Werbung

Herr Schnauze von der Polizei

Was der iranische Flüchtling Ali H. mit verschiedenen Beamten in Berlin und Brandenburg erlebt hat

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 7 Min.

Ursprünglich wollte der Iraner Ali H. im Oktober 2017 weiter nach Großbritannien. »Wegen meiner guten Englischkenntnisse und weil alle meine Freunde dort sind und weil Großbritannien ein multikulturelles Land ist mit viel Toleranz und Gleichberechtigung«, erzählt der 39-Jährige. »Deutsch konnte ich null.« Auf seiner Flucht ist er trotzdem in Deutschland hängengeblieben. Er war zunächst in der Flüchtlings-Erstaufnahme in Eisenhüttenstadt, dann in der Außenstelle in Wünsdorf und kam 2018 nach Oranienburg in das Asylheim auf einem alten Kasernengelände im Ortsteil Lehnitz.

Nur ein paar Schritte weiter hat er seit 2020 eine kleine Wohnung mit Balkon gemietet. Hier lebt und arbeitet er: als Software-Ingenieur im Homeoffice. Im Zimmer stehen ein Bett, ein Regal und ein großer Schreibtisch mit etlichen Rechnern und Bildschirmen. Von früh bis spät sitzt er daran. Das Internet ist sein Beruf und seine Leidenschaft. Die Nachbarn hören ihn kaum. Flauschige Teppiche dämpfen die Schritte. »Ich liebe die Arbeit im IT-Bereich«, sagt H. und dankt allen, die ihm in Deutschland geholfen haben.

Die deutsche Sprache beherrscht Ali H. inzwischen ziemlich gut. Seinen iranischen Master-Universitätsabschluss in Computertechnik hat er sich anerkennen lassen. Er besitzt eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und ein einwandfreies Führungszeugnis. Im kommenden Jahr könnte H. die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. Er sei tolerant, Demokrat und kein besonders religiöser Mensch, versichert er glaubhaft. Er lebt still vor sich hin, raucht nicht, trinkt so gut wie keinen Alkohol. Trotz dieser Vorzüge sagt Ali H.: »Eine Wohnung für mich zu finden, war ohne Hilfe von Deutschen fast unmöglich.« Alltagsrassismus bestimme einen großen Teil des Lebens der Flüchtlinge in Deutschland. Beleidigungen im Alltag nimmt Ali H. gelassen hin. Nur eines stört ihn sehr: Wenn Polizisten ihn diskriminieren.

Das dürften die als Beamte nicht. Die müssten jeden Menschen gleich behandeln und seine Würde achten. »Ungerechtigkeit konnte ich noch nie ertragen«, sagt H. Wegen Diskriminierung zögert er bei der Frage, ob er denn deutscher Staatsbürger werden wolle. Er sagt: »Ich bin der deutschen Gesellschaft sehr dankbar für alle Hilfe, die ich während meiner ersten drei Jahre hier erhalten habe.« Dass er zum Beispiel nicht nur den Deutschkurs bezahlt bekommen hat, sondern sogar die Fahrkarten für den Weg dorthin. Aber was er mit einigen Polizisten erlebte, das erschütterte ihn. Dass dies immer nur Missverständnisse oder Einzelfälle gewesen sein sollen, wie man ihm habe einreden wollen, das glaubt er nicht. Das sei struktureller Rassismus und das sei ein ernstes Problem.

Bei seinem ersten Erlebnis 2018 in der Hermannstraße in Berlin-Neukölln war er gerade aus einem Laden getreten. Da hörte er eine schallende Ohrfeige und sah dann auf der anderen Straßenseite zwei Männer, offensichtlich nichtdeutscher Herkunft, von Polizisten umringt. »Du darfst mich nicht schlagen«, habe der eine Mann protestiert und dann noch einen Schlag ins Gesicht bekommen. »Du bist nur Gastbürger«, soll ein Polizist geschimpft haben. H. schockierte diese Szene. Willkür wie im Iran? »Bin ich noch im Iran?«, fragte er verdattert einen Passanten. »Nein, das ist hier Alltag«, bekam er zur Antwort. Ein Freund, der Polizist in Großbritannien ist, hat Ali H. erklärt, bei einem derartigen Vorfall würden die Beamten hart bestraft werden.

Selbst ist H. niemals von einem Polizisten geschlagen worden. Aber es hätte nicht viel gefehlt, und der nur 1,65 Meter große Iraner wäre rüde zu Boden geworfen und festgenommen worden, erzählt er. Auch das war in Berlin. Als er nach einem Deutschkurs mit US-Touristen ins Gespräch kam, seien gezielt zwei Beamte auf ihn zugekommen und wollten zuerst seinen Ausweis und dann seinen Rucksack kontrollieren. Für H. ein Fall von Racial Profiling. Er habe geantwortet, ohne Verdacht dürfe er nicht durchsucht werden. Deutschland sei schließlich ein demokratischer Staat und er habe Rechte. Das habe er im Integrationskurs gelernt. Doch die Polizisten hätten ihn ausgelacht. Einer habe gesagt: »Deutschland ist mein Land. Du bist nur ein Gast.« Wenn er sich nicht durchsuchen lasse, werde er ihn verhaften. Als sich Ali H. nach dem Namen des Polizisten erkundigte, um sich zu beschweren, habe dieser nur »Schnauze« gesagt. Die Beleidigung verstand H. damals nicht, weil er ja gerade erst angefangen hatte, Deutsch zu lernen. Er dachte, es sei der Familienname des Polizisten, notierte sich das und fragte später arglos: »Warum wollte Herr Schnauze mich verhaften, wenn ich einen Ausweis dabei habe?« Das wurde ihm dann als Beleidigung ausgelegt.

