Staat«, die große Teile der arabischen Welt unter ihre Knute zwingen konnte, geht auf den »Sieg« der USA im Irak zurück.
Eine ehrliche Analyse des Geschehens, die künftigen Fehleinschätzungen vorbeugen hilft, gibt es in der US-Politik noch immer nicht. Dabei ist der Irak-Krieg – wie der jetzt vom russischen Präsidenten in der Ukraine losgetretene – ein Beleg dafür, was passiert, wenn sich Staatsmänner in der eigenen Propaganda verfangen.
Jüngst konnte man im US-Nachrichtensender CNN ein Interview mit George Piro hören. Als FBI-Agent hatte er den Auftrag, den einstigen irakischen Diktator, den US-Soldaten aus einem Erdloch-Versteck gezogen hatten, zu verhören. Piro, er ist libanesischer Abstammung, kniete sich rein, wollte »Saddam so gut kennen, wie er sich selbst kannte«. Damit war der junge Bundespolizist den Verantwortlichen im US-Außen- und Verteidigungsminister sowie allen Bush-Ratgebern im Weißen Haus um Längen voraus. Der FBI-Mann las sogar einen Roman, den Saddam verfasst hatte: »Zabiba und der König«. Handlung: Zabiba, eine schöne arabische Frau, war mit einem schrecklichen alten Mann verheiratet. Sie stand für den Irak, er für die USA. Dann aber kam ein gut aussehender, schneidiger König. Er erlöste Zabiba aus ihrem Elend. In dieser Funktion sah sich Saddam. Er wollte als einer der größten arabisch-muslimischen Führer in die Geschichte eingehen. Oben steht der Prophet Mohammed, es folgt König Saladin, Saddam sah sich in der Geschichte auf Platz drei.
Wer meint, das sei eine allzu simple Weltsicht für einen Politiker von Weltgeltung, der erinnere sich an die »geistige Größe« seines Widersachers George W. Bush, der mit seiner Gefolgschaft nur noch die eine Losung kannte: »America first!«
Piro befragte den Gefangenen sieben Monate lang unter vier Augen. Viele Stunden am Tag, um letztlich herauszufinden, dass Saddam für Osama bin Laden, den Führer von Al Qaida, nur Verachtung übrig hatte. Und was war mit den Massenvernichtungswaffen? Saddam selbst hatte im Juni 2000 mit ihnen geprahlt und so das Gerücht ihrer Existenz, das »Curveball« verstärkte, erst in die Welt gebracht. Piro fand heraus, warum. Damals fürchtete sich der Mächtige von Bagdad nicht so sehr vor den USA oder Israel. Saddams größte Angst war, dass der Nachbar Iran entdecken könnte, wie schwach und verwundbar das irakische Reich nach all den westlichen Sanktionen geworden war, die das Land aushalten musste. Saddams Prahlerei hatte also nur einen Grund – den Iran in Schach zu halten. Ironie der Geschichte: Der wichtigste Profiteur von Saddams Sturz durch US-Truppen ist das iranische Regime. Es stieg auf zu einem der größten und global relevantesten Widersacher der USA.
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