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Straßenbahnbaustelle in der Friedrichstraße ohne Konsequenzen
Skandal um Gleisbaustelle in Berlin: Strafermittlungen gegen BVG-Beschäftigte eingestellt
Aufatmen bei den Verantwortlichen für eine Gleisbaustelle der Straßenbahn in der Friedrichstraße in Mitte: Die strafrechtlichen Ermittlungen im Zusammenhang mit den Bauarbeiten sind durch die Staatsanwaltschaft eingestellt worden.
»Ein hinreichender Tatverdacht gegen die beiden Beschuldigten ließ sich nach dem Ergebnis der Ermittlungen nicht feststellen, nur dann wäre die Staatsanwaltschaft berechtigt, Anklage zu erheben«, antwortet die Pressestelle der Strafverfolgungsbehörde auf Anfrage von »nd«. »Es handelte sich um baurechtliche Notmaßnahmen, die getroffen werden mussten, so dass für ein strafbares Verhalten keinerlei Anhaltspunkte vorlagen«, heißt es weiter. Eingestellt wurde das Verfahren bereits am 23. Januar 2023.
Damit enden drei Monate Zitterpartie für die Betroffenen. Eingeleitet hatte die vom Landeskriminalamt geführten Ermittlungen die Polizei, und zwar »wegen des Verdachts der Zerstörung von Bauwerken gemäß Paragraf 305 des Strafgesetzbuches«. Das Bauwerk war wohl die Friedrichstraße. Bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe drohen dafür.
Was war passiert? Am 7. Oktober 2022 meldeten die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) einen Gleisbruch im Bereich der Einmündung der Oranienburger in die Friedrichstraße, der eine sofortige Sperrung und Bauarbeiten erfordere. Es wurde unverzüglich mit dem Herausreißen der verschlissenen Gleise begonnen – wie bei Notmaßnahmen, beispielsweise auch Wasserrohrbrüchen, üblich. Die BVG hatte den planmäßigen Gleistausch eigentlich ab 10. Oktober angesetzt und die Sperrung wegen Bauarbeiten im entsprechenden Abschnitt angekündigt. Eine für geplante Arbeiten nötige verkehrsrechtliche Anordnung der zuständigen Abteilung VI der Senatsmobilitätsverwaltung lag zu diesem Zeitpunkt aber nicht vor.
Die Abteilung VI wollte die am 7. Oktober geschaffenen Fakten nicht akzeptieren. Die Posse nahm endgültig ihren Lauf, die bereits ausgehobene Baugrube in der Friedrichstraße wurde am 18. Oktober wieder zugeschüttet, die Absperrungen wurden teilweise wieder entfernt. Eine anschließende Überprüfung durch die Senatsmobilitätsverwaltung hätte »Verbesserungsbedarf« bei der »Flächenbeanspruchung« und hinsichtlich der Führung des Fuß- und Radverkehrs ergeben, erklärte die Mobilitätsverwaltung damals. Wenige Tage später lag die Genehmigung schließlich vor, die Arbeiten konnten fortgesetzt werden.
Der Vorgang schlug hohe Wellen, die FDP-Fraktion befragte Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) im Abgeordnetenhaus dazu. Sie erklärte jedoch, von den Geschehnissen keine Kenntnis zu haben.
Denn an dieser Stelle eskalierte ein grundsätzliches Berliner Problem, das nicht nur die BVG hat: Genehmigungsverfahren für Baustelleneinrichtungen dauern sehr lange. Den ersten Antrag für Sondernutzungsgenehmigungen hatte die BVG laut eigenen Angaben bereits im März 2022 beim Bezirk Mitte gestellt. »Der erste und einzige Antrag auf verkehrsrechtliche Genehmigung der geplanten Baustelle ging bei uns am 30. Juni 2022 ein – mit dem Plan, die Bauarbeiten am 15. August 2022 zu beginnen«, erklärte wiederum die Mobilitätsverwaltung im Oktober. Dieser Antrag sei »bei der hochkomplexen Straßen- und Umleitungssituation in der kurzen Frist nicht zu genehmigen«.
