Zwischen Chlor und Pommes: Ab ins Sommerbad!

Die Freibadsaison geht wieder los – darüber freut sich nd-Kolumnistin Anne Hahn sehr. Jetzt bloß nicht beim Zählen der Bahnen durcheinanderkommen!

  • Anne Hahn
  • Lesedauer: 3 Min.
Auch das Sommerbad Humboldthain öffnet am 13. Mai wieder seine Schwimmbecken für die Berlinerinnen und Berliner.
Auch das Sommerbad Humboldthain öffnet am 13. Mai wieder seine Schwimmbecken für die Berlinerinnen und Berliner.

»Ich atme den Chlorgeruch tief ein, schmeiße meinen Rucksack auf die Bank neben Ursulas bunten Korb, ziehe das Kleid über meinen Kopf, springe kopfüber ins Wasser, tauche in den tiefen Bereich bis zum Grund, setze mich auf den Boden und schaue mir das Geschehen im Becken von unten an. Viele unkoordiniert zappelnde Kinderbeine, ein paar mehr oder weniger koordiniert zappelnde Seniorenbeine, tauchende Kinderkörper, gemischte Beine am Beckenrand. Insgesamt sieht das Zusammenspiel dieser vielen Bewegungen nach Spaß aus, sofern ich das von hier unten beurteilen kann. Ich stoße mich vom Boden ab, um wie immer meine 22 Bahnen zu schwimmen, und als ich bei der 20. oder 22. Bahn nicht sicher bin, ob es die 20. oder 22. ist, ärgere ich mich und schwimme zur Bestrafung noch 5 zusätzliche Bahnen.«

Über Wasser
Anne Hahn

Foto: privat
Anne Hahn ist Autorin von Romanen und Sachbüchern und schwimmt für »nd« durch die Gewässer der Welt.

Diese Szene taucht auf Seite 10 eines wundervollen Romans auf, der Mitte April erschienen ist. Der Titel »22 Bahnen« hat mich sofort fasziniert, das Cover des Debütromans der 28-jährigen Autorin Caroline Wahl zeigt eine Frau in einem roten Badeanzug, die in ein gemaltes blaues Etwas gleitet, mitten in zerstiebende weiße Gischt. Deutlicher weist das Äußere selten auf den Inhalt. Es geht ums Schwimmen. Und um Zahlen. Alle Zahlen werden als Ziffern geschrieben, 1 Nacht, 22 Bahnen usw. Tilda, die Ich-Erzählerin des Romans, studiert Mathematik. Ist Mathe-Genie und Einzelgängerin. Ihr Leben dreht sich um Zahlen. Von der Uni über die Supermarktkasse bis ins Freibad, das sie jeden Sommerabend besucht. Danach wartet die Überraschung: Ist die Mutter nüchtern oder betrunken? Wie geht es Ida, der kleinen Schwester? Schwört die Mutter, nie wieder zu trinken? Zum 8. Mal. Sich zu bessern? Zum 12. Mal. Tilda zählt mit.

Hatte mich der Roman schon mit dem Cover geködert, war ich nach Sätzen wie diesen verliebt: »Ich ziehe die Sommerluft tief ein. Sonnencreme, Chlor, Pommes und Ursulas intensives Parfüm füllen meinen Körper. Ich öffne meine Augen und schaue mir den pastelligen Abendsonnenhimmel an, ziehe auch ihn tief ein und fühle mich leicht und warm. Ich überblicke das Becken.«

Ich möchte hineinsteigen in das Buch und losschwimmen. 22 Bahnen ist meine magische Zahl, bei perfekten Bedingungen auch mal 22 bis 24, nie ungerade, das bringt Pech. Danach den Himmel betrachten, ähnliche Gerüche in der Nase. Und Vögel, im Berliner Sommerbad im Humboldthain waren es letztes Jahr Falken, Habichte und Mauersegler. Das Bahnen-Schwimmen geht dort nur ganz früh morgens oder bei Regen. Sonst ist es einfach zu voll. Vielleicht sollte ich es wie Viktor machen, der plötzlich im Roman auftaucht, sich tauchend mit kraftvollen Zügen vom Chaos im Becken und beim Buchpersonal absetzt, inklusive Rollwende.

Die Berliner Freibadsaison ist schon gestartet; das Freibad am Olympiastadion war das erste, letzten Sonntag folgte das Prinzenbad. Am 13. Mai öffnet »mein« Bad im Humboldthain, es soll Expresseingänge für Ticketinhaber geben, das Wasser wird auch wieder wärmer. Ich werde auf der ungeleinten Seite ins Becken steigen, ein paar Züge schwimmen, mich auf den Rücken drehen, Luft holen und gleiten lassen, unter dem Himmel über Berlin treiben und auf die Vögel warten. Wird das Habichtpaar diesen Sommer wieder in Sichtweite brüten? Wird sich ein Turmfalke an einem späten Nachmittag unbemerkt auf den Zaun hinter der Rutsche setzen und zu uns herüberäugen? Werden Mauersegler hoch über uns kreisen? Werden die Nachtigallen ihre Lieder schmettern? Ganz bestimmt! Die erste Nachtigall habe ich im Humboldthainpark schon gehört.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -