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Das Ende des Wohnungsbaus
Der größte deutsche Immobilienkonzern Vonovia sieht keine Chance mehr für bezahlbare Mieten
Rolf Buch gab sich von der Razzia unberührt. Ermittler und Staatsanwälte hatten kürzlich unter anderem die Zentrale des Bochumer Immobilienkonzerns Vonovia durchsucht. Mitarbeiter sollen Bestechungsgelder angenommen haben. Das Wohnungsunternehmen beauftragte die Beratungsgesellschaft Deloitte mit einer unabhängigen Untersuchung. Weit mehr als der Skandal berühren offenbar die Politik der Bundesregierung und die schwierige Situation auf dem deutschen Wohnungsmarkt den Vonovia-Chef. 700 000 Wohnungen fehlten bundesweit, so Buch in einer Telefonkonferenz mit Journalisten am vergangenen Freitag.
Der Bau neuer Wohnungen in Deutschland bleibe weit hinter den Plänen zurück, die SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag im November 2021 festgeschrieben hätten, kritisierte der Vorstandsvorsitzende. Die Ampel-Parteien wünschen den Neubau von 400 000 Wohnungen jährlich, davon 100 000 öffentlich gefördert. Davon ist die Wirklichkeit weit entfernt. Im vergangenen Jahr seien gerade einmal 200 000 Wohnungen fertiggestellt worden, beklagte Buch. Auch Vonovia stecke jetzt zurück und »bremse den dringend notwendigen Neubau«.
Dabei wachse der Bedarf. 2022 habe die Bevölkerung in Deutschland um 1,2 Millionen Menschen zugenommen. Eine Folge: Jede zehnte Neuvermietung von Vonovia erfolgte an Ukrainer. Um den Fachkräftemangel zu mildern, bedürfe es weiteren Zuzugs, zeigt sich Buch überzeugt. Doch niemand werde aus dem Ausland kommen, wenn er hierzulande keine Wohnung finde.
Im vergangenen Jahr hat Vonovia insgesamt 3749 neue Wohnungen fertiggestellt (2021: 2200 Wohnungen). Allerdings zeigten sich Auswirkungen des Krieges in der Ukraine und der Zinserhöhungen durch die Europäische Zentralbank auch im deutschen Immobiliengeschäft. Die extrem gestiegenen Bau- und Finanzierungskosten erschweren die Neubautätigkeit. »Neubau, der zu leistbaren Mieten führt, ist aktuell nicht möglich. Deshalb werden wir uns vorerst auf bereits gestartete Bauvorhaben konzentrieren«, kündigte Buch an. Den Beginn neuer Projekte habe Vonovia gestoppt.
Damit Neubau endlich wieder Spaß macht, wünscht sich der Vonovia-Chef von der Bundesregierung höhere Subventionen, minimal verzinste KfW-Kredite und eine »Entschärfung« des Mietrechts. Auch so laufen die Geschäfte blendend. Die »strukturellen Treiber« auf dem Wohnungsmarkt würden auch weiterhin intakt bleiben, so Buch. Gemeint ist eine hohe Nachfrage bei einem äußerst knappen Angebot. Die Erlöse stiegen im Geschäftsjahr 2022 um 19,9 Prozent auf rund 6,3 Milliarden Euro. Der Bruttogewinn vor Abschreibungen und Steuern, das sogenannte FFO, stieg sogar um 20,1 Prozent auf rund 2,0 Milliarden Euro. Dazu trugen Verkäufe von Wohnungen und die Integration der Deutschen Wohnen AG bei, die im Januar abgeschlossen wurde.
Vonovia SE sieht sich dadurch als »Europas führendes privates Wohnungsunternehmen«. Heute gehören der Europäischen Aktiengesellschaft (SE) rund 548 500 Wohnungen, darunter einige tausend in Schweden und Österreich. Den Marktpreis der Immobilien bezifferte Buch auf 95 Milliarden Euro. Hinzu kommen rund 72 800 verwaltete Wohnungen. Seit 2013 ist das in Bochum ansässige Unternehmen börsennotiert und gehört heute zu den größten deutschen Aktiengesellschaften.
Bei den Durchsuchungen der Ermittler geht es um den Verdacht der »Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr, der Untreue, des Betruges und anderer Straftaten«, lässt sich die Staatsanwaltschaft Bochum zitieren. Die Ermittlungen richten sich gegen mehrere Mitarbeiter von Vonovia und anderen Unternehmen, die für den Bochumer Immobilienkonzern Aufträge ausgeführt haben. Auf Kosten von Vonovia, so Buch: »Wir sind Geschädigte.« Wie hoch der Schaden genau sei, das werde erst in etwa einem Monat die Untersuchung von Deloitte zeigen.
Die Razzia bei Vonovia am 7. März hat inzwischen auch die Kundschaft aufgeschreckt. »Wurden Mieterinnen und Mieter durch korruptes Verhalten von Mitarbeitenden der Vonovia geschädigt, muss der Konzern den Betroffenen den Schaden umgehend ersetzen«, fordert der Präsident des Deutschen Mieterbundes (DMB), Lukas Siebenkotten, anlässlich der bekanntgewordenen staatsanwaltlichen Ermittlungen beim größten Immobilienkonzern Deutschlands.
DMB-Mietervereine bemängeln seit Jahren die Intransparenz bei der Umlage von Betriebskosten durch den Konzern und die Umlage von Kosten auf Mieter für Arbeiten, die nie stattgefunden haben. Vonovia-Boss Buch kontert mit dem Verweis auf zufriedene Mieter. Die Zufriedenheit der Mieterschaft von Vonovia sei 2022 um 1,3 Prozent auf den höchsten Stand seit Beginn der Erhebungen gestiegen. Eine genaue Zahl, wie viele seiner Mieter zufrieden seien, nannte Buch allerdings nicht.
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