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Solarenergie für das Freibad
Wie eine Kommune in der Südpfalz ihre Strom- und Wärmeversorgung in die eigene Hand nimmt
Sie stehen da, als hätte man sie als metallene Visitenkarten der »Energiekommune des Monats« hierhin platziert: Neun Windräder drehen sich auf einer kleinen Anhöhe kurz vor dem Ortsschild fröhlich im Frühlingswind. Im vergangenen Dezember waren auch sie eines der Reiseziele von Kommunalpolitikerinnen und Wissenschaftlern aus der gesamten Republik, die »Offenbach an der Queich« aber wohl erst in ihre Suchmaschinen eingegeben hatten. Dass Google und Co bei der Zielbestimmung vonnöten waren, vermutet jedenfalls Axel Wassyl, der Bürgermeister des 6700-Einwohner-Ortes im Landkreis Landau (Südpfalz), das man keinesfalls mit der bei Frankfurt gelegenen, gleichnamigen Großstadt verwechseln sollte. In der Vorweihnachtszeit hatte die Agentur für erneuerbare Energien Offenbach an der Queich zur »Energiekommune des Monats« gekürt und damit dort für rege Betriebsamkeit gesorgt. »Wie ein Touristenführer«, sei er sich zuweilen vorgekommen, sagt Wassyl in seinem modern eingerichteten Rathausbüro. »Da kamen Delegationen aus Bremen, Erfurt oder Luxemburg und wollten sich zeigen lassen, wie wir hier vor Ort die Energiewende angehen.«
Wie sie das bewerkstelligen, ließe sich mit einem Wort beschreiben: konsequent. Und genau deshalb lohnt der genauere Blick. Zum Beispiel auf den kommunalen Windpark am Ortseingang, der Strom für mehr als 13 000 Haushalte produziert, und die sieben Photovoltaikanlagen, die noch einmal gut zehn Millionen Kilowattstunden im Jahr beisteuern. Oder auf das Rathaus selbst, das mit Photovoltaikmodulen (zur Stromerzeugung) und PVT-Modulen (zur Strom- und Wärmegewinnung) ausgerüstet ist. Oder auf die Queichtalhalle schräg gegenüber, auf deren Dach dicke schwarze Rohre liegen. Es sind Solar-Absorber, mit denen das Wasser des Freibades nebenan beheizt wird.
Ein wichtiger Zwischenschritt zur »Energiegemeinde« war auch in Offenbach die Kommunalisierung des Stromnetzes. Seither hat die öffentliche Hand auch Einfluss auf die Preisgestaltung. Die gelang erst nach harten Kämpfen mit dem örtlichen Monopolisten, den Wassyl als unkooperativ und intransparent erlebt hat. Doch seit 2015 gibt es nun die Queichtal Energie – der lokale Versorger beliefert die Kunden vor Ort ausschließlich mit Ökostrom.
Und die Gewinne werden in den weiteren Ausbau der Erneuerbaren reinvestiert, auch im Wärmebereich. Bereits heute wird die Offenbacher Kita über zwei Luftwärmepumpen mit erneuerbarer Wärme versorgt, 2025 soll sie vollkommen autark beheizt werden – wie das Feuerwehrhaus und das Vereinsheim des örtlichen Sportvereins. Die ersten privaten Haushalte sollen dann schon ans Nahwärmenetz angeschlossen sein. Ziel der Gemeinde ist es, möglichst bald den gesamten Ort mit Wärme und Strom zu versorgen, der vor Ort aus regenerativen Quellen gewonnen wird.
