Vorwurf kultureller Aneignung: War lustig, aber jetzt reicht’s

Der Vorwurf kultureller Aneignung droht zum Über-Ich des Kulturbetriebs zu werden. Höchste Zeit, den Mund aufzumachen, meint unser Kolumnist.

Die Kleidung der Mannheimer AWO-Frauen sorgt für Aufregung.
Die Kleidung der Mannheimer AWO-Frauen sorgt für Aufregung.

In Mannheim ist gerade die Bundesgartenschau eröffnet worden. Mit dabei sein sollte eine Frauen-Tanzgruppe aus dem Stadtteil Rheinau. Die älteren Damen vom »AWO-Ballett« schneidern die Kostüme selbst, sie treten in Flamenco-Röcken oder als Cowgirls auf. Ihre Show heißt »Weltreise in einem Traumschiff«. Würden Sie unter dem Motto »Busfahrt in Rheinau« auftreten, kämen sie auch ohne Kostüme aus. Wahrscheinlich hätten sie dann auch wie geplant auftreten können. So aber wurde ihnen bei der Mexiko-Nummer das Tragen von Sombreros untersagt. Man wolle keine Minderheiten verletzen und so.

Christoph Ruf
Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet hier politische und sportliche Begebenheiten.

Ein ehrenwertes Anliegen, das natürlich nicht von Mexikanern vorgetragen wurde, sondern von porentief reinen Biodeutschen. Bedauerlicherweise hat der Kulturbeauftragte der Buga indes genauso geschlampt wie die Pressesprecherin. Denn fast alle Pflanzen, die in Deutschland so ausgestellt werden, waren hier ursprünglich nicht heimisch. Wenn schon, denn schon, liebe Freunde der »kulturellen Aneignung«: deutsche Gründlichkeit, bis nur noch die Kartoffel im Keller bleibt. Doch oh weh, selbst die stammt aus Südamerika. Und gerade sah ich mitten in Frankreich eine Speisekarte, die »choucroute de la mer« anpries. Dürfen die das? Sauerkraut?

In den USA wurde jüngst eine Lehrerin gefeuert, weil sie im Kunstunterricht Michelangelos David in all seiner marmornen Nacktheit präsentierte. Das geschah auf Betreiben eines Anhängers des erzkonservativen Gouverneurs von Florida, de Santis. Die Forderung, dass die Berliner Gemäldegalerie Caravaggios Bild »Amor als Sieger« verhüllen soll, kommt hingegen aus dem identitätspolitischen Milieu, dessen Kunstverständnis fatal an das der religiösen Rechten erinnert. Und vielleicht ärgert es sich ähnlich wie die US-Bibelfreunde deswegen so oft über Außenfassaden, weil es Museen nicht von innen kennt.

Wie Iljoma Mangold in der »Zeit« der moral minority überhaupt vorhält, dass sie vieles sei. Nur nicht links und aufklärerisch: »Diversity ist ja keineswegs ein Ausdruck von Subversion, sondern es ist die Ideologie der Macht und des Kapitals. Es sind die größten Weltkonzerne, die Diversity auf ihre Fahnen geschrieben haben.« Und deren Kalkül geht auf: Jahr für Jahr wird die Schraube weitergedreht, die Mensch und Natur weiter auspresst. Nun aber mit dem Segen der jeweiligen Diversity-Beauftragten. So lange Amazon, Hermes und Co. identitätspolitisch korrekte Werbung schalten, ist Ausbeutung okay. Der türkischstämmige Paketbote, mit dem ich am Samstag sprach, sah das anders. Der gehört aber genauso wenig wie dessen Frau, die zwei miserabel bezahlte Jobs hat, zu den Migrant*innen, die die Woken interessieren.

Zurück nach Mannheim: Nach dem Sombrero-Verbot war das Leserbriefecho in den angrenzenden Zeitungen so einhellig wie noch nie: Hunderte Zuschriften, fast 100 Prozent Unverständnis. Kein Wunder: Kulturelle Aneignung gehört ja auch zum Dümmsten, was in diesem Jahrhundert bisher gedacht wurde. Umso interessanter ist es daher, wer das neue Über-Ich des Kultur- und Medienbetriebes legitimiert hat. Mehrheiten? Wahlen? Bessere Argumente? Natürlich nicht. »Es ist die Hasenfüßigkeit, die für den Konformismus sorgt«, schreibt Mangold. Und hat schon wieder Recht. Auch in meinem Freundeskreis zucken die meisten die Achseln, gelangweilt oder resigniert, wenn die Zensurkommandos wieder zugeschlagen haben. Genau jetzt ist es an der Zeit, dass alle, die wie Mangold denken, das auch laut tun. Und geschissen auf Twitter.

Denn, wenn es so weiter geht, dass feige Politiker und Kultur-Bürokraten mit DIN-A-5-Intellekt sich anmaßen, so ziemlich alle wertvollen Gedanken der letzten 1000 Jahre durch ihr Selektionssieb zu pressen, dann steht es bald richtig übel um Gedanken-, Meinungs- und Kunstfreiheit. Kunst, die Relevanz durch Identität und die Variation des Immergleichen ersetzt, ist erwartbar und langweilig. Und damit sinnlos.

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