»Die Demokraten haben sich nicht fundamental gewandelt«

Die Politikwissenschaftlerin Margit Mayer gehört zu den schärfsten Beobachterinnen der US-amerikanischen Linken in Deutschland. In einem neuen Buch hat sie deren Entwicklung während der ersten anderthalb Jahre der Präsidentschaft Joe Bidens nachverfolgt

  • Interview: Julian Hitschler
  • Lesedauer: 22 Min.

In Deutschland gab es nach den US-Wahlen von 2018 und 2020 große Hoffnungen darauf, dass progressive Kräfte die Demokratische Partei verändern und »nach links ziehen« könnten. Hat dieses Projekt Früchte getragen?

Diese Frage war der Ausgangspunkt meines Buches. Eine solche Erwartungshaltung bestand bei vielen, auch in Deutschland, vor allem nach den Wahlen von 2020, stärker noch als 2018. Ich wollte herausfinden, wie sich die Erfolgschancen dieses Unterfangens entwickelt haben, und habe deswegen ab dem ersten Tag der Biden-Administration verfolgt, welche Reformprojekte die Regierung in Angriff nahm und welche internen Auseinandersetzungen bei den Demokraten zu beobachten waren. Das war zum Teil sehr spannend. Der Aushandlungsprozess zu »Build Back Better«, Bidens großem Klima-, Infrastruktur- und Sozialpaket, das nach monatelangen intensiven Verhandlungen zunächst scheiterte und später in viel bescheidenerer Form als »Inflation Reduction Act« verabschiedet wurde, verlief beispielsweise geradezu dramatisch. Man wusste bis zuletzt nicht, wie er ausgehen würde.

Interview

Margit Mayer, Professorin für Politikwissenschaft, arbeitete von 1989 bis 2014 am Fachbereich für Politik- und Sozialwissenschaften und am JFK-Institut für Nordamerikastudien der FU Berlin. Seither ist sie am Center for Metropolitan Studies der TU Berlin tätig. Sie forscht zu amerikanischer und vergleichender Politik, Stadt- und Sozialpolitik sowie zu (Theorien zu) sozialen Bewegungen. Sie ist Mitglied des Redaktionsbeirats der »Prokla. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft«.

Hat sich die Demokratische Partei seit 2018 fundamental gewandelt?

Wenn Sie meinen, ob sie sich für explizit linke Politik geöffnet hat, ist die Antwort: sicherlich nicht, höchstens vereinzelt auf lokaler und Bundesstaatenebene, zum Beispiel in Nevada. Dort gelang es einer Gruppe linker Aktivistinnen und Aktivisten vor allem aus den Reihen der Democratic Socialists of America (DSA), die gesamte Führungsriege zu ersetzen. Aber das war eine Ausnahmeerscheinung – und wurde inzwischen auch wieder »korrigiert«. Inwieweit die Demokraten nach links gerückt sind, hängt allerdings auch von der Definition von »links« ab, die man anwendet. Meines Erachtens besteht linke Politik darin, die Macht der Konzerne, der Milliardäre und ihnen gefügiger Politiker zu beschränken. In anderen Worten: Links ist, wer gegen kapitalistische Verwertungs- und Herrschaftslogiken, für die Interessen der Arbeiterklassen und Ausgebeuteten genauso wie die Unversehrtheit der Natur kämpft. Wenn man diesen Maßstab anlegt und die Wurzel dieser Probleme im Kapitalismus ausmacht, muss man feststellen, dass die Demokratische Partei keinen Millimeter nach links gerückt ist. Aber nicht alle auf der US-Linken, schon gar nicht bei der DSA, teilen diese Ansicht.

Sie spielen vermutlich darauf an, dass es neben einer explizit sozialistischen auch progressiv-liberale Strömungen bei den Demokraten gibt.

Die Demokraten sind natürlich keineswegs eine einheitliche Partei. Unter das Dach der Demokraten passt ja praktisch unser gesamtes Parteienspektrum, vielleicht mit Ausnahme der AfD. Nach wie vor vorherrschend sind die Zentristen, die »corporate Democrats«, die den Großkonzernen und der Wall Street nahestehen. Sie stellen sich meist gegen den »Progressive Caucus«, einen Zusammenschluss linker und linksliberaler Abgeordneter,und bekämpfen den linken Flügel innerhalb ihrer Partei ebenso wie die außerparlamentarische Linke. Aber es gibt eben auch eine mehr oder weniger progressive Fraktion, die innerhalb der Demokratischen Partei an Bedeutung gewinnt, vor allem auf lokaler und Bundesstaatenebene. Dies sind positive Veränderungen, und genauso erfreulich ist, dass der demokratische Sozialismus in den USA so salonfähig geworden ist. Bis vor wenigen Jahren war das Wort »Sozialismus« streng verpönt, Bernie Sanders und der »Squad« haben dieses Tabu gebrochen. Allerdings lässt sich die Trennlinie zwischen der »progressiven« und der sozialistischen Linken nicht klar ziehen. Von Person zu Person werden diese Begriffe unterschiedlich aufgefasst und mit verschiedenen Positionen verbunden.

