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Oder die Oder
Große Fotokunst: Mit »Oder-Cuts« porträtiert Götz Lemberg eine grenzenlose Flusslandschaft zwischen Polen und Deutschland
Die Oder war lange ein Reizwort für deutsche Konservative. Nach der Befreiung vom Faschismus wurde sie als Oder-Neiße-Linie zur neuen Grenze. Als solche wurde sie auf westdeutschen Landkarten lange nur gestrichelt dargestellt, um sie als vorläufig und reversibel zu kennzeichnen. War sie aber nicht. Die »Westverschiebung« Polens mit ihren brutalen Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen von Millionen Menschen machte aus dem Osten Deutschlands Polens Westen und zwar auf Dauer. Denn anders als die Politiker behaupten, können Staatsgrenzen »unvorhersehbar beweglich erscheinen«, wie die polnische Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk schon vor knapp 20 Jahren in einem Aufsatz über »Die Macht der Oder« festgestellt hat.
Erst nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus wurde diese Grenze vom Westen durch den deutsch-polnischen Grenzvertrag im November 1990 endgültig anerkannt. Damit wurde sie zur abgesicherten EU-Außengrenze, was für Flüchtlinge sehr gefährlich sein kann. Mit dem EU-Beitritt Polens 2004 wurde es friedlicher. Der Fluss trennt nun nicht mehr, sondern vereinigt das Grenzland der beiden Staaten an seinen beiden Ufern zu einem gemeinsamen Gebiet – zum Oderraum. An beiden Ufern sieht es nun sehr ähnlich aus, doch vielleicht war das schon immer so, man sollte es nur nicht sagen?
Der Berliner Fotograf und Lichtkünstler Götz Lemberg hat diese deutsch-polnische Flusslandschaft in einem ebenso schönen wie intelligent komponierten Fotoband porträtiert – mit dem sehr guten Titel »Albo Odra«. Das ist polnisch für »Oder die Oder«, was auf ziemlich geniale Weise die Ambivalenzen ausdrückt, aber eben auch die Gemeinsamkeiten betont. Lemberg ist für diese Arbeit mit dem Schiff von Frankfurt (Oder) bis Szczecin gefahren, wo die Oder durch das Pommersche Haff in die Ostsee fließt. Seit dem 20. April gibt es den Band als Ausstellung im Potsdamer Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte zu sehen.
Es ist der Abschluss von Lembergs Fluss-Trilogie, einem Langzeitprojekt, in dem er vorher schon die Flüsse Spree und Havel als besondere Flusslandschaften porträtiert hat. Auf den Begriff »Porträt« im Unterschied zur »Dokumentation« legt er Wert, weil er sich »stark mit fotografischen Fragen und der Schnittstelle zwischen Fotografie und Malerei auseinandersetzt«, wie er dem Kunsthistoriker Ludger Derenthal in einem Gespräch erzählt hat, das in dem Fotoband abgedruckt ist. »Wenn ich an ein Porträt denke, denke ich an die Spuren, die ein Leben im Gesicht hinterlässt. (…) Es ist das Subjektive, das mich an einem Porträt interessiert, weniger die Inszenierungen.« Für ihn sei es eine Herausforderung gewesen, »eine eigene Bildsprache für eine Landschaft zu finden«, sagt er.
Für die Gesichter der Oder wählte er zwei Methoden. Einmal Fotografieren vom Boot aus: »Der Blick vom Wasser aus auf das Land und nicht umgekehrt«. Zum anderen Fotografieren auf dem Land, im Gebiet bis zu 50 Kilometer weg vom Fluss. Das ist die Perspektive der Menschen. Nur: Die Menschen sieht man kaum auf diesen Bildern. Stattdessen Bäume, Straßen, Wände und immer wieder Wolken. Und Autos – nur wenn man da genau hinschaut, kann man an den Nummernschildern erkennen, ob man auf der deutschen oder polnischen Seite ist. Abgesehen von Reklameschildern und Inschriften im öffentlichen Raum ist das sonst nicht möglich: diese Oderlandschaft ist international oder auch ganz eigen. Deshalb sind die Texte im Band auch in Deutsch, Polnisch und Englisch.
