- Politik
- Macron und von der Leyen in Peking
Macron auf geopolitischer Mission
Frankreichs Präsident stellt Ukraine-Krieg ins Zentrum seines China-Besuchs
Präsident Emmanuel Macron weilt vom heutigen Mittwoch bis einschließlich Samstag zu einem offiziellen Besuch in China. Es ist seine zweite Visite nach einer ersten im Herbst 2019, denn Macrons ursprüngliche Absicht, China während seiner Amtszeit alle Jahre aufzusuchen, ließ sich wegen der Corona-Pandemie nicht verwirklichen. Inzwischen hat sich einiges an Themen angesammelt, sodass dem jetzigen Besuch sowohl geostrategische als auch bilaterale politische und ökonomische Bedeutung zukommt.
Emmanuel Macron hat die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, eingeladen, ihn zu begleiten. Damit bleibt er auf der schon in seiner ersten Amtszeit eingeschlagenen Linie, die französisch-chinesischen Beziehungen in den europäischen Rahmen einzubetten. Im März 2019 hatte er Angela Merkel und Jean-Claude Junker an seiner Seite, als er Xi Jinping im Élysée-Palast empfing, und auch zu seiner China-Reise im November 2019 hatte er einen EU-Kommissar und eine deutsche Ministerin mitgenommen.
Vor einer Woche hat sich die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel für eine Neuausrichtung des Verhältnisses zu China ausgesprochen, »auf der Grundlage von Transparenz, Berechenbarkeit und Gegenseitigkeit«, wie sie betonte. »Diese neue, prägnantere Linie ist weit entfernt von dem immer noch relativ versöhnlichen Ansatz, den Emmanuel Macron gegenüber China bevorzugt«, stellt das Französische Institut für Internationale Beziehungen IFRI fest. »Macron und von der Leyen sind sich jedoch in einem wichtigen Grundsatz einig: Sie wollen eine Politik der ›Risikominderung‹ (Derisking) einleiten, weil zu große Abhängigkeit von China die europäische Wirtschaft gefährdet.« Derisking sei eine Alternative zu dem radikaleren Ansatz der »Entkopplung« von China, der von den USA propagiert wird. »Damit schließt sich die EU nicht der offensiveren Position Washingtons an, sondern bevorzugt einen defensiven Ansatz zur Verringerung der Abhängigkeit von China.«
Höchste Priorität beim heute beginnenden Besuch hat zweifellos Chinas Haltung zum Ukraine-Krieg und die Rolle, die Peking entweder auf dem diplomatischen Parkett bei der Suche nach einer friedlichen Lösung oder aber für eine Verschärfung des Krieges durch Waffenlieferungen nach Russland spielen könnte. »China hat seit Beginn des Konflikts eine widersprüchliche Haltung eingenommen: Auf der einen Seite pocht es auf seine Neutralität und fordert Friedensgespräche und einen Waffenstillstand, auf der anderen Seite ergreift es keine konkreten Initiativen, um die Bedingungen für solche Gespräche zu schaffen, und erkennt nicht einmal an, dass es sich um eine russische Aggression handelt«, konstatiert das IFRI. Wie der kürzliche Besuch von Xi bei Putin deutlich gemacht hat, werde Russland durch China unterstützt, wenn auch vorläufig nur politisch und nicht militärisch, denn die Ukraine sei nicht Pekings Krieg. »Das Interesse von Xi Jinping besteht heute darin, eine ideologische Einheitsfront mit Russland zu demonstrieren, die für die eigene strategische Rivalität mit den USA nützlich ist, ohne seine Neutralität infrage zu stellen oder sich Sanktionen auszusetzen.« Es sei illusorisch, darauf zu setzen, dass China im Ukraine-Krieg die Rolle des Vermittlers übernehmen kann und will, urteilt das IFRI. Dafür gebe es auch keinerlei Anzeichen. Der am 24. Februar veröffentlichte Zwölf-Punkte-Plan der chinesischen Regierung, die vorgibt, eine »politische Lösung für die Ukraine-Krise« vorzuschlagen, enthalte faktisch keinen konkreten Ansatz. »Es geht also nicht darum, Xi davon zu überzeugen, als Vermittler aufzutreten, sondern darum, ihn davon abzuhalten, durch Waffenlieferungen den Rubikon der militärischen Unterstützung zu überschreiten«, sind die Politikwissenschaftler des IFRI überzeugt, »doch in beiden Fällen scheint dies aussichtslos zu sein«.
Die Entwicklung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen ist vor allem darauf gerichtet, das krasse Handelsdefizit Frankreichs gegenüber China zu verringern. Um darauf ausgerichtete Projekt voranzubringen, hat Präsident Macron mehr als 50 Chefs von Konzernen wie beispielsweise Airbus, EDF, Alstom und Veolia, aber auch von mittelständischen Unternehmen eingeladen, ihn zu begleiten. In diesem Zusammenhang sieht das Programm der Reise, die erst nach Peking und dann in die südchinesische Metropole Kanton führt, die Unterzeichnung einer Reihe von Verträgen vor. Dagegen dürfte die Kritik an Menschenrechtsverletzungen beispielsweise gegenüber der muslimischen Bevölkerungsminderheit der Uiguren »nur ganz am Rande und eher als lästige Pflichtübung« stattfinden, befürchtet die französische Sektion von Human Rights Watch.
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