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Solidarische Landwirtschaft: Besuch auf dem Spörgelhof
Kollektiv und ökologische: Das Konzept der solidarischen Landwirtschaft kann dem schwierigen Brandenburger Boden trotzen
Der Kiefernwald nördlich von Bernau bei Berlin lichtet sich und Äcker kommen zum Vorschein: Heckenzwiebeln und Schnittlauch wachsen trotz des kalten Frühlingsbeginns schon auf einigen Beeten. Andere Felder werden zum Anbau von Kohl oder Kürbissen genutzt. Man hört einen Traktor hin- und herfahren. Darin sitzt Gärtnerin Alma Queck und düngt eine Feldfläche. Seit über drei Jahren arbeitet sie auf dem Spörgelhof, einem als Genossenschaft organisierten solidarischen Landwirtschaftsbetrieb in der Gemeinde Wandlitz im brandenburgischen Landkreis Barnim.
»Die größte Schwierigkeit hier ist der Boden. Der ist nicht sonderlich gut«, sagt Queck. Brandenburg ist bekannt für seine sandigen Böden, für jahrzehntelangen Kiefernanbau, für Monokultur. Gemüse hat es schwer in diesem Boden, der Wasser und Nährstoffe schlechter speichern kann. Das Ackerkraut Spörgel hingegen mag ihn. Es wächst auf dem Gelände und hat dem Hof seinen Namen gegeben.
Die Gärtner*innen auf dem Spörgelhof achten sehr darauf, ihre Böden schonend zu bearbeiten. Queck sagt: »Es ist eine echte Herausforderung, gleichzeitig den Boden zu verbessern und die Ertragsmenge und die Gemüsequalität zu steigern.« So würden die Felder beispielsweise nicht gepflügt, denn dadurch gehe Wasser und Boden verloren. Außerdem arbeiteten die Gärtner*innen mit Mulchdüngung, sodass der Boden dauerhaft bedeckt bleibt. Durch diese Verfahren entstehe gesunder, gut durchwurzelter und lebendiger Boden, berichtet die Gärtnerin.
»Wir wenden Methoden der regenerativen Landwirtschaft an. Wir bearbeiten den Boden möglichst wenig, dadurch bleibt der Kohlenstoff im Boden«, sagt Queck. In den Verfahren der herkömmlichen industriellen Landwirtschaft werde durch die intensive Bearbeitung viel Kohlenstoff freigesetzt, was schädlich für das Klima sei. Pestizide werden auf dem Hof nicht eingesetzt, das schützt die Artenvielfalt der Insekten. Ein Imker hält Bienen auf dem Hof, die die Gemüsepflanzen bestäuben. Außerdem wurde ein Agroforst aufgebaut, zwischen den Feldstreifen mit Gemüse wachsen also schmale Reihen von Bäumen. Die Methode setzt auf eine Wechselwirkung zwischen Ackerbau und Forst, die ökologisch nachhaltig ist. »Die Bäume schützen die Felder vor dem Wind und tragen dazu bei, das Wasser zu halten«, erklärt Queck.
Obwohl der Spörgelhof alle Ansprüche der Biolandwirtschaft erfüllt, verfügt er nicht über das entsprechende Siegel. Das braucht der Hof auch nicht: Als »solidarische Landwirtschaft« gibt die Spörgelhof-Genossenschaft alles erwirtschaftete Gemüse direkt an die eigenen Mitglieder ab, die im Jahresabonnement durch einen Monatsbeitrag Gemüseanteile erwerben und damit Anbau und Ernte finanzieren. »Wir sind eine Binnenwirtschaft«, sagt Queck. Es gebe keine Produkte des Spörgelhofs, die außerhalb der Genossenschaft verkauft würden. Durch die Direktvermarktung seien die Produktionsbedingungen des Gemüses transparent.
Die Organisationsform bringt den Gärtner*innen einige Vorteile: Ihre Einnahmen sind zum Beispiel nicht an die saisonalen Erträge gekoppelt. Im Winter ist zwar weniger Gemüse in den abonnierten Gemüsekisten und in den härtesten Monaten gibt es nicht wie sonst jede Woche eine Kiste pro Mitglied, sondern nur alle zwei Wochen. Durch das Modell der Jahresabonnements erhält die Genossenschaft trotzdem zuverlässig die entsprechenden Beiträge. »Wir Gärtner*innen werden verbindlich unterstützt und haben den Rückhalt der Mitglieder, auch wenn wir zu viel oder zu wenig Gemüse ernten«, sagt Queck.
Unabhängig von Verträgen mit Supermärkten oder anderen Verkaufsstellen sind die Abnehmer*innen des Gemüses außerdem nicht von den gestiegenen Gemüsepreisen als Folge des russischen Angriffskrieges in der Ukraine betroffen. Der Spörgelhof hatte Queck zufolge weder steigende Ausgaben noch Lieferengpässe zu vermelden.