Erst seit Ende Januar fahren wieder die Straßenbahnlinien M5 und 12 auf dem Abschnitt zwischen Naturkundemuseum und Hackeschen Markt über die Kreuzung am Oranienburger Tor. Eigentlich hätte das bereits am 11. Dezember der Fall sein sollen.
Damit und mit der Einstellung des Strafverfahrens wäre nun Zeit, Bilanz und Konsequenzen aus dem eskalierten Konflikt zu ziehen. Doch entweder sehen die Beteiligten dazu keinen Bedarf oder sie wollen es nicht öffentlich tun, denn die Antworten auf Fragen von »nd« fallen sehr knapp aus.
»Die bestehende Rechtslage ist im Übrigen unseres Ermessens hinreichend klar, so dass hier keine Anpassungsbedarfe gesehen werden«, so die Mobilitätsverwaltung. Man habe mit der BVG »noch ergänzend erörtert, in welchen Fällen überhaupt unaufschiebbare Notmaßnahmen in Betracht kommen und welche Handlungsoptionen in solchen Fällen bestehen«, heißt es weiter.
»Derzeit können wir noch nicht genau sagen, ob und welche Mehrkosten durch die zwischenzeitliche Bauunterbrechung entstanden sind«, antwortet die BVG lediglich. Die Kosten der Posse dürften mindestens im fünfstelligen, wenn nicht sogar im sechsstelligen Bereich liegen. Auch den Beschuldigten des Strafverfahrens sind Anwaltskosten entstanden. Ganz zu schweigen vom Vertrauensschaden.
Die bereits seit August 2022 gesperrte Tramstrecke vom Oranienburger Tor über den Bahnhof Friedrichstraße zum Kupfergraben soll erst am 1. Mai wieder in Betrieb gehen. Denn nun steht unter anderem die Sanierung der Weidendammer Brücke an. Fast ein Dreivierteljahr wird der Abschnitt – übrigens ohne Ersatzverkehr – dann außer Betrieb gewesen sein, weil Bauarbeiten und nötige Genehmigungen offenbar nicht gut zu koordinieren sind. Das liegt nicht nur an den Behörden, sondern ist auch eine Folge des eklatanten Mangels an Planungspersonal und Baukapazitäten.
Auch an anderen Stellen im Straßenbahnnetz dauern Sperrungen wesentlich länger als geplant. Erst seit 28. Januar fährt die Linie M13 in Friedrichshain wieder auf ihrer regulären Strecke von der Frankfurter Allee zur Warschauer Straße. »Die ursprünglich zum 11. Dezember 2022 geplante Wiederaufnahme des Straßenbahnbetriebs musste wegen Verzögerungen im Bauablauf (hauptsächlich witterungsbedingt) verschoben werden«, heißt es von der BVG.
Das ist nur ein Teil der Wahrheit. Nach übereinstimmenden Berichten mehrerer Insider seien die Gleise zum ursprünglichen Termin befahrbar, allerdings seien die teilweise verlegten und nun barrierefrei gestalteten Haltestellenbereiche noch nicht fertig gewesen. Eine von der BVG erarbeitete provisorische Lösung, die den Betrieb ermöglicht hätte, soll allerdings von der zuständigen Genehmigungsbehörde nicht akzeptiert worden sein. Ende März soll nun laut BVG-Angaben die letzte Haltestelle, an der momentan noch durchgefahren wird, fertig sein.
»Es mag gute Gründe geben, warum eine Behörde mal eine Genehmigung nicht erteilt. Allerdings scheint es in Berlin so, dass in solchen Bewertungen die Perspektive der Fahrgäste an allerletzter Stelle steht«, sagt Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastverband Igeb zu »nd«. »CDU und SPD erklären, Berlin wieder zum Laufen bringen zu wollen. Dazu gehört dringend eine konstruktive Genehmigungspraxis bei Bauarbeiten im Nahverkehr«, fordert er.
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