Charles III. wird gekrönt: Der Glanz ist ab

Nadia Shehadeh über die Krönung des britischen Königs Charles III.

Ich beschäftige mich mehr mit der britischen Monarchie, als ich sollte. In den vergangenen Monaten zum Beispiel habe ich den Film »Spencer« geguckt, in dem Kristen Stewart Prinzessin Diana spielt, die sich bei einem Aufenthalt auf dem Landgut Sandringham während der Weihnachtsfeiertage dazu entscheidet, Charles zu verlassen. Danach habe ich mir die »Harry & Meghan«-Doku reingezwitschert, die bei einem bekannten Streaming-Dienst Premiere feierte. Später ist dann auch Prinz Harrys Buch »Spare« in meiner Ebook-Sammlung gelandet. Und es kann sein, dass ich zum wiederholten Male die Serie »The Crown« auf meine Watchlist gesetzt habe. Vielleicht verfolgen die britischen Royals mich sogar – oder ich sie?

Mit Prinz Harry landete ich im März mit einem kleinen Sachbuch, das ich geschrieben hatte, auf einer Liste der Titel, die man mal lesen könnte. Und als ich das letzte Mal in Berlin war, fiel das natürlich genau auf den Tag, an dem Charles und Camilla die Bundeshauptstadt besuchten. Peinlicher Höhepunkt meiner Royal-Connection war der diesjährige Ostersonntag, an dem ich während eines Schottland-Aufenthaltes mit meinen Reise-Freundinnen das Balmoral besuchte – quasi das Lieblingsschloss der verstorbenen Elisabeth II.

Nadia Shehadeh
Nadia Shehadeh ist Soziologin und Autorin, wohnt in Bielefeld und lebt für Live-Musik, Pop-Absurditäten und Deko-Ramsch. Sie war lange Kolumnistin des »Missy Magazine« und ist außerdem seit vielen Jahren Mitbetreiberin des Blogs Mädchenmannschaft. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Pop-Richtfest«.

Wir hatten uns die eher unspektakulären Gärten des Schlosses und zum Abschluss eine unangenehme Foto-Ausstellung in einem Ballsaal angeschaut, bei der anscheinend akribisch darauf geachtet wurde, dass keine Bilder mit Prinzessin Diana und Meghan Markle und nur sehr wenige Abbildungen (insgesamt: zwei) von Prinz Harry an die Ausstellungswände gedübelt wurden. Abschließend irrten wir durch den Balmoral-Shop, der teilweise kitschiges, teilweise hässliches, teilweise nutzloses Zeug zu horrenden Preisen feilbot. Dort merkte man auch: Die Souvenirs der Royals unterläuft derzeit eine Entwicklung – und zwar eine, die der Monarchie vielleicht irgendwann den Garaus machen könnte.

Die besten Stücke des überteuerten Firlefanzes waren tatsächlich noch die Shortbread-Keksdosen aus Blech mit dem Konterfei von Queen Elisabeth II. darauf. Irgendwie ein bisschen drüber. Irgendwie aber auch ein bisschen ikonisch lachten mich diese Gebäckaufbewahrungsboxen an, die in der Herstellung wahrscheinlich nicht mal zwei Pfund kosteten, aber zu soliden zweistelligen Preisen angeboten wurden. Eine Tasse oder Keksdose mit Königin Elli darauf kann tatsächlich einen Kaffeetisch verschönern. Mit ein bisschen Ironie irgendwo platziert hätte sie sogar das Zeug zum Statement-Piece. Aber ein Kaffeebecher mit dem angestrengten Konterfei von Prinz Charles? Auf keinen Fall!

Der Balmoral-Shop leutete mit seinem drögen Angebot an unnützem Zeug – hässliche Notizbücher, Coronation-Weihnachtsbaumanhänger, Schals aus Tweedstoff zu absurden Preisen – in meinen Augen die Zukunft ein: das hoffentlich baldige Ende der Monarchie. Selbst ich, die sich bekannterweise an jeder Ecke Ramsch aufquatschen lässt, fand hier nichts Passendes – nicht mal etwas, das ich ein bisschen lustig hätte finden können. »Wow, hier sieht einfach alles scheiße aus«, sagte ich meiner Freundin, als ich eine besonders hässliche Tasse aus chinesischem Porzellan, die »Corona Crest Mug«, begutachtete.