Wie schlägt sich das in politischen Inhalten nieder?

Anhand verschiedener Politikfelder lässt sich aufzeigen, wo hier Differenzen vorliegen. Nehmen wir zum Beispiel den Green New Deal. Nach meinem und dem Verständnis vieler Sozialistinnen ist der Hauptverursacher der planetaren ökologischen Krise das Kapital. Diese Sicht teilen aber noch nicht einmal alle Mitglieder von progressiven Klimaschutzorganisationen wie beispielsweise Sunrise Movement, die eine treibende Kraft hinter dem Green New Deal war und den Demokraten im Wahlkampf ordentlich Dampf gemacht hat. Wir wissen alle, es gibt theoretisch viele Methoden, den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Bestimmte Methoden wollen dies erreichen, ohne die Kapitalinteressen – noch nicht einmal die der fossilen Industrie oder Bauwirtschaft – zu schmälern. Auf genau solche Methoden fokussieren die Reformprojekte der Demokratischen Partei. Die beiden konservativsten demokratischen Senatsmitglieder, Joe Manchin und Kyrsten Sinema, sitzen tief in den Taschen der Kohle- und Gasindustrie, was sich auch in der Gestaltung des »Inflation Reduction Act« niederschlug. Daran kann man gut aufzeigen, dass politische Projekte, die zunächst fortschrittlich klingen, von den Demokraten meist so zugeschnitten werden, dass sie dem Kapital Anreize für Investitionen bieten, aber nicht unbedingt den Bedürfnissen und Forderungen der betroffenen Menschen oder einer sozial-ökologischen Transformation entsprechen. Auch in anderen Politikbereichen, wie etwa beim Arbeitsrecht, machen sich die Demokraten im Wesentlichen zu Handlangern der großen Technologiekonzerne, beispielsweise wenn es darum geht, die schlimmen Arbeitsbedingungen der Gig-Worker nicht anzutasten.

Für Aufsehen sorgte im deutschsprachigen Raum neben der Sanders-Kampagne vor allem auch das rasante Wachstum der DSA. Innerhalb der Organisation gab es über die vergangenen Jahre Dissens, wie man dieses Potenzial nutzen sollte, der sich vor allem am Umgang mit der Demokratischen Partei entzündete. Welche Strategie wurde letztendlich gewählt und ist sie aufgegangen?

Das Wachstum der DSA, mit derzeit bundesweit über 100 000 Mitgliedern und 240 lokalen Gruppen, ist in der Tat eindrucksvoll. Noch beeindruckender ist, wie viele DSA-Mitglieder, aber auch Mitglieder der Working Families Party und anderer sozialistischen Organisationen, erfolgreiche Wahlkämpfe geführt haben und nun öffentliche Ämter bekleiden, als Stadträte, Bürgermeisterinnen, aber auch auf bundesstaatlicher Ebene und im Kongress. Allerdings können die sechs Mitglieder des linken »Squad« in einem 435 Abgeordneten starken Repräsentantenhaus nicht die politischen Leitlinien vorgeben – im Gegenteil, sie werden teils erbittert bekämpft und durch unzählige Verfahrensregeln ausgebremst. DSA positionierte sich zu Anfang sehr klar: Man wollte als Organisation autonom bleiben. Die Demokratische Partei ist eine kapitalistische Partei, darüber war man sich einig. Man wollte mit ihr nichts zu tun haben und sah sie eher als Gegner. Durch Bernie Sanders und die Mobilisierungswelle, die er ausgelöst hat, hat sich das schnell geändert. Er hat sehr viele, vor allem junge Menschen politisiert, und zwar im Kontext eines Wahlkampfs für die parteiinternen Vorwahlen bei den Demokraten.

Und das hat innerhalb der DSA zu einem Umdenken geführt?

