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Hugo van der Goes: Bilder, die atmen

Die Gemäldegalerie in Berlin zeigt das majestätische Werk des altniederländischen Meisters Hugo van der Goes

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 4 Min.
Hugo van der Goes, Geburt Christi, um 1480
Hugo van der Goes, Geburt Christi, um 1480

Es ist kaum zu glauben: Hugo van der Goes ist neben Jan van Eyck und Rogier van der Weyden – sie waren seine Vorbilder – der bedeutendste niederländische Maler des 15. Jahrhunderts. Aber noch nie gab es eine Personalausstellung zu seinem Werk. Der um 1435/40 in Gent geborene Maler amtierte bis 1476 als Dekan der Brügger Malergilde, zog sich dann aber als frater conversus, als weltlicher Augustinerbruder, in das in der Nähe von Brüssel liegende Rooden-Kloster zurück, wo er auch seine Werkstatt und seine Assistenten hatte.

Hochgestellte Persönlichkeiten, wie der spätere Kaiser Maximilian, damals noch Erzherzog, suchten ihn auf und erwarteten von ihm, dass er ihre Aufträge erfüllte. Wir wissen aber, dass er zum Schluss unter einer hochgradigen Melancholie litt und sich mit Selbstmordabsichten trug. War es der Konflikt zwischen dem inzwischen erlangten künstlerischen Ruhm und dem Bescheidenheit einfordernden christlichen Lebensideal? 1482/83 ist er als »Wahnsinniger« verstorben.

Nach seiner Glanzzeit im 15. Jahrhundert war er lange vergessen. Erst im 19. Jahrhundert wurden ihm wieder Werke zugeordnet, und die Kenntnis seines tragischen Endes, die Geschichte vom »wahnsinnig gewordenen Genie«, tat ein Übriges, um ihn nun als höchst modernen Maler wiederzuentdecken. Dafür symptomatisch war das monumentale Historienbild »Der Wahnsinn des Hugo van der Goes« (1872) des belgischen Malers Émile Wouters. Vincent van Gogh hat 1888 seinen psychischen Zustand direkt mit dem des Hugo van der Goes verglichen und erkannte in dessen Geisteskrankheit eine eigene Erfahrungsdimension des Künstlertums, die aber durch entsprechende Kontrolle zu steuern wäre.

Zwölf von den vierzehn ihm heute zugeschriebenen Gemälden und zwei als eigenständig erachtete Zeichnungen können jetzt im 540. Todesjahr des spätgotischen Malers in der Berliner Gemäldegalerie gezeigt werden. Dazu kommen in einer faszinierenden monografischen Schau weitere Werke aus seinem Umfeld und Kopien einiger verloren gegangener Gemälde. Zwei monumentale Tafelbilder, in den letzten Jahren aufwendig restauriert – den »Monforte-Altar« (um 1470/75) und die »Geburt Christi« (um1480) – kann die Gemäldegalerie ihr Eigen nennen. Ebenfalls restauriert, konnte der »Marientod« Brügge erstmals verlassen. Für andere Hauptwerke, so für den Portinari-Altar (um 1475/76) in Florenz und die von Edward Bonkil gespendeten Altarflügel (um 1475/80) in Edinburgh, war auf Grund ihrer Monumentalität und Fragilität die Reise nach Berlin nicht möglich.

Der Monforte-Altar, der erst Ende des 19. Jahrhunderts in einem spanischen Kloster entdeckt und zunächst als ein Werk von Rubens angesehen wurde, konnte 1913 für die Berliner Museen erworben werden. Ein sich friesartig entfaltender Aufzug der drei Heiligen Könige, die der Mutter Gottes und ihrem Kind huldigen, wird mit der Tiefenwirkung des Szenariums bis in die freie Landschaft in Einklang gebracht.

Dagegen bringen in dem Gemälde »Geburt Christi« statt des traditionellen Einzugs der drei Könige Hirten eine ungestüm hereinbrechende Bewegung in die religiöse Bildwelt. Dem übernatürlichen Licht, das vom Christuskind ausgeht, stehen Licht- und Schattenverhältnisse gegenüber, die den Raum, die Figuren in lebendiges Helldunkel hüllen. Hier tritt ein neuer Faktor der Unruhe und der Belebung auf, den es vorher in der niederländischen Malerei so nicht gab.

Der erste Eindruck vom Brügger »Marientod« (um 1480) ist der eines heillosen Chaos von Bewegungen, Gesten und Stellungen, Ausdruck des ohnmächtigen Schmerzes der Apostel, die sich um das Sterbebett der Gottesmutter drängen. Aber Goes hat mit dem Einbruch der Himmelsgloriole auch ein Lichtwunder geschaffen, das die Zeitgenossen erschüttert haben muss. Und gerade in der Entdeckung der Magie des Lichts als Offenbarung des Seelischen liegt eine seiner wichtigsten Innovationen.

Als die intimste und persönlichste Schöpfung des Malers kann das kleine Wiener Diptychon mit dem »Sündenfall« und der »Beweinung Christi« (um 1477/79) gelten. In dem Bild des Paradieses sind die beiden Nischenfiguren des Genter Altars Jan van Eycks, Adam und Eva, in einen Landschaftsgrund getreten und agieren den Sündenfall. Eva hat als selbstbewusste Frau bereits von der verbotenen Frucht gegessen und pflückt entschlossen einen zweiten Apfel für Adam. Welch eine psychologisch gut durchdachte Studie: die Eva einflüsternde Schlange, in Echsengestalt mit weiblichem Kopf, ist hinter dem Baum vor Adams Blicken verborgen. In der rechten Hälfte Totenklage und Beweinung Christi; wie bei Rogier van der Weyden drängen sich auf engem Raum viele Figuren in körperlichem und emotionalem Leid zusammen.

Den Stil des geisteskrank gewordenen Hugo van der Goes sieht die Fachliteratur gerade in der »Geburt Christi« und dem »Marientod« vertreten. Wird hier der innere Zustand des Malers in tragischem Selbstbekenntnis widergespiegelt? Kann hier eine nur mühsam gebändigte, zum Zerreißen gespannte innere Erregung dieses spätgotischen Vincent van Gogh gesehen werden? Sind wir bei ihm vielleicht schon auf das Phänomen eines expressionistischen Stils innerhalb der altniederländischen Malerei gestoßen?

Jedenfalls spricht aus den Bildern des »magnus pictor« Hugo van der Goes eine warme, lebendige Güte, eine schmerzvolle Ergriffenheit, eine Dramatik des Geschehens, die alles Konventionelle hinter sich lässt.

Gemäldegalerie, Matthäikirchplatz, 10785 Berlin, Di–Fr 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr, Sa+So 10–18 Uhr

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