- Politik
- Europäische Ermittlungsanodnung
Rechtshilfe auf Kosten der Beschuldigten
Eine EU-Richtlinie ermöglicht der Polizei den grenzüberschreitenden Rechtsbruch
Seit einer Sondertagung des Europäischen Rates 1999 im finnischen Tampere gehört die gegenseitige Anerkennung justizieller Entscheidungen zu den Grundsätzen der EU-Politik. Erster Meilenstein war 2002 der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, 2014 folgte die Richtlinie zur Europäischen Ermittlungsanordnung (EEA). Die jeweils zuständigen Justizbehörden eines »Anordnungsstaates« können damit einen »Vollstreckungsstaat« zur Übermittlung von Beweisen auffordern.
Allerdings funktioniert dies nicht bei jeder vorgeworfenen Straftat. Die EU-Staaten haben sich dazu auf eine Liste geeinigt, die dem EU-Haftbefehl entlehnt ist und 32 Vorwürfe enthält, darunter Raub und Erpressung, die Beteiligung an kriminellen oder terroristischen Vereinigungen, der Handel mit Menschen, Drogen, Waffen oder gestohlenen Kraftfahrzeugen, Geldfälschung, Cyber- und Umweltkriminalität, »Beihilfe zur illegalen Einreise« oder »Rassismus und Fremdenfeindlichkeit«.
Die Umsetzung der EEA muss unter denselben Modalitäten erfolgen, als wäre die Maßnahme von einer Behörde des eigenen Landes angeordnet worden. Als Zeitrahmen bestimmt die Richtlinie »unverzüglich«, spätestens aber 90 Tage nach Erlass der Anordnung. Die anfallenden Kosten muss in der Regel der Vollstreckungsstaat übernehmen.
Die Behörden können über eine EEA auch weitere Ermittlungen im Volstreckungsstaat verlangen, etwa die Ausspähung von Finanztransaktionen, die Überwachung der Telekommunikation oder sogar den Einsatz verdeckter Ermittler. Möglich ist außerdem die Vernehmung per Video- oder Telefonkonferenz oder die »zeitweilige Überstellung inhaftierter Personen«.
Eine EEA muss zunächst im Anordnungsstaat von einer zuständigen Justizbehörde, einem Gericht, Ermittlungsrichtern oder Staatsanwälten validiert werden. Sofern die Maßnahme im Vollstreckungsstaat eine richterliche Genehmigung erfordert, wie dies etwa bei der Überwachung in der Regel der Fall ist, muss diese ebenfalls eingeholt werden.
Kritikerinnen wie die Rechtsanwältin Stefanie Schork beklagen bei der EEA-Richtlinie strukturelle Mängel, die die Rechte von Beschuldigten unzulässig beschneiden. Unter anderem gebe es keine Garantie eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes. »Die EU hat festgelegt, dass der Rechtsschutz wie in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall zu gewährleisten ist. Tatsächlich sind die Möglichkeiten aber nach der Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht defizitär«, sagt Schork zum »nd«. Die sachlichen Gründe einer EEA können zudem nur im Anordnungsstaat angefochten werden. In der »Ibiza-Affäre« war der Beschuldigte Julian Hessenthaler dabei sogar im Nachhinein erfolgreich: Das Oberlandesgericht in Wien bezeichnete Ende 2020 eine in Deutschland angeordnete Funkzellenauswertung und Verfolgung des von ihm genutzten Mietwagens als »gesetzwidrig«.
»Wer als Beschuldigter, aber auch als Drittbeteiligter versucht, Rechtsschutz zu erlangen, wird in den meisten Fällen zwischen den lückenhaften und nicht unbedingt korrespondierenden Regelungen im bewilligenden und vollziehenden Land zerrieben und steht am Ende häufig schutzlos da«, fasst Schork das Problem zusammen. Das musste auch der Rechtsanwalt Johannes Eisenberg erfahren, mit dem Schork in einer Kanzlei in Berlin zusammenarbeitet. Bei den Ermittlungen zur »Ibiza-Affäre« hatte die österreichische Staatsanwaltschaft auch die Funkzellenauswertung rund um die Kanzlei der beiden angeordnet. Eisenberg hatte dagegen erfolglos geklagt.
Die »Ibiza-Affäre« hat gezeigt, wie die EEA als EU-Rechtshilfe zur politischen Verfolgung missbraucht werden kann. Das kann jederzeit auch politische Aktivisten treffen: »Ich frage mich, ob Ungarn, Italien oder andere EU-Staaten bald Journalist*innen oder Seenotretter*innen mit Hilfe der EEA europaweit überwachen lassen«, warnt der Journalist Jean Peters, der für »Correctiv« das erste Interview mit Julian Hessenthaler nach seiner Drogen-Haftstrafe geführt hat.
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