Diesen Umstand haben Theoretiker innerhalb der DSA dann aufgegriffen und argumentiert, die USA würden sich insofern von europäischen Ländern unterscheiden, als dass es hier nie eine hochgradig organisierte Arbeiterklasse und eine entsprechende Partei gegeben habe. Man könne in den USA Politisierungsprozesse folglich nicht über Gewerkschaften und Arbeiterparteien vorantreiben, sondern nur durch landesweite Wahlkämpfe. Nur durch die Teilnahme an Wahlen könne man mobilisieren und politisch sichtbar werden. So entstand das Konzept, die Demokratische Partei als Instrument zu nutzen, um die eigentlichen Adressaten sozialistischer Politik, die Menschen in den Arbeiterklassen, zu erreichen, in der Hoffnung, dass man die Partei selbst dadurch auch verändern könne. Die Gegnerinnen dieser Strategie hielten an der Notwendigkeit einer dritten Partei, die man irgendwann gründen müsse, fest. Diese Gruppe argumentierte für den sogenannten »clean break«, also einen eindeutigen Bruch mit den Demokraten. Auf der Jahresversammlung von DSA 2021 wurde dann vielfach Unterstützung für einen Kompromiss zwischen diesen beiden Positionen in Form des »dirty break« artikuliert; Publikationen wie »Jacobin« und Theoretiker wie Eric Blanc haben diese Sichtweise vertreten. Sie streben langfristig weiterhin einen Bruch mit den Demokraten an, der aber zum richtigen Zeitpunkt stattfinden soll. Bis dahin sollen die Strukturen der Partei genutzt werden und DSA-Mitglieder sollen weiterhin bei parteiinternen Vorwahlen antreten. Diese Strategie wurde offiziell angenommen – zwei Jahre, nachdem eine Mehrheit noch für den »clean break« votiert hatte. Angesichts der zahlreichen Wahlerfolge sozialistischer Kandidatinnen fand die Mehrheit der Delegierten, vor allem neu rekrutierte Mitglieder, einen »clean break« nicht mehr sinnvoll oder auch nur praktikabel. Das Verhältnis der DSA zur Demokratischen Partei hat sich also ganz klar verändert. Man kann vor allem den eigenen Kandidatinnen und Kandidaten nicht zumuten, sich offen gegen die Partei zu stellen. Ein weiteres Argument war, dass viele Wählerinnen aus den Arbeiterklassen der Demokratischen Partei durchaus weiter treu seien, und sei es aus Furcht vor den Republikanern, sodass man ihnen einen offenen Bruch mit der Partei nicht zumuten könne. Die Folgen dieser strategischen Grundsatzentscheidung können wir heute beobachten.

Ein Politikfeld, auf dem es kaum Fortschritte gab, ist das Thema Justizwesen und Polizei. Die Black-Lives-Matter-Bewegung, die seit Mitte der 2010er Jahre aktiv war, wuchs nach dem Polizeimord an George Floyd zu einer der wahrscheinlich größten Massenbewegungen in der Geschichte der USA an, zumindest einer der größten seit den 60er Jahren. Trotzdem scheinen beide großen Parteien heute zu einer Law-and-Order-Politik zurückgekehrt zu sein. Warum hat es diese wirklich große Bewegung mit tiefen gesellschaftlichen Verwurzelungen in verschiedenen Milieus nicht geschafft, auch nur kleinere Reformen bei Polizei und Justiz zu erstreiten?

Auf lokaler Ebene fanden zunächst bescheidene Schritte in diese Richtung statt, nur ändern sie nichts an der ausufernden Gewalt und den Morden durch Polizisten im Zuge ihrer Amtsausübung. Seit dem Mord an George Floyd ist deren Zahl nur noch weiter angestiegen. Auf Bundesebene hat die erste Gesetzesinitiative, der »George Floyd Justice in Policing Act«, es durch das Abgeordnetenhaus geschafft, scheiterte aber im Senat. Ein halbes Jahr später gab es einen weiteren Vorstoß. Darin enthalten waren viele prozedurale Verbesserungen, die interessanterweise alle nicht die Ermordung von George Floyd verhindert hätten. Die Anwendung des Würgegriffs durch Beamte sollte verboten und der Militarisierung der Polizei Einhalt geboten werden. Aber auch diese Initiative scheiterte an der 60-Stimmen-Hürde im Senat. Das Einzige, was am Ende herauskam, war ein Exekutivbeschluss Bidens. Aber der Präsident kann mit einer »executive order« nur auf die Bundesverwaltung einwirken und hoffen, damit eine Signalwirkung auf der einzelstaatlichen Ebene zu erzielen.

Woran sind tiefgreifendere Reformen gescheitert?

