»An der Börse gibt es kein ethisches Investment in Immobilien.«

Mieteraktionär Knut Unger vor der Hauptversammlung von Vonovia im nd-Interview über die Krise der börsennotierten Wohnungsunternehmen

  • Interview: Yannic Walther
  • Lesedauer: 7 Min.
Mit Service hat man es nicht so: Ein ehemaliger Infoladen von Vonovia in Berlin-Reinickendorf
Mit Service hat man es nicht so: Ein ehemaliger Infoladen von Vonovia in Berlin-Reinickendorf

Knut Unger, als Teil der kritischen Mieteraktionäre besitzen sie Aktien an Unternehmen wie Vonovia. Nicht weil sie an den Mietern verdienen wollen, sondern um die Geschäftsstrategie kritisch und im Interesse der Mieter zu verfolgen. Am Mittwoch lädt Vonovia seine Aktionäre online zur jährlichen Hauptversammlung. Wie andere börsennotierte Wohnungsunternehmen steckt der Branchenriese derzeit in einer Krise. Ist das ein Grund zur Freude für die Mieter?

Interview

Knut Unger ist Sprecher des Mietervereins Witten. Als Teil der kritischen Mieteraktionäre beschäftigt er sich mit der Unternehmensstrategie börsennotierter Wohnungsunternehmen wie Vonovia und macht nicht nur während der Aktionärsversammlung auf Missstände aufmerksam.

Keineswegs. Um die hohen Schulden ihrer Expansionsphase abzubauen, verkaufen Vonovia und andere ihre Wohnungsbestände. Die neuen Eigentümer sind nicht unbedingt besser. Außerdem steigt der Druck, Mieten und Nebenkosten zu erhöhen, Service und Instandhaltung zu reduzieren. Der Neubau von Wohnungen wurde bereits eingestellt.

Müssen wegen der Krise auch Beschäftigte um ihre Arbeitsplätze bangen?

Wenn Wohnungsbestände verkauft werden, braucht es weniger Personal. Als erstes trifft das sicherlich die Beschäftigten der Deutsche Wohnen, die von Vonovia im Zuge des Aufkaufs übernommen worden sind. Die Beschäftigungsgarantie ist zeitlich begrenzt und an Standorten mit einer hohen Deutsche-Wohnen-Präsenz wie in Berlin wird es den Druck geben, Personal abzubauen.

Stichwort Deutsche Wohnen: Sieht der Vonovia-Vorstand die Übernahme des Konkurrenten 2021 mittlerweile als einen Fehler an?

Das Vonovia-Management macht niemals Fehler! Bei der Übernahme der Aktienmehrheit an der Deutsche Wohnen waren die Zinsen noch nicht so hoch wie heute, und auch der Aktienkurs war noch nicht zusammengebrochen. Trotzdem hätte man vorsichtiger sein können. Aber Vonovia wollte die Deutsche Wohnen unbedingt haben, weil expansives Wachstum eine Grundlage ihres Geschäftsmodells gewesen ist. Jeder Wachstumsschub wurde mit der Aussicht auf einen nächsten finanziert. Dieses Geschäftsmodell und diese Phase der finanzindustrialisierten Wohnungswirtschaft waren aber auf niedrige Zinsen angewiesen. Das ist jetzt vorbei. Die Deutsche Wohnen war der letzte Schluck aus der Pulle.

Sie sprechen von einer vergangenen Phase. In welcher sind wir denn angelangt?

Dazu muss man sich die bisherigen Zyklen anschauen. Der erste hat zur Jahrtausendwende mit dem massenhaften Verkauf ehemals gemeinnütziger Wohnungsunternehmen an die außerbörslichen Private-Equity-Fonds eingesetzt. Nach der Finanzkrise konnten diese befristeten Fonds ihre Erwerbungen an der Börse versilbern. Die daraus hervorgegangenen börsennotierten Wohnungsunternehmen hatten privilegierten Zugang zu den Kapitalmärkten. Geld wurde billig und ermöglichte Übernahmen. Am Ende kontrollierte die in Vonovia umgetaufte Deutsche Annington die Hälfte der Wohnungen im finanzialisierten Segment und streckte die Arme nach Europa aus. Bei niedrigen Börsenkursen, steigenden Zinsen und sinkenden Preisen funktioniert das nicht mehr. Börsennotierte Wohnungsunternehmen für sich allein sind nicht mehr das optimale Modell zur Abschöpfung der Mieten. Sie brauchen Partner. Man ist versucht, die jüngsten Verkäufe der Vonovia an Apollo und CBRE als Signal für eine mögliche Wiederkehr der Private-Equity-Fonds zu deuten. Aber wie es wirklich weitergeht, ist noch ungewiss.

Sind die Fonds für die Mieter schlimmer als Aktiengesellschaften wie Vonovia?

Das müssen wir befürchten. Private-Equity-Fonds sind zum Teil sehr kurzfristig orientierte Investoren, die oft nur auf einen höheren Preis spekulieren, den man in ein, zwei Jahren bei einem Weiterverkauf erzielen kann. Das bedeutet für die Mieter und die Beschäftigten eine größere Unsicherheit. Die Vernachlässigung der Wohnungen, die Abwesenheit von verantwortlichen Anprechpartner*innen und der Instandhaltungsstau nehmen zu. Daraus entstehen Problemimmobilien.

Welche Wohnungen dürften vorrangig zum Verkauf stehen?

