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Debatte nach Tötung der 12-jährigen Luise: Erziehung statt Strafe

Wer Haftstrafen für Kinder fordert, möchte die Erkenntnisse jahrzehntelanger kriminologischer Forschung über Bord werfen

  • Gudrun Lies-Benachib
  • Lesedauer: 3 Min.

Lieber Himmel! Das haben auch Juristen bei der Nachricht über die Tötung der 12-jährigen Luise durch zwei Mädchen im Alter von 12 und 13 Jahren gedacht. Im Reflex wird über die Absenkung des sogenannten Strafmündigkeitsalters diskutiert. Denn eine strafrechtliche Verfolgung der beiden Täterinnen scheidet nach § 19 Strafgesetzbuch aus. Das empfinden viele als Staatsversagen.

Was wäre anders, wenn die Täterinnen bestraft werden könnten? Für Jugendliche ist nur die Spezialprävention als Strafzweck anerkannt, »die Anwendung des Jugendstrafrechts soll vor allem erneuten Straftaten eines Jugendlichen entgegenwirken« (§ 2 Jugendgerichtsgesetz). Es setzt daher überwiegend auf Erziehungsmaßregeln, Verwarnungen, Auflagen und Weisungen. Jugendstrafrichter verpflichten Jugendliche daher z.B., Arbeitsleistungen zu erbringen, sich über Tag oder Nacht in betreuten Wohnformen aufzuhalten, einen Erziehungsbeistand des Jugendamts anzunehmen oder Geldbeträge zu Gunsten gemeinnütziger Einrichtungen zu zahlen. Solche von Hardlinern als zu »soft« verspotteten Maßnahmen sind aber nicht das Ziel derer, die jetzt die Altersgrenze verschieben wollen. Sie wollen Knast für Kinder.

Dr. Gudrun Lies-Benachib

ist Mitglied der Fachgruppe Familienrecht der Neuen Richtervereinigung (NRV).

Für Jugendliche heißt das korrekter Jugendarrest oder Jugendstrafe. Letztere kommt im Grundsatz bei schädlichen Neigungen und nur im Ausnahmefall bei besonderer Schwere der Schuld in Betracht (§ 17 Abs. 2 Jugendgerichtsgesetz). Das würde man für die beiden Täterinnen vielleicht andenken – und die Zeit im Jugendgefängnis müsste für die Erziehung genutzt werden. Im Jugendstrafvollzug werden Jugendliche bei weitem nicht nur weggesperrt, sie werden ausgebildet und erzogen. Zu befürchten steht dennoch, dass das Umfeld im Jugendgefängnis für Kinder nicht förderlich ist.

Die Forderung nach Strafe nach einem so schrecklichen Verbrechen entspricht einem urmenschlichen Vergeltungsbedürfnis. Die beiden Täterinnen werden jedoch in keinem Fall strafrechtlich belangt werden. Eine Absenkung des Strafmündigkeitsalters ändert nichts an ihrer Schuldunfähigkeit, weil eine Rückwirkung von Strafverschärfungen nach dem Grundsatz »keine Strafe ohne Gesetz« ausgeschlossen ist (Art. 103 Abs. 2 GG). Die Befürchtung, die Mädchen könnten deshalb gleichsam pfeifend zur Tagesordnung übergehen, ist allerdings nicht berechtigt. Das Jugendamt hat sie in Obhut genommen und – zunächst – von ihren Familien getrennt. Die Behörden überprüfen, ob ein Erziehungsversagen der Eltern dazu beigetragen hat, dass ein so entsetzlicher Tatentschluss umgesetzt wurde. Können die Eltern nicht den erzieherischen Rahmen für ein straftatenfreies Leben gewährleisten, werden die Kinder nicht zu Hause wohnen bleiben können. Der Staat muss grundsätzlich mit den Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe dafür sorgen, dass Kinder nicht kriminell werden. Deswegen informieren spezialisierte Jugendstaatsanwälte bei Delinquenz von Kindern die Jugendämter und Familiengerichte. Es werden Hilfen zur Erziehung der gefährdeten Kinder eingeleitet und – bis hin zur Unterbringung in Pflegefamilien und stationären Einrichtungen – auch gegen den Willen von Kindern und Eltern durchgesetzt.

Würde es etwas bringen, stattdessen künftig Kinder ins Gefängnis zu stecken? Richtig ist, dass wir besser und effektiver die Begehung von Straftaten verhindern müssen. Doch es ist eine Tatsache, dass bei Jugendlichen ein Freiheitsentzug wenig nützt. Die Evaluation des 2013 eingeführten »Warnschussarrests« für Jugendliche ergab, dass sich die erhoffte geringere Rückfallgeschwindigkeit empirisch nicht erhärten lässt. Es zeigt sich einmal mehr, dass Prävention nur durch Erziehung stattfinden kann.

Wer sich eingesteht, dass er eigentlich Strafe oder Vergeltung will, wird das mit einer schlichten Verschiebung des Strafmündigkeitsalters nicht erreichen. Wer Haftstrafen für Kinder fordert, möchte letztlich die Erkenntnisse jahrzehntelanger kriminologischer Forschung über Bord werfen und das gesamte Jugendstrafrecht ändern. Wir sollten stattdessen Geld in Jugendschutz, die Arbeit der Jugendämter und in Schulen investieren. Das kostet mehr als eine Änderung des Strafgesetzbuchs. Es sollte es uns wert sein. Luise sollte es uns wert sein.

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