Inzwischen seien weitere Polizisten dazugekommen. Einer von ihnen sah für H. so aus, als habe er Vorfahren, die nach Deutschland eingewandert sind. Dem wollte der Iraner bereitwillig seinen Rucksack zeigen. Er hatte ja nur zwei Lehrbücher darin und nicht etwa Drogen oder Waffen. Aber dieser Polizist glaubte ihm das und wollte nicht nachschauen. Diesem Polizisten habe er angemerkt, dass er die Situation durchschaute und sich über seine rassistischen Kollegen ärgerte, sagt Ali H. Aber auf seinen Hinweis, dass die beiden Polizisten falsch darstellen, was sich wirklich zugetragen hat, habe der Beamte dann doch nur abgewinkt und gemeint, dies sei ein Missverständnis gewesen.

Schlechte Erfahrungen hat der 39-Jährige nach eigener Darstellung auch gemacht, als er in Oranienburg die Polizei verständigte, nachdem es aus einer Nachbarwohnung wiederholt stark nach Cannabis roch. Besonders einer der herbeigerufenen Beamten habe ihn unhöflich behandelt und nachgeäfft.

Ali H. schildert noch einen weiteren Vorfall. Er war Opfer eines Internetbetrügers aus Westdeutschland geworden. H. hatte sich ein in den Kleinanzeigen inseriertes Tablet bestellt und die dafür geforderte Summe überwiesen. Aber die Ware kam nicht. Offenbar glaubte der Täter, der Flüchtling kenne sich im deutschen Rechtssystem überhaupt nicht aus und sei ihm deshalb hilflos ausgeliefert. Doch H. stellte eine Anzeige. Die wollte er dann am 23. Oktober vergangenen Jahres noch präzisieren. Dabei geriet er aber nach eigener Darstellung auf der Wache in Oranienburg an eine Polizistin, die behauptet habe: »Wir sind nicht zuständig.« Sie habe sich seine Erklärungen nicht anhören wollen und ihn immer wieder unterbrochen. »Geh raus oder wir werfen dich raus«, habe sie ihm gedroht – zum Schluss mit der Hand an der Waffe. Aufnahmen von Überwachungskameras müssten seine Version der Geschichte beweisen, ist Ali H. überzeugt. So leicht habe er sich aber nicht abschütteln lassen und draußen den Notruf 110 gewählt. Er glaubte, bei der Einsatzzentrale in Potsdam zu landen. Stattdessen sei ein Polizist ans Telefon gegangen, der in Oranienburg saß. Der habe lachen müssen, weil da jemand die Polizei anruft, weil er von der Polizei bedroht werde. Schließlich sei er von der Polizei vor der Tür der Wache richtig beraten worden, wie er seine Anzeige ändern müsse, um Anspruch auf das Geld zu erheben, um das er betrogen wurde, erzählt Ali H. Alles sei ein Missverständnis gewesen, wurde ihm nun erneut gesagt. »Aber das sind nicht bloß Missverständnisse und Einzelfälle.« H. schüttelt den Kopf und muss nun selbst lachen.

Er kann Ungerechtigkeit nicht ausstehen. Darum wandte sich der 39-Jährige an die Antidiskriminierungsberatung des Vereins Opferperspektive. Diese formulierte ihm zwei Dienstaufsichtsbeschwerden wegen der Vorfälle in seiner Wohnung und auf der Oranienburger Wache. Die Beschwerden liegen »nd« vor. In der einen heißt es, wenn staatliche Stellen wie die Polizei diskriminieren, sei das »ein sehr einschneidendes Erlebnis«. In der anderen Beschwerde steht, der Betroffene führe das »abwehrende und später auch bedrohliche Verhalten der Polizeibeamtin« auf seine Herkunft zurück. Er habe den Eindruck, »dass er mit seinem Anliegen anders, schlechter und respektlos behandelt wurde als Personen ohne Migrationsgeschichte«.

Auch die Antwort aus dem Polizeipräsidium liegt »nd« vor. Nach Prüfung des Sachverhalts sei kein Verhalten erkennbar, das dem Polizeibeamten vorzuwerfen wäre, heißt es hier. Und abschließend: »Es ist der Brandenburger Polizei ein wichtiges Anliegen, dass die Beamtinnen und Beamten den Bürgerinnen und Bürgern in einer korrekten Weise und freundlich gegenübertreten. Deshalb sind die geschilderten Ereignisse und kritischen Äußerungen wichtig für Verbesserungen und werden zum Anlass genommen, die Hintergründe zu prüfen und die beteiligten Beamten zu sensibilisieren.« Ein von der Polizei angebotenes Gespräch lehnte Ali H. trotzdem ab. Er sagt, er habe das Vertrauen in die Polizei verloren.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.