Damit das gelingt, soll das bestehende Netz weiterwachsen, vom Zentrum in die Peripherie. Seit einiger Zeit werden deshalb bei allen Straßensanierungsmaßnahmen die Leitungen für das Wärmenetz mitverlegt. Im Neubaugebiet im Norden des Ortes – hier ist die Stadt Grundstückseigentümerin – ist der Anschluss ans Wärmenetz obligatorisch. Ein Ausbau des E-Car-Sharings und eine Abwasser-Wiederverwertung gehören ebenfalls zu dem Konzept. Schon bald will die Gemeinde einen konkurrenzfähigen Kilowattstunden-Preis festsetzen. »Ich hoffe, dass wir dann auch diejenigen zum Umstieg kriegen, für die weder Ökologie ein Argument ist noch die Tatsache, dass bei uns die Wertschöpfung im Ort bleibt.«
Kein Wunder also, dass die Berliner Juroren sowohl die konsequente Umsetzung der Pläne als auch die weiteren Ziele ins Feld führten, als sie Offenbach zur »Energiekommune« kürten. Doch vielleicht ist es noch erstaunlicher, dass der kleine Ort schon seit über 20 Jahren beharrlich am ökologischen Umbau arbeitet – ziemlich genau seit dem Tag also, als der parteilose Wassyl erstmals zum Bürgermeister gewählt wurde. »Der Axel« sei sehr konsequent, wenn es um Ökologie geht, sagt eine ältere Dame im örtlichen Wasgau-Supermarkt. »Den sieht man hier auch bei Wind und Wetter nur Fahrrad fahren.« Wassyl, in dessen Büro eine selbst entworfene bunte Holzinstallation hängt, bestätigt das. Er scheue sich auch nicht, morgens beim Bäcker die SUV-Fahrer im Ort zu fragen, warum sie denn die 500 Meter nicht zu Fuß zurücklegen. »Für euch kann der Liter Benzin gar nicht teuer genug sein«, hält er ihnen dann vor. »Aber eine Ausrede gibt es ja immer. Mal ist das Wetter zum Radfahren zu schlecht, mal zu gut.«
Wassyl ist ein Politiker, bei dem man den Eindruck hat, dass er so gut wie alle kommunalen Maßnahmen anhand der eigenen ökologischen Maßstäbe bewertet. Da liegt die Frage nahe, warum er nicht Mitglied der Grünen» ist. Doch so naheliegend findet der Bürgermeister die Frage gar nicht, wie sein erstaunter Blick verrät: «Ich bin froh, dass im Gemeinderat Parteipolitik kein Faktor ist. Und ich habe den Leuten schon bei meiner ersten Wahl versprochen, dass ich unabhängig bleiben werde, und habe seither keinen Grund gesehen, das zu ändern.»
Auch Hans-Josef Fell ist sich treu geblieben, das allerdings innerhalb einer Partei. Er saß von 1998 bis 2013 für die Grünen im Bundestag und gilt als einer der geistigen Urheber des Erneuerbare-Energie-Gesetzes von 2000. Heute leitet er die Energy Watch Group, ein internationales Netzwerk von Wissenschaftlern und Politikern. Fell macht keinen Hehl aus seiner Sympathie für die «Letzte Generation» – kein Wunder bei einem Mann, der seit Jahren schier daran verzweifelt, dass so viele Mitmenschen nicht begreifen wollen, was um sie herum passiert: «Das Ziel müssen baldmöglichst 100 Prozent Erneuerbare sein», sagt er. «Wenn wir in diesem Jahrzehnt so weitermachen, haben wir 2050 zwei Grad Erwärmung. Dann wird niemand mehr über Klimaneutralität reden, dann geht es ums nackte Überleben.»
Umso fataler, dass in 16 Jahren Angela Merkel – so sieht das nicht nur Fell – energiepolitisch so gut wie nichts passiert ist. Deshalb ist er froh über den Regierungswechsel, wenn auch mit Einschränkungen: «Wenn ich an die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren oder Steuererleichterungen bei privaten Solaranlagen denke, stimmt zumindest die Richtung wieder», sagt er. «Aber das wird nicht genügen. Jetzt rächt sich, dass 16 Jahre lang der Ausbau der Erneuerbaren so massiv behindert wurde.» Der schlimmste Fehler der großen Koalition sei die Umstellung auf ein Ausschreibungsverfahren gewesen. «Seither muss jede Energiegemeinschaft, die drei Windräder aufstellen will, erst mal Unsummen für unzählige Gutachten ausgeben.» Das aber könne eine Dorfgemeinschaft in der Regel nicht aufbringen. «Das Paradigma unter Merkel war: wenn ein Ausbau der Erneuerbaren, dann in der Hand der Energiekonzerne.» Auch noch jetzt – «ich kritisiere da auch meine Parteifreunde», sagt Fell – werde der Lobbymacht zu wenig entgegengesetzt. «Sie gehen die notwendige Abschaffung der Ausschreibungen nicht an, weil sie sagen, sie kriegen das mit der FDP nicht durch. Zudem ist der Lobbyismus der Erdgas-, Erdöl- und Atomwirtschaft phänomenal. Die Verursacher der Misere stehen auch heute wieder auf der Matte.»