Im Senat zeigt sich, dass die Republikaner strikt dagegen sind. Auch die Polizeigewerkschaften wehren sich gegen jegliche Reformen in diesem Bereich, und beide verfügen über Zugang zu enormen finanziellen Ressourcen. Diese fließen in millionenschwere Angstkampagnen, die in den Medien breit gestreut werden und auch auf lokaler Ebene verfangen. Einige Städte haben tatsächlich ernsthafte Reformen in Angriff genommen, etwa Minneapolis. Aber spätestens nach einem Jahr haben diese medialen Kampagnen auch hier Wirkungen gezeigt, auch demokratische Lokalpolitiker lassen sich durch sie beeinflussen, sie wollen schließlich wiedergewählt werden. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die schwarze Community in dieser Frage gespalten ist. »Defund the police«, die Forderung nach Mittelkürzungen bei der Polizei, erfreute sich zwar großer Beliebtheit auf der Linken, aber nicht unbedingt in den schwarzen innerstädtischen Communities, geschweige denn in kleinstädtischen und ländlichen, wie es sie etwa im Südosten der USA gibt. Das Sicherheitsbedürfnis ist dort sehr stark ausgeprägt, und die Vorstellung, gar keine Polizei zu haben, macht den Leuten ebenso Angst, vor allem, wenn sonst keine funktionierende Infrastruktur existiert. Wenn sich an diesen Strukturen nichts grundsätzlich ändert, werden wir dieses Trauerspiel noch lange beobachten können.

Sie beschreiben eine starke Professionalisierung innerhalb der Organisationen, die sich gegen Polizeigewalt einsetzen, und dass ein besonderer Fokus auf Fundraising gelegt wurde.

Professionalisierung an sich ist nicht das Problem. Im Gegenteil, sie ist in vielerlei Hinsicht eine Voraussetzung dafür, effektiv arbeiten und Gegenstrukturen aufbauen zu können. In der Vergangenheit wurde auf der Linken Informalität oft pauschal abgefeiert, obwohl sie in bestimmten Ausprägungen auch destruktive Tendenzen in sich birgt. Jedoch hat sich in den USA nach den 60er Jahren in vielen progressiven Bewegungen eine Entwicklung vollzogen, die es bei uns in dieser Form nicht gab, was wahrscheinlich daran liegt, dass wir noch einen Wohlfahrtstaat hatten. DSA ist eher untypisch darin, dass sie nach wie vor eine durch Mitgliedsbeiträge finanzierte Organisation ist. Sie hat also eine gewisse Ressourcenbasis, über die sie autonom verfügen kann. Die meisten Bewegungsorganisationen sind aber einen anderen Weg gegangen. Progressive Gruppen, von kleinen Community-Organisationen bis hin zu internationalen NGOs wie etwa Greenpeace, besorgen sich Ressourcen, indem sie Fundraising betreiben, das heißt, Spenden von Individuen, Firmen und vor allem Stiftungen einwerben. Sogar eine kleine Community-Organisation mit fünf Leuten beschäftigt typischerweise eine Person, die nur Fundraising betreibt, also vor allem Anträge an kleine und mittelgroße Stiftungen schreibt. Dahinter steckt also eine Art philanthro-kapitalistischer Komplex von teils milliardenschweren Stiftungen wie die Ford Foundation oder die Rockefeller Foundation. Diese Stiftungen fördern in der Tat viele progressive Anliegen. Aber natürlich verfolgen sie dabei auch ihre eigene Agenda. Schon in den 60er Jahren hat die Ford Foundation mit ihren Programmen die Experimente, die die Bundesregierung sehen wollte, finanziert, bevor dann jene sozialen und stadtteilpolitischen Programme, die sich als »erfolgreich« erwiesen haben, mit staatlichen Mitteln ausgerollt wurden.

Linke Organisationen in den USA sind also zu abhängig vom Stiftungswesen?

Inzwischen ist die ganze linke Szene durchdrungen von diesen Geldgeberstrukturen. Jede Stiftung, auch die progressiven – und es gibt wirklich tolle Stiftungen –, hat ihren eigenen Kopf und setzt ihre eigenen Ziele, beziehungsweise modifiziert die Zielsetzung der Organisationen vor Ort. Das heißt, dass die Empfänger kaum ihre eigene Programmatik entwickeln können. Sie sind in einer dauerhaften finanziellen Abhängigkeit von externen Geldgebern gefangen. In dieser Welt gelten – wie Paul Street einmal sehr prägnant zusammengefasst hat – bestimmte ungeschriebene Regeln. Die Geldgeber haben klare Bedingungen. Erstens: Ihr dürft nicht zu klassenbasierter Solidarität über ethnische und durch »race« konstruierte Trennlinien hinweg aufrufen. Zweitens: Die politischen Zielvorstellungen müssen in der Sprache der Mittelklasse formuliert sein. Sie müssen den Programmbeauftragten in den Stiftungen zusagen, ebenso wie den professionellen Politikberatern der Demokratischen Partei, und nicht den Menschen auf der Straße. Drittens muss das Führungspersonal der geförderten Organisationen ausschließlich aus Leuten mit College-Abschluss bestehen. Organische Intellektuelle aus der Arbeiterklasse haben dort in den Augen der Geldgeber nichts verloren.