Trotzdem muss auch die Genossenschaft die Gemüsepreise erhöhen. »Es geht vor allem darum, die Personalkosten zu decken«, sagt Queck. Denn um den angestellten Gärtner*innen ein angemessenes Gehalt zu zahlen, müssen die Einnahmen stimmen. »Wir haben aber ein solidarisches Finanzierungsmodell.« Die Mitglieder zahlen je nach Bereitschaft unterschiedlich viel für ihre Gemüsekisten. Ausgehend von einem Richtwert, mit dem die Genossenschaft pro Mitglied rechnet, um die Kosten zu decken, kann jedes Mitglied drei eigene Beiträge nennen, die es zu zahlen bereit wäre.
Die Mitglieder wiederum sind dazu angehalten, selbst Hand anzulegen und an den monatlichen Einsatztagen auf dem Spörgelhof mitzuhelfen. »Das funktioniert super«, sagt Queck. Sie freut sich über das Engagement. Im Schnitt kämen ungefähr 20 Menschen zu den Einsatztagen, in besonderen Fällen, beispielsweise zur Kürbisernte, seien es auch bis zu 50 Helfer*innen. »Die Genossenschaft gehört allen. Das heißt, dass alle ein Stück Verantwortung übernehmen.«
Den Spörgelhof gibt es schon seit 2014. Seit 2021 ist er eine Genossenschaft. In den vergangenen zwei Jahren mussten dementsprechend viele Strukturen aufgebaut werden. »Das war schon sehr viel Arbeit«, sagt die Gärtnerin. Diese sei notwendig gewesen, um Personal einzustellen und größere Investitionen zu tätigen, zum Beispiel in einen neuen Traktor. »Dadurch können wir auch mehr Gemüse produzieren. Vorher haben wir die Felder größtenteils per Hand bearbeitet, mit einer Radhacke«, sagt Queck. Als Genossenschaft müsse das Projekt aber noch wachsen: »Wir brauchen mehr Mitglieder.«
Mitglieder der Genossenschaft bilden inzwischen auch den Vorstand. Das ist gut für Queck und ihre Kolleg*innen, denn vorher übernahmen die beiden festangestellten Gärtner*innen selbst die Vorstandsarbeit. »Dadurch hatten wir kaum Zeit für die Arbeit auf dem Feld«, sagt Queck.
Zwei der fünf frisch gewählten Vorstandsmitglieder sind Res Sigusch und Zeno Gries. Beide wohnen in Berlin, wie die meisten der Genossenschaftsmitlieder und Gemüseabnehmer*innen. Sigusch kam über eine Freundin zum Spörgelhof, kurz nach dem Umzug nach Berlin. »Ich bin rausgefahren auf den Hof und fand einfach alles toll. Die Leute, die Gemeinschaft dort, und dass man mitarbeiten kann, ohne Vorwissen zu haben«, sagt Sigusch. Während der Einsatztage habe Sigusch sich immer mehr in das Projekt verliebt. »Das ändert auch das Essverhalten, wenn ich weiß: Das ist meine Rote Bete, die ich selbst geerntet habe.«
So sieht es auch Gries. »Ich bin zur Tomatenzeit dazugekommen, das weiß ich noch«, sagt er. Gries habe die eigene Ernährung gesünder gestalten wollen. Die Gemüsekisten seien dafür eine gute Motivation, denn so habe man eben wöchentlich das Gemüse da und müsse es verkochen. »Das ist eine gute Möglichkeit, sich regional und saisonal zu ernähren. Es schmeckt auch alles viel besser. Lauch zum Beispiel mochte ich vorher gar nicht, aber den vom Hof esse ich gern.«
Beide Vorstandsmitglieder halten das Projekt Spörgelhof für sehr politisch. »Es stellt einen Gegensatz zur industriellen Landwirtschaft dar. Der Umgang mit der Natur, die kollektive Arbeit, die Abkehr von Leistungszwang und Konkurrenzdenken und so vieles mehr ist ganz anders«, sagt Sigusch. Gries hält es für fortschrittlich, dass die Ernte mit allen geteilt wird und die Investitionen von allen getätigt werden. »Es ist eine utopische Form der Ernährung«, sagt er. Gleichzeitig ähnele die Genossenschaft trotzdem einem Unternehmen: »Es geht um Geld, wir müssen liquide bleiben.« Dennoch könne das Modell als Gegenentwurf zur kapitalistischen Gesellschaft gedacht werden, weil es nicht profitorientiert sei.
»Was mich am meisten freut, ist, dass wir den Boden verbessern«, sagt Sigusch. Dies sei durch regelmäßige Bodenproben nachgewiesen. »Das bleibt über Generationen«, sagt das Vorstandsmitglied. Gries stimmt zu: »Es ist schon krass, dass es klappt, auf den schlechten Brandenburger Böden Gemüse anzubauen und dabei den Boden sogar zu verbessern.«
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