Die Vonovia hat da im vergangenen Spätsommer eine ganze Palette angekündigt: mehr Verkäufe von Eigentumswohnungen, zusätzlich der Verkauf von eher teuren, aber relativ isoliert gelegenen Objekten an Steuerabschreiber, schließlich eine Ausweitung des möglichen Verkaufs von Wohnungen, die nicht zum strategischen Portfolio gezählt werden. Umgesetzt wurde das bislang nicht. Wohl gibt es aber eine vierte Strategie: das Hereinholen von außerbörslichen Fonds als Anteilseigner für bestimmte Portfolios. Für eine Milliarde hat Vonovia 30 Prozent der Anteile an der Südewo an den US-Investor Apollo verkauft. Dabei behält die Vonovia die Kontrolle über die Bewirtschaftung. Sie muss ihre Mieterhöhungsmaschinerie also nicht verschrotten. Kurz vor der Hauptversammlung wurde außerdem der Verkauf von 1350 Wohnungen in Frankfurt, Berlin und München für 60 Millionen an die CBRE bekanntgegeben. Hier handelt es sich um eher hochwertige Neubauten. Die Vonovia scheint sich auf ihr Kerngeschäft fokussieren zu wollen: die standardisierte Mietenabschöpfung in nicht zu stark abgewirtschafteten, zusammenhängenden Wohnsiedlungen für Arbeiter*innen und Mittelschichten.

In Berlin will die neue Landesregierung aus CDU und SPD auch tausende Wohnungen ankaufen. Ist das für Vonovia, die Mieter und das Land eine Win-Win-Win-Situation?

Wenn der Kaufpreis stimmt, das heißt, wenn er die hohen Wertzuschreibungen der Immobilien wenigstens bestätigt, hilft das der Vonovia, über die Runden zu kommen und ihr Spiel zu Lasten der Mieter und der öffentlichen Haushalte weiter zu treiben. Die von dem Kauf betroffenen Mieter können sich auch freuen, es sei denn, die landeseigenen Wohnungsunternehmen müssen den hohen Kaufpreis durch Mieterhöhungen wieder hereinholen. Das Land zahlt im Vergleich zur Enteignung, die aber unsicherer ist, drauf. Vonovia-Chef Buch verhandelt gerade mit mehreren Kommunen gleichzeitig. Er will nur verkaufen, wenn es sich lohnt. Er betont gern, dass Vonovia nicht getrieben ist. Die beiden großen Deals der vergangenen Wochen geben ihm neuen Spielraum für lukrative Geschäfte mit den Kommunen.

Anstatt Wohnungen durch die öffentliche Hand abzukaufen, gibt es die Forderung der IG Bau, dass der Bund aufgrund des gesunkenen Börsenwerts selbst als Aktionär bei Vonovia einsteigen sollte. Was sagen Sie dazu als Aktionär?

Als Aktionär finde ich das großartig. Wenn eine Kommune zu einem hohen Preis Immobilien kauft, stabilisiert das die Immobilienbewertung. Wenn der Staat 30 Prozent der Aktien erwirbt, stabilisiert das meinen Aktienkurs. Dieser würde wieder in die Höhe gehen. Und auf jeden Fall fühle ich mich sicherer.

Und als Mietervertreter?

Müsste ich die Frage anders beantworten. Ein Einstieg des Staates ändert ja nichts an dem Geschäftsmodell, der Abschöpfung der Miete für die Ausschüttung von Dividenden oder die Bedienung der Kredite. An der Börse gibt es kein ethisches Investment in Immobilien. Das ist ein Grundwiderspruch. Das geht nur jenseits der Börse in einer anderen Rechtsform.

Aber die Dividenden sind doch gar nicht mehr so hoch. Statt 1,66 Euro pro Aktie will Rolf Buch der Hauptversammlung eine Dividende von 85 Cent vorschlagen.

Vorher flossen mehr Mieten an die Aktionär*innen, um ihr Kapital zu verzinsen oder in weiteres Wachstum zu reinvestieren. Jetzt fließt ein höherer Anteil der Mieten in den Abbau und die Umstrukturierung der Schulden, die für den Ausbau der Plattform zur Abschöpfung der Mieten aufgenommen wurden. Am Prinzip der Abschöpfung ändert sich nichts. Nur 25 Prozent der Mieteinnahmen werden für die laufenden Kosten benötigt. Die Mieten sind also zu hoch. Und Überschüsse werden nicht ausreichend für den klimagerechten Umbau, ordentliches Personal und den leistbaren Neubau eingesetzt.

Wird irgendwann der Staat zur Rettung von Vonovia einspringen müssen?

Der Staat springt ja schon ein, etwa durch das höhere Wohngeld, Bürgergeld, Steuervorteile, Heizkostenzuschüsse und KfW-Mittel. Im Herbst hat die Europäische Investitionsbank Vonovia 600 Millionen Euro für energetische Sanierungen bereitgestellt. Der Staat braucht die Wohnungskonzerne für die Versorgung von Menschen mit mittlerem und unterem Einkommen. Er braucht auch deren Kapazitäten für den Neubau. Und er braucht sie für den rechtzeitigen energetischen Umbau der Wohnsiedlungen aus den 50er bis 70er Jahren. Die Erzählung der Vonovia zur Überwindung der derzeitigen Krise lautet: Was kümmert uns die Volatilität der Finanzmärkte, wenn die Megatrends auf unserer Seite sind: Wohnungsmangel, Zuwanderung, die Zunahme kleinerer Haushalte, der Drang in die Städte und der energetische Umbau. Diese zynische Sicht können wir nicht akzeptieren. Gerade wegen des Wohnungs- und Klimanotstandes brauchen wir ein Modell, das diese Immobilien und Produktionsmittel zurückbringt unter öffentliche oder gemeinnützige Kontrolle.

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