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ARD-Serie »Almania«: Die preußischste Kartoffel auf dem Esstisch
Mit »Almania« hat der frühere Youtuber Phil Laude ein Comedy-Manifest deutscher Peinlichkeiten kreiert
Mit Pimmelwitzen kennt Phil Laude sich aus. Als Mitglied des reifungsresistenten Youtube-Trios Y-Titty hat er neun Jahre lang meist unter der Gürtellinie Pointen gesucht und mit den Fundstücken das Internet geflutet wie hierzulande kein zweiter. Wenn Laudes Fernsehlehrer Frank Stimpel dem Fernsehschüler Robert rät, dessen Schwarm »was Größeres« von sich zu zeigen, hängt es daher natürlich zwischen den Beinen des Teenagers, sollte also besser nicht als Foto versendet werden. Denn Penisbilder sind pure Männergewalt und damit kein Spaß.
Acht Jahre nach dem Ende von Y-Titty macht das Nordlicht von der Schlei keine Pimmelwitze mehr. Also eigentlich doch – seine ARD-Serie »Almania« ist wie in den zwei Pilotfolgen gut gefüllt mit Peinlichkeiten sexualisierter Art. Aber er stellt sie in einen anderen Kontext. Solche Witzchen sind das Zentrum einer »Mockumentary« genannten Fake-Doku, die sein neues Alter Ego als Film im Film begleitet: Lehrer Stimpel, preußischste Kartoffel auf Gottes Beilagentisch, oder wie es sein Erfinder ausdrückt: ein Alpha-Alman.
So nennt der Showrunner regelbesessene, anpassungsfähige, autoritätshörige, zugleich aber willkürliche, moralisch biegsame, passiv aggressive Herren einer Schöpfung, die Kalif werden wollen anstelle des Kalifen, allerdings zu feige sind, das auch offen anzusprechen. Als dieses Prachtexemplar toxischer Männlichkeit Anfang 2021 infolge rassistischer Sprüche an eine Brennpunktschule im Plattenbaugürtel einer beliebigen Stadt versetzt wurde, war das von Beginn an der zahnlose Papiertiger seines »Almania« getauften Biotops.
Mittlerweile sind acht weitere Folgen in der ARD-Mediathek online, und die meisten Tiere in Phil Laudes Menschenzoo sind wieder dabei: der lethargische Direktor Leibrand (Ludger Pistor) und seine aufgekratzte Stellvertreterin Müller (Dela Debulamanzi), Stimpels infantiler WG-Genosse Yunuy (Zejhun Demirov) und die promiskuitive Sahra (Pegah Ferydoni), deren Schüler und Schülerinnen allesamt aus dem Setzbaukasten sozial benachteiligter Stadtviertel stammen.
Die unbeliebte Klimaaktivistin Annika (Mathilda Smidt), der vielgewichtige Möchtegern-Checker Trip (Vincent Hahnen), die oberflächliche Influencerin Leyla (Samirah Breuer) und ihre Nachfolgerin Kira (Derya Dilber), die lernschwache Kopftuchträgerin Dilara (Jansel Dogan) und der süße Lernverweigerer Osman (Mido Kotaini) finden sich also erneut in Frank Stimpels neunter Klasse wieder, um humorvoll Vorurteile zu demaskieren. Soweit die Drehbuchtheorie von Headautor Elmar Freels.
Denn in der Praxis stapeln die Regisseure Marc Schießer und David Gruschka so viele Klischees übereinander, bis pfiffige Pointen über Rassismus, Bodyshaming, Sexismus und Mobbing in den Verdacht geraten, Missstände nicht anzuprangern, sondern auszuschlachten. Egal nämlich, ob Stimpels Kids Roboter bauen wie in der ersten Folge, Lehrer bewerten wie in der zweiten oder den Wald erkunden wie in der siebten: 20 Minuten pro Episode steht das Besondere aller Protagonisten im Zentrum der Aufmerksamkeit, und zwar selten positiv.
Dass »Almania« dennoch kaum einmal aufs rechtspopulistische Glatteis von Dieter Nuhr oder Mario Barth gerät, ist da vor allem Phil Laude zu verdanken. Wie einst bei Y-Titty gibt er sich und seine Figur schließlich weit bedingungsloser der Lächerlichkeit preis als Stimpels Kollegium und ihre Schutzbefohlenen. Wenn Dilaras Grammatik mal wieder versagt oder Osmans Impulskontrolle, wenn der Schulpsychologe Swami (Johannes Zeiler) esoterischen Unfug absondert und Hausmeister Klaus (Milton Welsh) Verschwörungsgefasel, kommt garantiert der »King of Cringe«, wie Laude den Lehrer nennt, um die Ecke und legt zwei Schippen drauf.
Sein deppertes Deutschtum ist demnach meistens heillos drüber. Ob es »Schmalzzwiebelmettbrote« oder »bis Spätersilie« gebraucht hätte, um den Alman in »Almania« sichtbar zu machen? Und der fortgesetzte Diebstahl abgedroschener Stromberg-Sprüche ist ohnehin peinlicher als genuines Stimpel-Gewäsch. Dennoch schafft es das Erste, der ulkigen Web-Serie ihre ganz eigene Tragikomik zu entlocken. Immer dann nämlich, wenn es die Verletzungen, Brüche und Burnouts der Generation Wählscheibentelefon bis Smartphone spürbar macht, also durchaus häufig.
Laude sei wichtig, seine Figuren nicht lächerlich zu machen, sagt der autobiografisch betroffene Hauptdarsteller mit Schulmobbingerfahrung dem Mediendienst DWDL, »deshalb stehen andere auch nicht so in seinem Schatten, sondern entwickeln eigene Perspektiven«. Sein Fazit: »Alle teilen aus, alle stecken ein.« Schon deshalb ist »Almania« nicht nur eine Mockumentary zum Fremdschämen, sondern bisweilen fast erhellend.
Verfügbar in der ARD-Mediathek
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