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Colonia Dignidad: Kein Ort der Trauer und Mahnung

Dokumentationszentrum zu Folter und Mord in der Colonia Dignidad fehlt bis heute

  • Ute Löhning
  • Lesedauer: 5 Min.
Fotos von Menschen, die 1973 von der chilenischen Militärjunta in die Colonia Dignidad verschleppt wurden und seither verschwunden sind.
Fotos von Menschen, die 1973 von der chilenischen Militärjunta in die Colonia Dignidad verschleppt wurden und seither verschwunden sind.

Fast 50 Jahre ist es her, dass Augusto Pinochet in Chile den gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende gestürzt hat und dass dieser Putsch am 11. September 1973 in der Colonia Dignidad gefeiert wurde. Anschließend richtete der chilenische Geheimdienst DINA auf dem Gelände der deutschen Sektensiedlung »Colonia Dignidad« ein Gefangenenlager ein. Hunderte Gegner*innen der bis 1990 herrschenden Diktatur wurden dort gefoltert, Dutzende ermordet und zu Verschwundenen. Ihr Schicksal und Verbleib sind bis heute nicht aufgeklärt.

»Die Mütter der Verschwundenen sterben, ohne zu wissen, wie und wo ihre Angehörigen ermordet wurden«, sagt Myrna Troncoso Muñoz, deren Bruder Ricardo 1973 verhaftet wurde und seitdem verschwunden ist. »Wir brauchen einen Ort zum Trauern und wollen, dass das Leid, das in der Colonia Dignidad geschehen ist, dort dargestellt wird.«

Tourismus statt Aufarbeitung

Doch stattdessen floriert in der Siedlung, in der heute rund 120 Personen leben, und die sich inzwischen Villa Baviera nennt, ein Tourismusbetrieb im bayerischen Stil. Gäste kommen vor allem wegen des guten Essens, der frischen Luft und der Ruhe an dem idyllisch am Fuß der Anden gelegenen Ort.

Eine Gedenkstätte oder ein Dokumentationszentrum gibt es bis heute nicht – weder für die auf dem Gelände gefolterten und verschwundenen politischen Gefangenen, noch für die Chilen*innen aus der Umgebung oder die Bewohner*innen der 1961 gegründeten deutschen Siedlung, die sogenannten »Colonos«, die jahrzehntelang Zwangsarbeit und sexualisierter Gewalt unterworfen waren.

»Der Vergnügungstourismus ist beschämend und muss eingestellt werden«, fordert der Journalist Gabriel Rodríguez. Er wurde 1976 als Gefangener in der Colonia Dignidad misshandelt, hat aber überlebt. »Am wichtigsten ist es, auf dem Gelände eine Gedenkstätte einzurichten«, sagt er heute.

Das entspricht auch dem Geist der 2017 vom deutschen Bundestag einstimmig geforderten Aufarbeitung der Verbrechen der Colonia Dignidad, und das könnte die von den Regierungen Chiles und Deutschlands gegründete »Gemischte Kommission zur Aufarbeitung der Colonia Dignidad« nun beschließen.

Bundesregierung versprach schon mehrfach Gedenkstätte

Am Dienstag reisen chilenische Regierungsangehörige zu einer entscheidenden Sitzung nach Berlin. Aus dem Auswärtigen Amt heißt es dazu, die Bundesregierung setze sich gemeinsam mit der chilenischen Regierung für eine Gedenkstätte ein. Man verweist auf die Erklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der bei seinem jüngsten Chile-Besuch Ende Januar 2023 bekräftigt habe, »dass Deutschland die chilenische Regierung bei diesem Projekt unterstützen und seinen Beitrag leisten wird«.

Allerdings hatten die Altkanzlerin Angela Merkel und Chiles damaliger Präsident Chiles Sebastián Piñera schon 2018 in Berlin verkündet: »Wir arbeiten an einer Übereinkunft zur Einrichtung eines Dokumentationszentrums.«

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat sich bislang nicht zum Thema Colonia Dignidad positioniert. Dabei ist die jetzige Konstellation mit der Ampelregierung in Deutschland und der linken Regierung unter Gabriel Boric in Chile politisch günstig und öffnet ein Zeitfenster zur Errichtung einer Gedenkstätte.

