Italien: Migration steuern durch »Flüchtlings-Notstand«

Mit der Ausrufung des Notstands will Italiens Regierung die steigende Zahl von Geflüchteten bewältigen

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 4 Min.

Italiens rechte Regierung unter Führung von Giorgia Meloni hat sich mit Sonderrechten ausgestattet, um die nach Italien flüchtenden Menschen effektiver abzufertigen. »Wir haben den Notstand für den Bereich der Einwanderung beschlossen, um schneller wirksamere Maßnahmen zur Steuerung der Migrationsströme zu ergreifen«, erklärte Ministerpräsidentin Meloni laut der italienischen Nachrichtenagentur Ansa am Dienstagabend. Der Notstand soll zunächst für ein halbes Jahr gelten, verbunden damit ist auch die Freigabe von fünf Millionen Euro zur Unterstützung der besonders betroffenen Regionen im Süden des Landes: Sizilien, Kalabrien, Apulien. Damit sollen nach Informationen aus dem Umkreis der Regierung sowohl Unterkünfte für Geflüchtete errichtet, aber auch deren Abschiebung beschleunigt werden.

Nächster Schritt ist die Ernennung eines außerordentlichen Kommissars, im Gespräch ist der derzeitige Leiter der Einwanderungsabteilung des Innenministeriums, Valerio Valenti. Im Grundsatz sollen die fünf Millionen Euro vorrangig der Aufnahme von Geflüchteten dienen, auch das Rote Kreuz und der Zivilschutz sollen einbezogen werden. Gleichzeitig sei geplant, heißt es aus der Regierung laut der Tageszeitung »il manifesto«, die Strukturen zur Identifizierung und Abschiebung »zu erweitern und zu stärken«.

Dabei sind die Zahlen der in Italien angelandeten Geflüchteten gar nicht spektakulär: Zwischen dem 1. Januar und dem 11. April waren es 31 292 Personen, darunter mehr als 3000 unbegleitete Minderjährige, vor allem aus der Elfenbeinküste, Guinea, Pakistan, Ägypten, Tunesien und Bangladesch. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres betrug die Zahl der auf dem Seeweg ankommenden Migranten ein Viertel davon: 7928. Das ist zwar ein beachtlicher Anstieg, aber bei weitem keine Rekordmarke. So waren im Juni 2017 innerhalb von nur 36 Stunden 12 500 Migranten an Bord von 25 verschiedenen Schiffen angekommen. Der damalige Innenminister Marco Minniti von der Demokratischen Partei (PD) fürchtete damals gar um den »demokratischen Halt des Landes«; insgesamt waren 2017 rund 180 000 Menschen in Italien angekommen.

Vom vergangenen Freitag bis Montag wurden rund 3000 Geflüchtete gerettet und in Lampedusa oder Kalabrien an Land gebracht. Rekordverdächtig ist dagegen die Anzahl der Schutzsuchenden, die zwischen Januar und März beim Überqueren des zentralen Mittelmeers ums Leben kamen: 441. Nach Angaben der Vereinten Nationen vom Mittwoch war es das tödlichste erste Quartal für Migranten seit 2017.

Die zum UN-System gehörende Internationale Organisation für Migration (IOM) sagte, dass Verzögerungen bei staatlich geleiteten Such- und Rettungsaktionen (SAR) ein Faktor für mehrere tödliche Zwischenfälle bei der gefährlichen Überfahrt von Nordafrika gewesen seien; dies treffe auf mindestens sechs Vorfälle in diesem Jahr zu, die zum Tod von mindestens 127 Menschen geführt hätten. »Die anhaltende humanitäre Krise im zentralen Mittelmeer ist unerträglich«, sagte IOM-Chef Antonio Vitorino. »Mit mehr als 20 000 Todesfällen auf dieser Route seit 2014 befürchte ich, dass sich diese Todesfälle normalisiert haben.« Die Staaten müssten reagieren, denn »Verzögerungen und Lücken in der staatlich geleiteten SAR kosten Menschenleben«.

So hatte die NGO Sea-Watch Ostermontag ein Schiff mit etwa 400 Schutzsuchenden an Bord entdeckt. Das Hilfsprojekt Alarm Phone hatte die maltesischen Behörden kontaktiert, doch die reagierten nicht. »Wie absurd! Seit unserem ersten Alarm um 00:50h MESZ am 9. April haben wir 21 E-Mails an #Malta geschickt und um eine Rettungsaktion gebeten«, kommentierte Alarm Phone auf Twitter und warf der Küstenwache Maltas vor, ihre Verantwortung zu leugnen. Die Migranten werden nun von der italienischen Küstenwache in den Hafen Vibo Marina in Kalabrien gebracht und sollen Medienberichten zufolge dort am Mittwochnachmittag eintreffen.

Beobachter spekulieren inzwischen, ob die italienische Regierung der repressiven Linie der britischen Regierung unter Premier Rishi Sunak folgt, die zum Beispiel Geflüchtete nach Ruanda deportieren will. Aber Meloni, deren Partei Wurzeln im italienischen Faschismus hat, braucht keine Vorbilder für einen harten Umgang mit Menschen, die Schutz in Italien suchen: Jahrelang fordert sie eine Seeblockade, die aus Nordafrika kommende Boote mit Schutzsuchenden von europäischen Küsten fernhalten soll.

Eine der ersten Maßnahmen der rechten Regierung richtete sich gegen die Seenotrettungsorganisationen: Per Gesetz wurde ihnen verboten, mehr als ein Boot mit Geflüchteten pro Fahrt auf einmal zu retten. Außerdem wurde den NGO-Schiffen in den vergangenen Monaten häufig ein italienischer Anlandehafen zugewiesen, der sich weit entfernt befand von der Position der Rettungsschiffe – ohne Rücksicht auf den Gesundheitszustand der Menschen an Bord. Zumindest diese Praxis scheint dieser Tage nicht zur Anwendung gekommen zu sein.

Die italienische Regierung sieht die EU in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass weniger Migranten über die Mittelmeerroute ins Land kommen, und wird nicht müde zu betonen, dass Italien es alleine nicht schaffen könne. »Es muss klar sein, dass der Notstand das Problem nicht löst«, sagte der Minister für Katastrophenschutz, Nello Musumeci.

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