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Gesundheit ist unsexy

Ein Plädoyer dafür, dass Gesundheitskämpfe auch Klimakämpfe sind, von Lakshmi Thevasagayam

  • Lakshmi Thevasagayam
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Klimakatastrophe ist die größte Gefahr für die globale Gesundheit im 21. Jahrhundert. Wenn wir aber auf unser Gesundheitssystem schauen, das drittteuerste der Welt, ist es auch nicht in besserer Verfassung als unser Planet. Personalflucht und demografischer Wandel, Pandemien, Fluten wie im Ahrtal, Hitzewellen, Verschmutzung von Luft und Wasser – all das zwingt das deutsche Gesundheitssystem in die maximale Überlastung.

Seit den 1970er Jahren wird der Mangel an Gesundheitspersonal bei steigendem Bedarf beklagt. Inzwischen stehen die Kolleg*innen in den Kliniken auf für mehr Lohn, mehr Personal und Entlastung. Auch das einzige privatisierte Uniklinikum Europas in Gießen-Marburg ist seit zwei Wochen im Erzwingungsstreik. Vor allem an den privaten Kliniken im öffentlichen Dienst wie Sana, Helios und Asklepios wird es spannend, was die Streiks gegen die Profitorientierung durch das Fallpauschalensystem ausrichten können.

Lakshmi Thevasagayam
Lakshmi Thevasagayam
Lakshmi Thevasagayam ist Ärztin, Klima- und Gesundheitsaktivistin und engagiert sich in der Antikohlebewegung im Rheinland.

Seit 2009 verzeichnet der größte Gesundheitskonzern Fresenius/Helios eine Dividendensteigerung von 320 Prozent. Wenn man auf der Straße Leute fragt, ob man aus Mieteinnahmen Gewinne machen darf, werden das vielleicht noch einige bejahen – aber aus Gesundheit? Es ist Konsens, dass das Gesundheitssystem einen starken Selbstzweck erfüllt. Wir alle wünschen uns eine adäquate, schnelle Spitzenmedizin, wenn wir sie brauchen. Im neoliberalen Höllenkapitalismus ist jedoch die Krebsdiagnose der Mutter dafür nützlich, einigen Klinikunternehmern die Villa zu bezahlen. Auch von Krisen profitiert der neoliberale Arm der Gesundheitsversorgung mächtig: So hat etwa Helios im Coronajahr 2020 mit über 600 Millionen Euro einen Rekordgewinn in der Firmengeschichte eingefahren.

Dabei ist die Existenz dieser privaten Kliniken kein Naturgesetz. Es war nicht immer so, dass aus gebrochenen Hüften, kaputtgearbeiteten Knien und Erbkrankheiten Profit geschlagen werden konnte. Bis Mitte der Achtzigerjahre war durch das Krankenhausfinanzierungsgesetz sogar verboten, Gewinne zu machen. Es wurden Tagessätze für das Personal und die anfallenden Selbstkosten berechnet und abgerechnet. Gewinne mussten zurückgezahlt und Verluste – wenn keine Unwirtschaftlichkeit nachweisbar war – von den Kassen ausgeglichen werden: eine bedarfsgerechte Finanzierung des Krankenhauses. Doch nach und nach zog der Gewinngedanke in das System ein, der 2004 mit der Einführung der sogenannten »Diagnosis Related Groups« (DRG) seine Zuspitzung erfuhr. Unter der Federführung des heutigen Gesundheitsministers Karl Lauterbach wurde ein System etabliert, das ein Einfallstor für private Player und ungezügelten Neoliberalismus ist.

Seit 2004 wird ein Krankenhaus nicht mehr nach seinem Bedarf finanziert, zum Beispiel anhand von Bettenzahl, Personal- oder Instandhaltungskosten, sondern ein Krankenhaus wird pro Fall bezahlt. Der Blinddarm von Oma Erna bringt genauso viel Geld wie der der 20-jährigen Yasemin. Deshalb wird Oma früher entlassen, wenn es kein Geld mehr für ihren Aufenthalt gibt. Auf der anderen Seite gibt es starke finanzielle Anreize für teure Behandlungen, weil sie die Cashcows eines Krankenhauses sind, wie zum Beispiel, wenn Oma sich die Hüfte bricht. Im Vergleich zu anderen OECD-Ländern werden in Deutschland 100 Prozent mehr Hüft-Operationen durchgeführt. Dass da Menschen unters Messer kommen, die es vielleicht gar nicht brauchen, ist nicht auszuschließen.

Dass jetzt Lauterbach sein eigenes DRG-Baby kritisiert und die »Revolution« im Gesundheitswesen ankündigt, ändert an diesen Missständen gar nichts. Die privaten Klinikkonzerne haben auch mit der neuen Reform die Möglichkeit, weiter Gewinn aus einem unserer wichtigsten Sozialsysteme zu schöpfen und es damit auszuhöhlen. Sie haben Corona ausgenutzt, sie werden die Gesundheitskrisen und letztlich die Klimakatastrophe dafür nutzen, Gewinne zu machen. Warum schauen wir weg? Ist Gesundheit so unsexy?

Teil 2 in der Klimakolumne der Autorin am 28.4.

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