- Wirtschaft und Umwelt
- Wohnungsbautag
Vor dem Zusammenbruch
Bündnis fordert 50 Milliarden Euro Fördermittel für den sozialen Wohnungsbau
Dem Wohnungsbau droht der Absturz. Davor jedenfalls warnt ein breites Bündnis aus Akteuren der Bau- und Immobilienbranche, der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) und des Deutschen Mieterbunds am Donnerstag auf ihrem Wohnungsbautag. Noch sei der Wohnungsbau gut aufgestellt, erläutert Dietmar Walberg, Studienleiter einer vom Bündnis in Auftrag gegebenen Untersuchung des Kieler Bauforschungsinstituts Arge. »Die heute vorhandenen Kapazitäten reichen, um 400 000 Wohnungen pro Jahr neu zu bauen«, sagt Walberg. Jedoch unter der Voraussetzung, dass das Bauen auch möglich ist, und zwar »ohne lähmende Genehmigungsprozesse, ohne hemmende Vorschriften und Auflagen, und mit einer funktionierenden Finanzierung, vor allem einer von Bund und Ländern angepassten Förderung«. Es gebe kein Bau-, sondern ein Finanzierungsproblem.
»Noch nie gab es gleichzeitig einen so hohen Bedarf von über 700 000 Wohnungen, so hohe Baukosten, so hohe Zinssprünge und vor allem auch so hohe Auflagen und Vorschriften für das Bauen wie heute«, fasst Walberg die Studienergebnisse zusammen. Das Ziel der Koalition aus SPD, Grünen und FDP, 400 000 neue Wohnungen errichten zu wollen, sei unter den aktuellen Rahmenbedingungen kaum erreichbar. Selbst Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) hat bereits eingeräumt, dass das Neubauziel für 2023 nicht erreicht werde.
Das Bündnis aus sieben Verbänden und Organisationen fordert von Bund und Ländern für den sozialen Wohnungsbau bis 2025 Fördermittel in Höhe von mindestens 50 Milliarden Euro. Nur mit den zusätzlichen Geldern könne es gelingen, das Koalitionsziel von 100 000 neu gebauten Sozialwohnungen pro Jahr zu erreichen. Das Bündnis fordert zudem mehr Geld für die Schaffung von bezahlbarem Wohnungsbau. Für 60 000 Wohnungen mit einer Kaltmiete zwischen 8,50 Euro und 12,50 Euro seien in dieser Legislaturperiode noch einmal mindestens 22 Milliarden Euro notwendig. Neben dem »Milliarden-Booster bei der Förderung« brauche es dem Bündnis zufolge auch eine konsequente Überprüfung von Gesetzen, Verordnungen und Normen.
»Es geht darum, Kostentreiber drastisch zu reduzieren und Standards zu senken«, sagt Walberg. Die Studienergebnisse zeigen, dass Kommunen mit neuen Verordnungen beispielsweise im Schall- und Brandschutz oder beim Material für Gebäudefassaden dafür sorgen, den Neubau-Quadratmeter im Schnitt um etwa 170 Euro teurer machen. Auf das Konto des Bundes gehen demnach mehr als 400 Euro. Das Bündnis fordert daher auch, »deutliche Abstriche bei Auflagen« zu machen, damit das Bauen wieder günstiger wird.
Zudem müsse vor allem in Metropolregionen jeder Quadratmeter genutzt werden. Dachaufstockungen auf Gewerbeeinheiten wie Supermärkten, aber auch auf bestehenden Wohnhäusern müssten »endlich« vorangetrieben werden. Es sei eben gerade in Metropolregionen, wo der größte Wohnungsmangel herrsche, wichtig, »jeden Quadratmeter zu nutzen, um umzubauen und aufzustocken«.
»Inzwischen ist es fünf nach zwölf, es muss endlich etwas geschehen, wenn wir auf Dauer soziale Verwerfungen vermeiden wollen«, meint Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes auf der Pressekonferenz zum Wohnungsbautag. Die Fördergelder müssten laut Siebenkotten aber auch für bereits bestehende Wohnungen genutzt werden, damit aktuell noch bezahlbare Wohnungen, die energetisch optimiert werden, auch danach bezahlbar bleiben.
Auch das Ifo-Instut veröffentlichte am Donnerstag Zahlen zum Wohnungsbau. Demnach geben aktuell 16 Prozent der Wohnungsbauunternehmen an, abgesagte Aufträge zu haben. Ein ähnlich hoher Wert wie schon im Januar und Februar.
»Aus der Vollbremsung einer Branche wird eine ernste sozialpolitische Krise mit allen negativen Folgen für unsere Wirtschaft und Gesellschaft«, warnt Dirk Salewski, Präsident des Bundesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen auf dem Wohnungsbautag. Hannes Zapf, der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau, sagt, in dieser Legislaturperiode, wenn nicht sogar in diesem Jahr noch, entscheide sich, »ob wir im Jahr 2030 einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt haben«.
Die geforderten Fördermittel von mindestens 50 Milliarden Euro sollten laut Bündnis ähnlich wie bei der Bundeswehr als Sondervermögen zur Verfügung gestellt werden. Bundesbauministerin Geywitz machte bereits deutlich, dass sich dabei aber nun mal um Schulden handele – und die Verschuldungsmöglichkeiten des Staates begrenzt seien.
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