Und bei Black Lives Matter hat sich diese Eigenlogik dann irgendwann verselbständigt?

Die Folgen dieser strukturellen Abhängigkeiten kann man gut daran beobachten, wie sich die Organisationen, die im Zuge der Black-Lives-Matter-Mobilisierungen gegründet wurden, entwickelt haben, also etwa nationale Zusammenschlüsse wie das BLM Global Network oder das Movement for Black Lives (M4BL), aber auch viele lokale Bündnisse. Sie erhielten Gelder nicht nur von großen wie kleinen Stiftungen und von Konzernen, sondern auch von vielen Individuen, darunter nicht nur wohlhabende Menschen, sondern auch solchen mit geringen Einkommen, die wirklich aufgebracht waren und Unmengen von Kleinspenden getätigt haben. Das Problem ist keineswegs auf die Black Lives Matter-Bewegung begrenzt. Ich habe das Beispiel ausführlich dargestellt, weil es generell kaum thematisiert wird, aber wirklich erschreckend ist. Die Bewegung ist in einem Millionensumpf versunken. Natürlich macht das etwas mit den Leuten. Diese Probleme wurden aber nicht durch Professionalisierung verursacht. Viele werfen der Organisation sogar absolute Unprofessionalität vor, weil die Organisationsspitze weder transparent noch effizient mit dem Geld umgegangen ist, sondern Günstlingswirtschaft betrieben hat anstatt den Bedarfen ihrer Basis, also der Leute, die vor Ort gegen Polizeibrutalität agieren, nachzukommen, oder die Familien, die Opfer durch Polizeigewalt zu beklagen hatten, zu unterstützen. Im Gegenteil: Sie wurden oft alleingelassen. Das führte schließlich dazu, dass 20 Ortsgruppen in öffentlichen Erklärungen aus dem BLM-Netzwerk ausgestiegen sind und massive Kritik geübt haben. Das ist alles nicht nur unschön, sondern auch politisch extrem schädlich.

Die meisten Linken und Liberalen in den USA sind sich mittlerweile einig, dass die Rechte und die Republikaner inzwischen als echte Gefahr für den Bestand der Demokratie betrachtet werden sollten. Teilen Sie die Einschätzung? Welche Strategie verfolgt die US-Rechte gegenwärtig?

Im Herbst 2021 wurde ein »Offener Brief zur Verteidigung der Demokratie« veröffentlicht, der von einflussreichen und namhaften Linken und Liberalen einerseits und von »Never-Trump«-Konservativen, also den »guten Rechten«, wie manche sagen würden, andererseits unterschrieben wurde. Dieser offene Brief wurde gleichzeitig in »The New Republic«, also einer progressiven Publikation, und in »The Bulwark«, einer konservativen Zeitschrift, veröffentlicht. Er war im Ton extrem alarmistisch und rief zu einem Bündnis über die ideologischen Lager hinweg auf: Linke und Rechte müssten zusammenstehen, um die autoritäre Gefahr abzuwenden und die liberale Demokratie zu verteidigen. Auch Leute wie Adolph Reed haben diesen Brief unterschrieben, gestandene Linke, die für ihre klare sozialistische und klassenpolitische Positionierung viel Kritik haben einstecken müssen. Eine ähnliche Stoßrichtung verfolgt die Initiative »B4« von Bill Fletcher Jr., einem ebenfalls hoch angesehenen Schwarzen radikalen Intellektuellen. »B4« steht für »Before it’s too late« – man müsse sich dem, wie Fletcher es nennt, »neokonföderierten Block«, entgegenstellen, bevor es zu spät sei. Ich finde diesen Ansatz nicht überzeugend. Fletcher selbst schreibt, dass der Erfolg eines solchen Unterfangens eine breite linksliberale Koalition mit einer Massenbasis voraussetzen würde. Aber die ist nirgendwo in Sicht; die Zentristinnen innerhalb der Demokraten bekämpfen die Linke weiterhin viel härter, als sie die Rechte konfrontiert haben. Für den »Bestand der Demokratie« ist die Politik der Zentristen in der Demokratischen Partei ebenso gefährlich wie die autoritären Vorhaben der MAGA-Republikaner. Ich finde den Impuls auf der Linken, sich jetzt exklusiv auf »den Faschismus« zu fokussieren und alle Einsichten zu vergessen, zu denen man vorher gekommen war – was sich ja auch in der Positionierung zum Ukraine-Krieg manifestiert – ziemlich gefährlich. Während die Demokraten mit dem Verweis auf die drohende Gefahr von rechts von ihrer eigenen Verantwortung abzulenken versuchen, verfolgen die Republikaner ihre langfristigen Ziele und bereiten sich sehr effektiv auf die Machtübernahme vor. Sie sind häufig viel besser verankert in der Zivilgesellschaft, in Kirchengemeinden, Elternbeiräten an Schulen, und anderen lokalen Vereinen. Dort verbreiten sie ihre Lügen über Wahlbetrug und schüren Hass auf Migranten beziehungsweise machen sie zu Sündenböcken dafür, dass es so vielen Leuten heute schlechter geht. Natürlich geht es vielen Menschen objektiv schlechter, aufgrund der Inflation und der schleichenden Verarmungsprozesse der letzten vier neoliberalen Jahrzehnte, die beide Parteien vorangetrieben haben. Die Demokraten haben die in vielerlei Hinsicht enteigneten und prekarisierten Schichten ignoriert und sich stattdessen den urbanen, gebildeten und besserverdienenden Teilen der Arbeiterklasse zugewandt. Sie lieferten den Republikanern damit eine Steilvorlage, sich nun zu Vertretern der Interessen der Zukurzgekommenen aufzuschwingen.

