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Wer nicht springt, ist ein Moskowiter
Hannes Hofbauer und Stefan Kraft zeigen, wie der Kampf um die Ukraine die Welt verändert
Tatsächlich ist Moskau seit Beginn der Krise um die Ukraine als Sündenbock abgestempelt, und jeder, der sich mit Russland gemeinmachte oder auch nur versuchte, russische Sicherheitsinteressen zu verstehen, galt als ein »Russlandversteher« oder eben als ein »Moskowiter«. Während der Maidan-Unruhen in Kiew 2013 wurde, verbunden mit rhythmischem Hüpfen, vielstimmig die Aufforderung laut: »Wer nicht springt, ist ein Moskowiter.« Erhard Crome erinnert daran in seinem Beitrag, in dem er den russischen Überfall ein knappes Jahrzehnt später auf die Ukraine nachdrücklich in die jahrelangen Auseinandersetzungen des Westens, einschließlich der Bundesrepublik Deutschland, mit und gegen Russland einordnet. Es handele sich um ein Ringen um westliche Vorherrschaft, in dem – wie der Autor bedauernd feststellt – Russland sich »ohne Not der geopolitischen Linie der US-Administration unter Joe Biden untergeordnet« habe.
Kriege sind stets vielschichtig bezüglich der Konfliktlagen, Interessen und Akteure. So auch dieser um und gegen die Ukraine tobende, der von der russischen Regierung um Wladimir Putin unter Bruch des Briand-Kellogg-Paktes zur Ächtung des Krieges von 1928 wie auch der Gründungscharta der Vereinten Nationen 1945 entfesselt worden ist. Es ist Peter Wahl, Mitglied von Attac, der in dem hier anzuzeigenden Buch betont, dass »Kriege komplexer sind, als eine moralbasierte Schuldzuweisung erklären könnte«.
Hannes Hofbauer, Historiker und Journalist, und sein Kollege Stefan Kraft, beide aus Wien, haben es sich zur Aufgabe gemacht, genauer nach Ursachen und Bedingungen, aber auch Inhalten des Ukraine-Krieges und seiner Vorgeschichte zu fahnden, gemeinsam mit 16 sachkundigen Autorinnen und Autoren, darunter allerdings nur zwei mit russischem und ukrainischem Hintergrund. Sie wollen »weder die offizielle westliche noch die russische Propaganda mittragen …, mit der Angriffe und Gegenangriffe legitimiert werden«. Und eben darum wird von ihnen wie auch anderen Autorinnen und Autoren die Vorgeschichte des Krieges zumindest seit 2014 herausgestellt, als durch einen Regierungsumsturz und Zuwendung Kiews gen Westen ein blutiger Bürgerkrieg ukrainischer Nationalisten gegen die sich Autonomie und eigene Wege erhoffende russischstämmigen Landsleute im Donbass begann.
Um die diversen Befindlichkeiten zu verstehen, wird weiter zurück in die Geschichte geblickt. Andrea Komlosy reflektiert, dass der ukrainische Nationalismus von später Geburt war, Ukrainer erst in den Wirren der russischen Februar- und Oktoberrevolutionen von 1917, während deutscher Besatzung im Ersten Weltkrieg sowie danach in den Bürger- und Interventionskriegen zeitweilig Nationalstaatlichkeit erreichen konnten. Dazu gehört ebenso, dass rechte Nationalisten um Stepan Bandera sich im Zweiten Weltkrieg mordend auf die Seite der deutschen Aggressoren schlugen.
Die Ukraine hatte in ihrer Geschichte wenig Glück. Sie war bis 1920 Schauplatz blutigen Gemetzels und schlimmster Massaker, vor allem an Juden, nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion. Und nach dem vermeintlichen Ende des Kalten Krieges 1990/91 und bald wiedererwachter Konfrontation zwischen Ost und West wurde sie – historisch nicht voraussetzungslos – für Washingtoner Administrationen zu einem »Schlüsselstaat für die Eroberung ganz Eurasiens, und zwar von Lissabon bis Wladiwostok«, wie Werner Rügemer erinnert, den US-Strategen Zbigniew Brzeziński zitierend.
