- Berlin
- Versammlungsrecht
Nach Berliner Palästina-Demo: Instrumentalisierter Antisemitismus
SPD-Innensenatorin Iris Spranger nutzt antisemitische Vorfälle, um für die Reform des Versammlungsfreiheitsgesetzes zu werben
Nach antisemitischen Parolen auf einer propalästinensischen Demonstration am Samstag und der Kritik an der Polizei sieht sich Innensenatorin Iris Spranger (SPD) bestärkt, bei der Reform des Versammlungsfreiheitsgesetzes den Begriff der »öffentlichen Ordnung« in das 2021 verabschiedete Gesetz zu integrieren. Damit könnte die »öffentliche Ordnung« als Einschränkungsgrund von Versammlungen dienen. Dieses Vorhaben haben die CDU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten.
Dem »Tagesspiegel« sagte Spranger, dass »mit Blick auf die Versammlung am vergangenen Wochenende« der Begriff der »öffentlichen Ordnung« einen »größeren Handlungsrahmen« schaffe. Sie suggerierte damit, dass die Sicherheitsbehörden durch ein reformiertes Versammlungsfreiheitsgesetz anders mit den Protesten hätten umgehen können. Ein am Sonntag veröffentlichtes Video der Dokumentationsplattform »Democ« zeigte Teilnehmer*innen, die »Tod Israel« skandierten, ein einzelner Demonstrant rief »Tod den Juden« oder »Juden, Mörder«. Obwohl rund 250 Polizist*innen mit Dolmetscher die Versammlung von rund 500 Menschen begleiteten, schritt die Behörde nicht ein. Erst im Nachhinein soll es laut Polizei eine Anzeige wegen Volksverhetzung gegeben haben.
Vasili Franco, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, hält Sprangers Vorstoß für unangebracht. Zum einen sieht er keinen inhaltlichen Zusammenhang: Es läge nicht am aktuellen Versammlungsfreiheitsgesetz, dass die Polizei weder Demonstrant*innen festgenommen noch die Versammlung aufgelöst habe. »Antisemitismus ist nicht durch das Versammlungsrecht gedeckt. Man kann sich hier nicht auf eine Gesetzeslücke berufen, das ist absoluter Quatsch«, so Franco zu »nd«. Er fordert vielmehr eine kritische Aufarbeitung des Polizeieinsatzes. In seinen Augen ließ die Berliner Polizei beim Thema Antisemitismus nicht zum ersten Mal Sensibilität vermissen.
Zudem kritisiert er Sprangers Vorgehen als Instrumentalisierung von Antisemitismus. »Sie nutzt die Demonstration, um ihre Agenda für eine Einschränkung des Versammlungsrechts zu forcieren, das kann man nur als verwerflich bezeichnen.« Er sieht in der Formulierung »öffentliche Ordnung« die Gefahr, damit Beschränkungen des Demonstrationsrechts aus politischen Gründen auszuweiten. »Aber das Versammlungsfreiheitsrecht soll dazu da sein, die eigene Meinung frei kund zu tun«, betont Franco. Wenn dadurch eine Gefahr für andere entstünde, reiche der Verweis auf die öffentliche Sicherheit aus, der bereits jetzt vom Gesetz gedeckt ist. Bei strafrechtlich relevanten Vorfällen wie Volksverhetzung gebe es per se keine Ausnahmen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.