Fragen von Krieg und Frieden und Kritik am US-amerikanischen Imperialismus spielen auf der US-Linken eine viel geringere Rolle als noch vor wenigen Jahren. Warum ist das so?

Die meisten Amerikaner merken nicht mehr, dass sie in einem Land leben, das die Funktion des Welthegemons erfüllt und den globalen Kapitalismus aufrechterhält, obwohl viele weiterhin davon profitieren. Folglich fehlt ihnen ein materieller Anreiz, um Kritik daran zu üben, da die Kriege, die die USA weiter führen und unterstützen, samt ihren menschlichen wie wirtschaftlichen Kosten, aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden sind. Ein Grund dafür ist, dass die Kriege nicht mehr so sichtbar sind wie in den 60er Jahren der Vietnam-Krieg. Aber auch der 11. September 2001 stellte für die US-Bewegungslinke ein Riesenproblem dar, denn die Antiglobalisierungsbewegung wurde dadurch ihrer Legitimierung beraubt. Außerdem gingen mit dem »weltweiten Krieg gegen den Terrorismus« auch repressive Gesetze wie der »Patriot Act« einher, die das Vorgehen der Behörden gegen die Linke extrem verschärft haben und einen demotivierenden Effekt auf Proteste ausübten.

Die US-Linke schreckt seither also vor außenpolitischen Themen zurück?

In der Tat spielte vor dem aktuellen Ukraine-Krieg außer dem Palästina-Konflikt kein außenpolitisches Thema eine signifikante Rolle. Selbst der Palästina-Konflikt wird eher als innenpolitische Frage verhandelt. Zwar melden sich immer wieder friedenspolitische Initiativen, etwa Code Pink oder die United National Anti-War Coalition, zum Geschehen im Jemen oder Irak mit Protesten zu Wort. Aber darüber wird in den Medien kaum berichtet. Ich bin überhaupt nur auf sie aufmerksam geworden, weil ich im Zuge der Recherche für das Buch die Bewegungslandschaft in den USA insgesamt, also nicht nur die Linke, untersucht habe. Auch die sich aktuell formierenden, außerparlamentarischen Proteste gegen den Ukraine-Krieg werden in der Mainstream-Berichterstattung kaum erwähnt. Es ist überhaupt ein Problem, dass die US-Linke inzwischen in der Außenwahrnehmung auf gewählte Amtsträgerinnen und die Teilnahme an Wahlen reduziert wird. Ich wollte mir für das Buch ursprünglich auch die außerparlamentarischen Bewegungen näher ansehen. Aber es gibt sehr wenig Berichte und noch weniger Literatur darüber. Man müsste dazu eigene Feldforschung betreiben. Gerade erleben wir in Atlanta eine massive Bewegung gegen »Cop City«, die Errichtung eines riesigen Trainings- und Einsatzzentrums der Polizei in einem großen städtischen Waldgebiet. Linke, abolitionistische und Umwelt-Aktivistinnen werden dabei als »domestic terrorists« (»inländische Terroristen«) gebrandmarkt und verhaftet, es kam bereits zu tödlicher Polizeigewalt. Die größtenteils elektoral orientierte Linke verhält sich jedoch kaum zu dieser Kampagne gegen die »Cop City« und wenn, dann nur instrumentell. Auf Bundesebene ist der Squad in außenpolitischer Hinsicht eine große Enttäuschung. Sämtliche sechs Squad-Mitglieder stimmten für Millionen und Milliarden für den Ukraine-Krieg und für die Rüstungsindustrie. Auch Sanders hat all dies nicht in Frage gestellt, lediglich Cori Bush hat leise Kritik daran geübt.