Auf beiden Ufern sieht es ähnlich aus. Eher ältere, nicht renovierte Häuser, Felder, Alleen. Lemberg fotografiert die Oder nicht als Grenze, sondern als verbindendes Element. Die Architektur auf beiden Seiten ist schwer zu unterscheiden: »Preußen und der Sozialismus haben ihre Bauweisen und Lebensformen hinterlassen. Und seit 1990 sind wiederum auch sehr ähnliche Architekturen und Lebensformen entstanden«, sagt Lemberg. Dieser Annäherungseffekt wird dadurch gesteigert, dass Lemberg auf weitergehende Informationen in Bildunterschriften verzichtet. Stattdessen präsentiert er interessante Kombinationen von Aufnahmen: Eine Landstraße mit grauem Asphalt und daneben eine blaue Tischtennisplatte, die so ähnlich aussieht, mit Mittelstreifen, nur mit Netz.
Es gibt mehrere Triptychons: In der Mitte ein Soldatendenkmalkopf in Grau, links eine verschlossene Bunkertür in Rot, rechts eine Betonwand in Grün. Oder in der Mitte der Blick auf einen Baum aus dem Fenster einer Kirchenruine in gotischer Form, links ein nach links geöffnetes Wohnungsfenster mit Blick auf ein renoviertes Haus, rechts ein nach rechts geöffnetes Fenster mit Blick auf ein unrenoviertes Haus. Oder drei Giebel nebeneinander, die aussehen wie Zelte oder Pyramiden: ein alter, ein moderner und ein sehr moderner.
Lemberg unterscheidet zwei Formen: Die »Cuts« und die »Combines«, die ersten haben eine strenge geometrische Ordnung und eine vergleichbare Aufnahmetechnik und zeigen die Perspektive des Flusses auf die Ufer – als »Himmels-, Horizont- und Wasserstudie«. Die »Combines« sind subjektiver und detaillierter und zeigen den Landschaftraum neben oder hinter dem Fluss. Sie werden von Lemberg aus mehreren Bildern zu einem Motiv, einer Art Tableau, zusammengefügt: »Sie betonen die Ausschnitthaftigkeit und öffnen den Blick für die Kontextualität der Aufnahmen«, erklärt Lemberg.
Mit den »Cuts« entwirft er ein eigenwilliges Panorama. Der Fluss fließt dahin im milden Sonnenlicht unter den Wolken und neben den Bäumen, Häusern und Fabriken, dargestellt mit vielen gleichförmigen Bildstreifen. Doch auch diese panoramische Anicht ist nicht objektivierbar, worauf der Museumskundler Dariusz Kacprzak in einem Aufsatz hinweist: »Die nebeneinander angeordneten Bilder stammen aus verschiedenen Orten, manchmal tausend Meter voneinander entfernt. Lembergs Panoramen sind eine konstruierte Realität, ein Spektakel der Illusionen, sie entstehen prinzipiell im Auge des Betrachters.« Das ist große moderne Fotokunst.
Bislang erscheint der Oderraum als friedlich und verschlafen, was daran liegt, dass er so wirtschaftsschwach ist, die großen Fabriken an seinem Ufer wurden abgerüstet und dichtgemacht. Auch die neueren Datums, zuletzt mussten auf deutscher Seite die Solarbetriebe und Halbleiterhersteller dran glauben. Auf polnischer Seite aber plant man den Ausbau der Oder und will den Hafen in Szczecin mit dem Oberschlesischen Industriegebiet verbinden. Dort wird gegenwärtig ein neues Container-Terminal gebaut. Das große Fischsterben in der Oder, das im vergangenen Sommer so erschreckend wirkte und mutmaßlich durch salzreiche Einleitungen vom polnischen Kohlebergbau verursacht wurde, erscheint wie ein düsterer Vorbote dieser Re-Industrialiasierung der naturnahen Flusslandschaft.
Götz Lemberg: Oder-Cuts/Albo Odra. Porträt einer Grenz.Fluss.Landschaft. Edition Braus, 192 S., br., 24,95 €.
Ausstellung Oder-Cuts in Potsdam im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, Schloßstraße 12, bis zum 18. Juni
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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