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Staatsschulden und Kolonialismus: In Ghanas Schuld?
Kreditgeber im Globalen Norden pochen auf die Rückzahlung ghanaischer Staatsschulden
Nach jeder ausgesetzten Zahlung von Staatsschulden im Globalen Süden zetern die Besitzer*innen von Staatsanleihen im Globalen Norden. So auch im Falle Ghanas, dessen Finanzminister Ken Ofori-Atta am 19. Dezember letzten Jahres einen Zahlungsstopp für die fällig werdenden Tranchen ausländischer Staatsanleihen verkündete. Der Internationale Währungsfonds (IWF), unter dessen Führung eine Umstrukturierung Ghanas Schulden derzeit verhandelt wird, stellte jüngst zur Fortsetzung der Verhandlungen die Bedingung, das Finanzsystem Ghanas mit Kreditausfällen zu belasten, bevor internationale Finanzinstitute in die Verantwortung gezogen werden. Durch diesen Schritt würde der lokalen Wirtschaft und in Folge der Gesellschaft der größte Anteil der Belastung der Schuldenkrise aufgehalst, obwohl 58 Prozent der Schulden Ghanas extern gehalten werden.
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Die Forderung des IWF ist gleich in dreifacher Hinsicht unsinnig. Die Geschichte, die Logik von Anleihenmärkten und die Ursachen der Krise zeigen, dass die Bevölkerung Ghanas internationalen Finanzinstituten nichts schuldet. Auf der Suche nach den Reichtümern und vor allem dem Gold des famosen Mansa Musas, König des Mali-Reichs, machten sich Europäer*innen ab 1346 auf den Weg nach Gineva (das heutige Ghana), wie Howard D. French in seinem Buch »Born in Blackness« darstellt. Als die zentrale europäische Goldquelle aufgrund des Niedergangs des malischen Königreichs ab 1370 versiegte, suchten die portugiesischen Eliten nach Seewegen ins westliche Afrika.
Da die Kolonisierung der Kanaren und die Handelsbeziehungen mit den Jolof (heutiges Senegal) zur Befriedigung ihrer Gier nicht ausreichten, folgten sie dem westafrikanischem Küstenverlauf. Im Jahr 1470 erreichten sie schließlich die Küste des heutigen Ghanas. Die von ihnen benannte Stadt El Mina (heute Elmina) diente ihnen über Hunderte Jahre als wichtigste Basis auf dem Kontinent, zunächst für den Handel mit Gold, später mit Sklaven. Die Profite aus dem Goldhandel waren Finanzierungsgrundlage für die Expansionen der portugiesischen und anderer iberischer Herrschaftshäuser, in deren Konsequenz der globale Kolonialismus sowie der transatlantische Sklavenhandel entstanden.
Kolonialismus und die systematische Versklavung Schwarzer Menschen sind nicht nur die Basis für den Kapitalismus, sondern auch für das heute noch andauernde Ungleichheitsverhältnis zwischen Globalem Süden und Norden. Auf diesem Verhältnis und der Ausbeutung westafrikanischer Ressourcen basieren der finanzielle Reichtum des Globalen Nordens und die Möglichkeit internationaler Finanzinstitute, an Ghanas Staatsanleihen zu verdienen.
Diese Anleihen werden nicht im luftleeren Raum gehandelt. Grundsätzlich gilt: Je höher das Ausfallrisiko eingeschätzt wird, desto höher die Zinsen auf eine Anleihe. Die Zinsen für Staatsanleihen Ghanas lagen am 18. Dezember 2022 bei circa 19 Prozentpunkten – etwa 17,8 Prozentpunkte höher als für die Anleihen Deutschlands. Wer gezielt in Anleihen mit derart hohen Zinsen investiert, ist hinter dicken Profiten her und sich des Risikos eines Zahlungsausfalls bewusst. Entschädigung für das Risiko sind die hohen Renditen. Wer diese ohne Gewissensbisse einstreicht, sollte sich nicht über Zahlungsausfälle beklagen.
Seit den 1890er Jahren behaupten Ökonom*innen, die Schuld für wirtschaftliche Instabilität und Zahlungsausfälle sei nicht im Globalen Norden zu suchen. Das war damals und ist auch heute falsch. Ghana nahm allein in den vergangenen 20 Jahren an drei IWF-Programmen teil. Dessen Bedingungen diktierten der Regierung die Liberalisierung der Finanzmärkte, sodass Ghana hart von der aktuellen Erhöhung der Leitzinsen im Globalen Norden getroffen wird.
Historie, Marktlogik und Auslöser der Zahlungsverweigerung legen folgende Frage nahe: Wer schuldet hier eigentlich wem etwas? Sollten die Kosten für die Krise nicht von den Finanzinstituten im Globalen Norden statt von der Bevölkerung Ghanas getragen werden?
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