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Vorwurf der Sklavenarbeit: Volkswagen stellt sich quer
Automobilhersteller lehnt Einigung mit Staatsanwaltschaft in Brasilien zu Vorwurf der Sklavenarbeit ab
Zwischen 1974 und 1986 soll es auf der von der brasilianischen Tochtergesellschaft des Volkswagen-Konzerns betriebenen Rinderfarm Vale do Rio Cristalino am Rande des Amazonasbeckens zu schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit gekommen sein. Arbeiter sollen geschlagen und gedemütigt worden und in elenden Verhältnissen untergebracht gewesen sein. Das legen 2000 Seiten Ermittlungsakten der brasilianischen Staatsanwaltschaft nahe, die den Fall seit mehreren Jahren untersucht. Im vergangenen Jahr eröffnete sie ein förmliches Ermittlungsverfahren gegen VW. Bisher gab es drei Anhörungen, die jedoch ohne Ergebnis verliefen.
Am vergangenen Mittwoch kamen in der Megametropole São Paulo erneut Vertreter der Staatsanwaltschaft und von VW zusammen. Das Unternehmen habe kein Interesse an der Unterzeichnung eines Abkommens, hieß es anschließend. Eine außergerichtliche Einigung ist damit vom Tisch, Entschädigungszahlungen rücken wieder in weite Ferne. »Volkswagen do Brasil weist alle Behauptungen zurück, die in den Protokollen dieser Untersuchung über die Fazenda Vale do Rio Cristalino enthalten sind, und stimmt den einseitigen Darstellungen von Fakten durch Dritte nicht zu«, antwortete ein Sprecher von Volkswagen do Brasil auf Presseanfragen.
Laut einem 84 Seiten starken Bericht sind für Rodungsarbeiten eingesetzte Leiharbeiter »sklavenähnlichen Bedingungen« unterworfen gewesen. Es soll sich um systematische Menschenrechtsverletzungen in Hunderten Fällen handeln – laut den Ermittlungsakten mit Wissen des Vorstands von Volkswagen do Brasil.
Für den deutschen Konzern ist Brasilien eigentlich eine Erfolgsgeschichte. Fast 400 000 Autos verkaufte das Unternehmen in dieser Zeit in Brasilien jährlich, 60 Prozent des Marktes wurden vom Wolfsburger Konzern kontrolliert, Autos wie der Käfer erlangten auch in Brasilien Kultstatus. Schon bald wollte VW ebenfalls mit der Fleischproduktion Profite machen. Dazu gründete Volkswagen do Brasil Mitte der 1970er Jahre Farmen im abgelegenen Amazonasgebiet. Der damalige Firmenchef Rudolf Leiding ordnete sogar persönlich an, Land im Regenwald für das Projekt zu erwerben. Was dem Wolfsburger Unternehmen zugutekam: Die Konzernleitung hatte beste Verbindungen in die oberste Riege der damals brutal herrschenden rechten Militärdiktatur und teilte deren wirtschaftspolitische und innenpolitische Ziele.
»Volkswagen hat strukturell mit den Repressionsorganen der Militärdiktatur kollaboriert«, erläutert Adriano Diogo dem »nd«. Der 73-Jährige leitet die Wahrheitskommission in São Paulo, die eine Aufarbeitung der Verbrechen der Militärdiktatur zum Ziel hat. Seit vielen Jahren beschäftigt sich Diogo mit der Rolle von Volkswagen, er war auch bei der Anhörung in São Paulo anwesend. Erst 1986, ein Jahr nach der Rückkehr Brasiliens zur Demokratie, gab der deutsche Konzern das dortige Rindfleischgeschäft auf. Dass das Kapitel nicht abgeschlossen ist, hat vor allem mit einem Mann zu tun: Ricardo Rezende Figueira (siehe Interview unten). Der linke Priester war damals in der Nähe der Farm im Einsatz. Geflohene Arbeiter suchten bei ihm Schutz, später besuchte er mit einer Gruppe von Politikern die Farm. Jahrzehntelang sammelte er Beweise und Zeugenaussagen für die Verbrechen auf der Farm. Die Staatsanwaltschaft bezieht sich bei ihren Ermittlungen maßgeblich auf die Recherchen Rezendes.
Die Debatte über die Farm in Amazonien nahm erneut an Fahrt auf, als Volkswagen vor sechs Jahren begann, Menschenrechtsverletzungen in anderen Fällen untersuchen zu lassen. Der Werkschutz einer Fabrik bei São Paulo hatte mit der Geheimpolizei zusammengearbeitet und linke Arbeiterinnen und Arbeiter bespitzelt. Mehrere von ihnen landeten in den Folterkellern des Regimes. 2020 zahlte der Konzern den Opfern umgerechnet rund 5,5 Millionen Euro. Doch für einige kam das zu spät, sie waren bereits verstorben.
Gegenüber den Medien bestritt der frühere Leiter der Cristalino-Farm, der Schweizer Friedrich Brügger, jegliche Verantwortung der VW-Leitung für die damals verübten Verbrechen. Schuld hätten die Arbeitsvermittler gehabt, die für die Rodungsarbeiten zuständig gewesen sind. Außerdem hätten damals auch andere Unternehmen so gehandelt. Brügger spricht von Einzelfällen.
Auch in Deutschland wird die Kritik an Volkswagen lauter. 2800 Menschen unterzeichneten eine an den VW-Vorstand gerichtete Petition. Diese fordert den Konzern auf, »seine Schuld an den damaligen Menschenrechtsverletzungen« anzuerkennen. Eine Gruppe von Aktivist*innen reiste am 24. März nach Wolfsburg, um die Petition in der Hauptzentrale des Autobauers abzugeben. Allerdings nahmen weder ein Vorstandsmitglied noch die Menschenrechtsbeauftragte die Petition entgegen, sondern lediglich ein Pressesprecher.
»Angesichts der nur noch wenigen Überlebenden ist das Verhalten Volkswagens skandalös«, sagt Günther Schulz von der Brasilien-Initiative Freiburg. »VW muss endlich dieses düstere Kapitel seiner Historie zum Abschluss bringen.«
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