Peter Wahl vertieft diesen Blick auf die Auseinandersetzungen nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem frühen Einschwenken der USA auf einen erneuten Konfrontationskurs gegen Moskau, indem er auf die Begehrlichkeiten auf die Flanken, die Nachbarstaaten Russlands, verweist.
Die Beiträge von Komlosy und Kraft zeigen allerdings auch die Defizite, die heutige Diskussionen über die Ukraine und Osteuropa prägen: die weitgehende Negierung ihrer einstigen realsozialistischen Existenz mit Höhen und Tiefen, die Abwertung dieser Zeiten des Aufbruchs, aber auch der Repression sowie des einstigen antibolschewistischen Kampfes durch die alten wie neuen bürgerlichen Eliten, die – wie in Kiew – sich ihrer Sympathien für die Bandera-Faschisten nicht schämen und deren Wiedergänger heute für ihre Interessen zu nutzen versuchen.
Hervorzuheben sind die instruktiven Analysen alter Militärs, wie des Schweizer Ralph Bosshard und des Deutschen Jochen Scholz, die ein ausgewogenes Bild der militärisch-politischen Vorgeschichte und des Verlaufs des Krieges geben. Das gilt in ähnlicher Weise für die engagierten Analysen, so bei Crome oder Sabine Kebir, jener westlichen Kriegspropaganda, die hierzulande Kriegsbereitschaft und Russophobie anheizen sollen. Hofbauer bietet zudem einen kenntnisreichen Einblick in die Verlogenheit des Minsker Verhandlungsprozesses, der mit mehr Ehrlichkeit und ernstem Willen, die Verträge zu erfüllen, einen sicher für alle involvierten Seiten akzeptablen Status quo hätte schaffen können. West- und Ostukrainer hätten friedlich und föderal zusammenleben können und ein ausgewogenes Verhältnis zu Moskau wie auch enge Bindung an Brüssel erreichen können. Der eigentliche Konfliktpunkt, das Vorrücken der Nato an Russlands Westgrenze, hätte allerdings aus der politischen Agenda der USA gestrichen werden müssen.
Die Herausgeber mögen recht haben, dass nun »Russland in die Reihe dieser Schuldbeladenen« eingetreten sei. »Das vom Kreml vorgebrachte Argument der Alternativlosigkeit hält nicht stand, wenn es um Menschenleben geht.« Kriege haben ihre eigene, tödliche Logik, sie sind aber, um mit dem alten Clausewitz zu sprechen, immer auch nur die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.
Hervorzuheben ist die Einsicht der Herausgeber, dass der Krieg die Gesellschaften »als Ganzes … politisch nach rechts rückte – sowohl in der Ukraine und Russland als auch in westlichen Ländern wie Deutschland und Österreich«. Dies ist aber auch ein Zeichen für die Schwäche der Linken, ihr weitgehendes Einknicken vor der Kriegsrhetorik in ihren jeweiligen Ländern. Nur ansatzweise wird der Konflikt mit Russland und der Krieg in der Ukraine im größeren Zusammenhang neuer Weltordnungskriege debattiert. Letztlich gilt nach wie vor das Diktum von Karl Liebknecht: Der imperialistische Hauptfeind steht im eigenen Land. Linke aller Länder müssen gegen Rüstungsexporte, Aufrüstung, Sanktionspolitik und die Zerstörung sozialer wie demokratischer Strukturen sowie für Dialog und diplomatische Lösungen streiten. Die Verhältnisse müssen zum Tanzen gebracht werden. Hüpfen genügt nicht.
Hannes Hofbauer/Stefan Kraft (Hg.): Kriegsfolgen. Wie der Kampf um die Ukraine die Welt verändert. Promedia, 256 S., br., 23 €.
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