SPD: Kaputtregiert

Christoph Ruf blickt auf das Wahlergebnis der SPD und die Zukunft dieser Partei

Lars Klingbeil (l-r) Parteivorsitzender der SPD, der amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Saskia Esken, Parteivorsitzende der SPD, verlassen eine Pressekonferenz der SPD.
Lars Klingbeil (l-r) Parteivorsitzender der SPD, der amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Saskia Esken, Parteivorsitzende der SPD, verlassen eine Pressekonferenz der SPD.

Am Wahlabend gab es für mich ein paar irritierende Momente. Der erste: Dass zweieinhalb Millionen Stimmen für das BSW unter den Tisch fallen, weil ein Land, in dem sich viele nicht mehr wahrgenommen fühlen, eine Fünf-Prozent-Hürde für zeitgemäß hält. By the way: Was manche Umfrageinstitute da abgezogen haben, macht mir für die Zukunft Angst. Zweitens: Dass sich der gar nicht mal günstige Sekt, den ich zur Feier des FDP-Ergebnisses kaltgestellt hatte, als Katastrophe erwies. Leer wurde er aus Freude über 8,8 Prozent trotzdem.

Und drittens: Dass die SPD gegen 19 Uhr einen »Generationswechsel« ankündigte. Wen um Himmels willen könnte Lars Klingbeil denn da meinen, fragte ich mich, als ich die Liste der Sozi-Talente durchging und mir auch eine Minute später niemand eingefallen war. Dann die Erkenntnis: Sich selbst meinte er. Klingbeil ist der Generationswechsel.

Christoph Ruf

Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.

Wäre sie eine Person, man würde die SPD gerne schütteln, mit Wasser überschütten und ihr die Nase zuhalten. All das braucht es, und zwar in Kombination, um sie wach zu kriegen. Die Hoffnung, dass sich irgendwann von selbst Vitalfunktionen einstellen, habe ich aufgegeben. Und nicht nur ich: Nur 24 Prozent der Wähler schreiben der SPD noch die größte Kompetenz bei der sozialen Gerechtigkeit zu. Das ist so, als attestiere man der Tierschutzpartei, nur in jedem vierten Fall die besten Ideen beim Tierschutz zu haben. Nichts kommt von ungefähr: Im Wahlkampf erklärte Scholz wortreich, wie ungerecht es doch sei, dass mancher nach 45 Jahren Beitragszahlen keine auskömmliche Rente habe. Den Denkfehler merkte jeder: Da sprach jemand, der die letzten drei Jahre Kanzler und davor Vizekanzler war.

Da passt es ins Bild, dass es vier erwachsene Menschen nach dem Ampel-Aus nicht geschafft haben, den Kanzler davon abzubringen erneut zu kandidieren. Warum aber sollte man Menschen irgendetwas zutrauen, die es in einer existenzbedrohenden Lage nicht schaffen, dem Kaiser zu sagen, dass er nackt ist?

Saskia Esken hat in ihrem Wahlkreis 0,7 Prozent mehr Erst- als Zweitstimmen bekommen, also 12,9 Prozent. Eine Partei, die an einem Punkt angelangt ist, an dem selbst Mitglieder und Stammwählerinnen andere Parteien wählen, hätte schon vor 20 Jahren in sich gehen müssen, hätte in der Opposition ihr Profil schärfen und über viele mühsame Monate hin überlegen müssen, wofür sie im 21. Jahrhundert stehen will. Stattdessen hat sie sich bis zur Unkenntlichkeit kaputt-regiert. Nur einmal 2009 kam Schwarz-Gelb an die Macht. Als es für dieses Bündnis vier Jahre später nicht mehr reichte, entschied sich die SPD lieber, Juniorpartner unter Angela Merkel zu sein, als zusammen mit Grünen und Linken eine Koalition zu bilden. Schreiende Dummheit ist auch nach 12 Jahren nicht verjährt.

Ironie der Geschichte: Diesmal ist es wirklich so, dass es keine rechnerische Alternative zur Großen Koalition gibt, außer einer schwarz-blauen. Die SPD wird ausnahmsweise also wirklich aus staatsbürgerlicher Verantwortung in eine Koalition müssen, in der sie weiter erodieren wird. Dass sie das als 16-Prozent-Partei tut, die entsprechend wenig zu melden haben wird, ist die gerechte Strafe dafür, dass sie sich in der Vergangenheit immer für die falschen Machtoptionen entschied – und gegen ihre eigenen Inhalte.

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