Wie kräftezehrend der Kampf gegen die Energielobby sein kann, wissen sie in Schönau (Landkreis Lörrach) seit fast 40 Jahren. Ende April 1986 hatte eine Meldung in den Abendnachrichten für die vielleicht größte Zäsur in der 900-jährigen Geschichte des idyllischen Örtchens in Baden-Württemberg nahe der Schweizer Grenze gesorgt: «In dem sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl ist es offenbar zu dem gefürchteten GAU gekommen – dem größten anzunehmenden Unfall …» Vier Tage später ging auch über Südbaden radioaktiver Niederschlag nieder. «Das war ein Schock. Wir hatten drei kleine Kinder, da ist man noch mal ganz anders betroffen», erinnert sich Wolf Dieter Drescher, der dem Aufsichtsrat der Elektrizitätswerke Schönau (EWS) angehört. «Jahrelang hatte keiner hören wollen, dass uns so ein Ding um die Ohren fliegen kann. Und dann ist es passiert.» Nach dem 26. April 1986 war nichts mehr wie zuvor. Schon gar nicht in Schönau, wo sich auf eine Zeitungsannonce hin («Wer möchte auch etwas tun und weiß nicht wie?») eine Bürgerinitiative mit dem programmatischen Namen «Eltern für eine atomfreie Zukunft» gründete. In dem kleinen Örtchen fanden sich schnell Menschen zusammen, die sich engagieren wollten. Gegen die Atomkraft, aber auch gegen Ressourcenverschwendung und den Klimawandel, der damals noch kaum im öffentlichen Bewusstsein war. Dass Kohle und Gas keine dauerhafte Alternative zur Kernspaltung sein würden, war hier vielen schon vor Jahrzehnten bewusst: In den frühen 1990er Jahren prognostizierte der Klimaforscher Helmut Graßl in Schönau, dass es bald Winter geben werde, in denen im Schwarzwald niemand mehr Skifahren könne. «Er hat recht behalten», seufzt Drescher.
Die Schönauer «Stromrebellen» rebellierten nicht nur, sie führten auch Stromspar-Beratungen und Weiterbildungen durch. Und sie arbeiteten an Alternativen zu Kohle und Atom. «Wir gründeten eine kleine Firma, die die Produktion von ökologischem Strom förderte», berichtet Drescher. Es war die Keimzelle der 1994 von 650 Bürgern gegründeten Genossenschaft EWS. Die hat heute 230 000 Kunden und 10 000 Mitglieder. Dem damaligen Stromnetzbetreiber Kraftwerke Rheinfelden gefielen die Schönauer Autonomiebestrebungen indes gar nicht. Er bot der Stadt 100 000 Euro an, wenn sie den Vertrag mit ihr verlängern würde. 1997 kaufte die EWS dann dennoch das Stromnetz, zu einem überhöhten Preis. Möglich war das, weil die Stromrebellen bundesweit Unterstützung erfuhren, Spenden aus allen Landesteilen erhielten. Seither sind die EWS auf Wachstumskurs – seit dem russischen Überfall auf die Ukraine und der Gasknappheit mehr denn je. «So zynisch das klingen mag: Für alternative Energien und Klimaschutz ist dieser furchtbare Krieg die Chance schlechthin. Ich habe jedenfalls schon lange nicht mehr erlebt, dass jemand die Augen verdreht, wenn die Rede auf E-Autos oder Photovoltaik kommt.»
Zurück nach Offenbach, wo Alex Wassyl gleich einen weiteren Termin hat. Es geht mal wieder um ein Genehmigungsverfahren. Inhaltlich und rechtlich sei längst alles geklärt, versichert der Bürgermeister. Doch das bedeutet natürlich noch lange nicht, dass sie jetzt loslegen können in Offenbach. Die Amtsschimmel auf Landes- und Bundesebene haben nun mal ihr eigenes Tempo. Kürzlich, als sie in Offenbach mal wieder monatelang auf eine Fördermittelzusage gewartet haben, die das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle nicht zustande brachte, ist es Wassyl zu bunt geworden, und er hat einfach zum Telefonhörer gegriffen. Als er dort anrief, hieß es, es herrsche Personalknappheit, er solle sich gefälligst beim «obersten Dienstherren» beschweren. Das hat Wassyl dann auch getan. Und zwar mit deutlichen Worten. Zurückgeschrieben hat Robert Habeck ihm nicht. Aber die Genehmigung, die kam ein paar Tage später dann doch noch.
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