Finanzierung der Gedenkstätte nicht gesichtert

Die Einschätzungen von Betroffenen zur praktischen Umsetzung gehen allerdings weit auseinander. So ist die Vertreterin des Angehörigenverbandes von Verschwundenen aus der chilenischen Region des Mauleflusses, Myrna Troncoso, sehr verunsichert. Es könne keine Gedenkstätte errichtet werden, hätten ihr chilenische Angehörige der Gemischten Kommission in der vergangenen Woche gesagt, versichert sie. Denn auf chilenischer wie auf deutscher Seite fehle es an Finanzierungszusagen.

Der frühere politische Gefangene Gabriel Rodríguez hingegen begrüßt die Ankündigungen von chilenischen Regierungsvertreter*innen, eine Stiftung mit dem Ziel der Errichtung eines Gedenkortes gründen zu wollen und bis dahin zwölf Gedenktafeln an historisch bedeutsamen Objekten anzubringen, die Teil des Gedenkortes werden sollen.

Colonia Dignidad gehört undurchsichtiger Holding

Anna Schnellenkamp ist in der deutschen Siedlung aufgewachsen. Heute leitet sie den Tourismusbetrieb und engagiert sich in einer Sozial-AG für interne Angelegenheiten in der Villa Baviera. Sie versichert, viele Bewohner*innen stünden der Errichtung einer Gedenkstätte positiv gegenüber, sofern sie weiterhin auf dem Gelände angemessenen Wohnraum erhielten. Darüber habe die Sozial-AG mit Angehörigen der Gemischten Kommission gesprochen. Außerdem erhoffe sich die Sozial-AG professionelle Unterstützung bei der Aufklärung der ungerechten Verteilung von Aktien und Besitz in der Villa Baviera und habe einen entsprechenden Antrag an die deutsch-chilenische Regierungskommission gerichtet, so Schnellenkamp.

Die Villa Baviera ist als intransparente Firmenholding verschachtelter Aktiengesellschaften strukturiert. Macht und Vermögen liegen in Händen weniger Personen. Die »Klärung der Besitzverhältnisse der Colonia Dignidad/Villa Baviera voranzutreiben, auch mit dem Ziel, dass Mittel aus dem Vermögen konkret den Opfern zugutekommen«, ist Teil der vom deutschen Bundestag 2017 geforderten Aufarbeitung.

Ehemalige Bewohner sollen profitieren

Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit hat zwar Einblick in Bücher der Aktiengesellschaften erhalten und für mehr als 100 000 Euro eine Machbarkeitsstudie erstellt. Die Ergebnisse bleiben aber unter Verschluss, da sich die Leitung der Holding Verschwiegenheit ausbedungen hatte.

Wenn es auf dieser Strecke nun voranginge, könnten auch die (Ex-)Colonos profitieren, die meist unter sehr prekären Bedingungen leben. Dazu gehören vor allem jene, die die Villa Baviera verlassen haben und an anderen Orten Chiles leben. »Wir, die wir außerhalb leben, sind auf uns allein gestellt und brauchen am dringendsten Unterstützung«, sagt Doris Gert, die in der Colonia Dignidad aufgewachsen ist und dort jahrzehntelang ohne Lohn arbeiten musste.

Deutschland zahlt Entschädigung an die Opfer

Über ein Hilfskonzept der Bundesregierung haben rund 150 Opfer der Sekte, unter ihnen Doris Gert, Einmalzahlungen von bis zu 10 000 Euro erhalten. Ein ebenso beschlossener »Fonds Pflege und Alter« für die in Chile außerhalb der Villa Baviera lebenden Betroffenen ist bislang jedoch nicht eingerichtet worden.

Doris Gert lebt mit ihrer Familie im Süden Chiles und erhält weder staatliche Unterstützung, noch profitiert sie von den Einrichtungen der Villa Baviera, die mit deutschen Steuergeldern unterstützt werden. Derzeit finanziert der deutsche Staat mit knapp 100 000 Euro jährlich Personal der Alten- und Pflegestation in der Siedlung.

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