Monarchie ist immer schon eine merkwürdige Angelegenheit gewesen – und dazu noch gewaltvoll, ausbeuterisch und ungerecht. Und jetzt, in Zeiten, in denen man sich mit Themen wie Klimakrise, Geschlechterungerechtigkeiten und Antirassismus herumschlägt, wirkt sie einfach nur noch lächerlich: Ein 74 Jahre alter Mann wird am Wochenende in einer pompösen Kutsche zu einer Kirche gefahren, wo andere ältere Männer in christlichen Kostümchen ihn zum König und Staatsoberhaupt erklären werden. »Weil Gott das so gewollt hat.« Lol.

Dass »The Coronation of Charles the Third« plump übersetzt auch einfach nur »Die Krönung vom Karl den Dritten« bedeutet, hört sich ein bisschen nach Schützenfest an. Ich selbst komme aus einer Schützenfesthochburg Ostwestfalens. Und die Essenz dieser Feierlichkeiten brachte vor Jahren mal ein schlauer Teenager in einer der Regionalbahnen, die zwischen Isselhorst-Avendwedde und Herzebrock-Clarholz über die Schienen rumpeln, auf den Punkt: »Leute fahren mit dem Fahrrad nach Hause, weil sie zu betrunken sind, um zu Fuß zu laufen.« Schützenfeste sind problematisch und lächerlich, aber irgendwie haben sie noch eine zivilgesellschaftliche Bedeutung: Sie bringen ein bisschen Feierei in die Dörfer und Kleinstädte, schaffen an den Festwochenenden Momente der Vergemeinschaftung, und um Schützenkönig zu werden, muss man zumindest »den Vogel« abschießen. Es gibt also immerhin noch einen Wettbewerb – auch wenn der in der Regel nur zwischen weißdeutschen Männern stattfindet, die sich ein Dasein als Schützenkönig leisten können müssen, denn günstig ist die Amtszeit auf jeden Fall nicht.

Vergemeinschaftungsmomente wird es mit Sicherheit auch bei der Coronation geben: Nämlich dann, wenn Millionen Menschen sich vor den Fernseher setzen, um dabei zuzuschauen, wie Charles Öl aus Jerusalem auf die Stirn geschmiert wird, damit klar ist, dass der alte Mann »Gesalbter des Herrn« ist. Aber es wird wahrscheinlich weniger Tamtam geben als bei den royalen Hochzeiten in den Jahren davor: Nur 15 Prozent der britischen Bevölkerung gaben im April an, »sehr interessiert« an der Krönung des Monarchen zu sein. Diese peinlichen Nachrichten sind auch im royalen Öffentlichkeitsarbeitsstab angekommen: Die Krönungszeremonie, so wurde es nun versprochen, werde gekürzt und deswegen nur etwas mehr als eine Stunde dauern – im Gegensatz zu den drei Stunden, die für Königin Elisabeth II. vorgesehen waren. Und der eklige Nationalstolz, der der Krönung Aufwind geben könnte, ist auch angekratzt: Das Bruttoinlandsprodukt des Vereinigten Königreichs ist gesunken, das Pfund hat ein Fünftel seines Wertes verloren, die Inflation liegt bei zehn Prozent – im vergangenen Monat ließen dann auch nur noch 34 Prozent der Briten verlauten, dass sie den Brexit für eine klasse Idee hielten. Den Briten dämmert es vielleicht langsam: Nostalgie, Eitelkeit, der Hang zu Selbstbetrug und Nationalismus sind keine Heilsbringer – nein, auch als Bevölkerung ist man irgendwie mitbeteiligt an schadhaften Entwicklungen, die man mit seiner Wählerstimme mitgetragen hat.

Dennoch: Hoffentlich wird man sich zum letzten Mal anschauen können, wie ein britischer König mit dem größten Diamanten der Welt am Ende eines Stocks, den er stolz halten wird, in der Kutsche chauffiert wird. Dabei wird er auf einem Stuhl über dem »Stein des Schicksals« sitzen – ein Teil, das englische Könige vor über 700 Jahren den Schotten gestohlen haben. Ein Mann, der so gar nicht als ikonische Abbildung auf einer Teetasse in einem Balmoral-Shop zu taugen scheint, wird ein Land repräsentieren. Ein Kasperletheater, das vor Augen führt, dass die Industrieländer nicht so fortschrittlich sind, wie sie uns immer weismachen wollen.

Man merkt aber: Der Glanz ist ab. Nicht mal die Souvenirs sind schön. Ich schätze, Kaffeetassen mit dem Abbild von Charles werden zum Ladenhüter – und kündigen damit an, dass auch die Krönung des britischen Königs längst in die Mottenkiste der Geschichte gehört.

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