Aktuell gibt es auf der sozialistischen Linken eine Debatte zu »class dealignment« in den USA – vor allem im Nachgang der Midterms. Matt Karp ist ein prominenter Vertreter dieser Diagnose. Dylan Riley und Robert Brenner schreiben in der »New Left Review«, die US-Politik solle weiterhin in materialistischen Kategorien aufgefasst werden, doch diese hätten sich durch eine neue Form der Kapitalakkumulation verschoben. Sind diese Sichtweisen auf die US-Politik sinnvoll oder erhellend?

Ja, Riley und Brenner lesen »class dealignment« – also die Wählerwanderung bildungsferner Teile der Arbeiterklasse nach rechts und von »professionals« und Managern, wie sie die urbanen, gebildeten Teile der Arbeiterklasse charakterisieren, nach links – im Kontext eines neuen »politischen Kapitalismus«. In diesem Kapitalismus ohne Wachstum könne die Arbeiterklasse, so Riley und Brenner, den Wert ihrer Arbeitskraft nicht durch kollektive Organisation auf Klassenbasis steigern, sondern sie zerfällt in zwei Teile: Die armen und ungebildeten Teile könnten sich auf Basis ihres Weiß-Seins, durch Abgrenzung von Migranten und Nicht-Weißen, Vorteile sichern. Die über höhere Bildungsabschlüsse und Expertise verfügenden Schichten, die auch durch Diversität charakterisiert seien, sehen ihre materiellen Interessen dagegen nun eher bei den Demokraten aufgehoben. Ich nehme Riley und Brenner aber nicht ab, dass mit dem »politischen Kapitalismus« ein neues Akkumulationsmodell Einzug gehalten haben soll. Die Geschichte des Rassismus in den USA macht doch sehr deutlich, dass Verteilungsfragen schon sehr lange auf die Art politisiert sind, die sie als angeblich neu beschreiben. Wir haben erlebt, dass das alte, fordistische Akkumulationsmodell an seine ökologischen Grenzen, aber auch an die Grenzen der Ausbeutbarkeit menschlicher Arbeitskraft, gelangt ist. Seither befinden wir uns auf der Suche nach einem stabilen Nachfolgemodell, und das konnte der Neoliberalismus eben nicht hervorbringen. Wie sich jetzt zeigt, ist ein weiteres Wachstum der Renditen in diesem Modell nur über Plünderei, Spekulation und Überausbeutung möglich. Aber zurück zu ihrer »materialistischen« Erklärung des neuen Wahlverhaltens: Ich finde, sie ignoriert, dass sich die Republikaner schon lange als Vertreter weißer, nativistischer und nationalistischer Interessen anbieten. Dennoch stimmten die weißen, abgehängten Arbeiterinnen und Arbeiter noch 2008 mehrheitlich für Obama und eben nicht für John McCain. Erst 2016 verfängt das republikanische Wahlverspechen bei diesem Teil der Arbeiterklasse – und nicht nur bei Weißen, sondern zunehmend auch bei Latinos und Schwarzen.

Hier stellt sich natürlich die Frage: Warum erst 2016 und nicht vorher?

Matt Karps Diagnose scheint mir da sinnvoller. Er verortet den Beginn des »dealignment« in der Schwächung der Arbeiterklasse, die mit Globalisierung und Deindustrialisierung einherging. Die Demokratische Partei unter Bill Clinton hat diese in den 1990er Jahren mit ihrer neoliberalen Deregulierungspolitik und ihrem Shift von »welfare« zu »workfare«, also der Streichung von Sozialleistungen bei gleichzeitiger Subventionierung des Niedriglohnsektors, weiter vorangetrieben. Trotzdem blieben die unteren Schichten den Demokraten mehrheitlich treu. Erst nach 2012 sehen wir diese frappierende, doppelte Wanderungsbewegung: Die abgehängte Arbeiterklasse wendet sich nach rechts, die urbanen und suburbanen, gebildeten Schichten laufen zu den Demokraten über. Erst jetzt manifestieren sich die Demokraten als Partei der herrschenden Eliten. Und damit können sich die MAGA-Republikaner als Stimme der Abgehängten in Stellung bringen. Dennoch ist mein Eindruck, dass beide Seiten enger beieinander liegen, als sie glauben. Seit es die Demokraten und die Republikaner als Parteien gibt, haben sie versucht, Wählerkoalitionen zu bilden, indem sie wie auch immer definierte materielle Interessen bestimmter Bevölkerungsgruppen adressieren. Nur mit dem New Deal der 1930er Jahre und den Sozialprogrammen der Great Society in den 60er Jahre hat sich die Demokratische Partei verstärkt an die Arbeiterklasse gewendet, aber immer nur in begrenztem Umfang. Wir beobachten hier also weder ein rein kulturelles noch ein neues Phänomen. Aber beide Positionen reflektieren, dass die heutige Parteienlandschaft kaum eine Polarisierung auf Klassenbasis reflektieren kann. Ich denke, in dieser Debatte spielt auch eine Rolle, dass die Demokratische Partei sich schwer tut, zuzugeben, dass sie innerhalb der Arbeiterklasse massiv an Zustimmung verliert. Das hat auch damit zu tun, dass das Parteiestablishment so viel Wert darauflegt, progressive Strömungen innerhalb und außerhalb der Partei zu bekämpfen. In den Wahlkampfstrategien der Partei spielen die materiellen Bedürfnisse, insbesondere die der abgewerteten Arbeiterklasse, praktisch keine Rolle, weil sie sich Stimmenzuwächse nur von den »gehobenen« Schichten» verspricht. Dabei hat Sanders mit seinen Erfolgen bei den Präsidentschaftsvorwahlen der Demokraten in abgehängten Arbeiterdistrikten doch gezeigt, dass deren Stimmen keineswegs nur durch die rassistischen Appelle der MAGA-Republikaner zu gewinnen sind. Beide Analysen zeigen jedenfalls, dass die Linke sich gegen die regierende Partei der diversen und gebildeten Eliten – genauso wie gegen die Partei der nationalistischen Eliten – positionieren müssen.

Wie schätzen Sie die Lage der US-Linken insgesamt ein? Gibt es Entwicklungen, die Sie optimistisch stimmen?

In meinem Buch geht es um eine nüchterne Bestandsaufnahme. Die US-Linke konfrontiert momentan durchaus viele Fallstricke und Probleme. Zum Teil werden sie nicht erfolgreich angegangen, wären aber lösbar, wenn sie denn erst einmal als Problem begriffen würden. Natürlich finden immer und überall Kämpfe statt, wenn sich zum Beispiel Fabrikarbeiterinnen, Lehrerinnen, Krankenpflegerinnen, Amazon-Beschäftigte oder Baristas organisieren. Besonders ermutigend ist, wenn sich diese Menschen mit sozialistischen Organisationen verbünden. Hierdurch kann diese gewerkschaftliche Organisation eine explizit kapitalismuskritische und klassenkämpferische Orientierung entwickeln, falls das noch nicht «organisch» passiert ist. Das ist auch einer der Aspekte, die ich an Chris Smalls, dem Amazon-Gewerkschafter aus New York, so großartig finde: Er scheut sich nicht, dieses klassenkämpferische Narrativ anzubieten und auch in konservativen und liberalen Medien diesen Standpunkt zu vertreten. Hieraus ergeben sich für mich durchaus hoffnungsvolle Perspektiven auf eine Verbreitung sozialistischer Politik über die klassischen linken Milieus in den USA hinaus. Die Kritik, dass DSA und andere linke Organisationen noch sehr in urbanen Milieus verhaftet seien, und dass ihre Mitgliederbasis von Menschen mit College-Abschluss dominiert werde, trifft aber durchaus zu. Die sozialistische US-Linke muss auch andere Gruppen erreichen, nicht im Sinne eines linksliberalen «antifaschistischen» Bündnisses, in dem sie ihr gesamtes Profil aufgibt, sondern als klassenbewusste, antikapitalistische Bewegung. Sie muss ganz normale Menschen, die vielleicht nicht mit aktivistischer Sprache vertraut sind und mit Forderungen wie «defund the police» nichts anfangen können, erreichen. Bislang liefert die Linke der Rechten zu viele Steilvorlagen, indem sie große Gruppen vorschnell als «rechts» sortiert. Weite Teile der Arbeiterklasse, die der Deindustrialisierung zum Opfer gefallen sind, wurden von der Demokratischen Partei abgehängt und als «deplorable», also erbärmlich, verunglimpft. Dass die Linke sie ebenfalls aufgibt, erscheint mir nicht nur empathielos, sondern auch politisch unklug. Warum sollte die Linke sie kampflos den Rechten überlassen?

Margit Mayer: Die US-Linke und die Demokratische Partei. Bertz + Fischer Verlag, 252 S., 12 €.

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