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ESC-Finale: Deutschland total lost

Im ESC-Finale gewinnt die Favoritin aus Schweden und Lord of the Lost werden letzte

  • Jens Buchholz
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Schwedin Loreen hat mit ihrer Powerballade »Tattoo« den 67. Eurovision Song Contest (ESC) in Liverpool gewonnen. Sie hatte vor allem die Jurys aus den 37 Teilnehmerländern überzeugt. Damit hat zum siebten Mal ein Teilnehmer aus Schweden gewonnen. Die prominentesten schwedischen Gewinner waren ABBA mit ihrem Hit »Waterloo« im Jahr 1974. Aber auch Loreen schreibt ESC-Geschichte: Sie gewann den ESC als erste Frau zum zweiten Mal. Bereits 2012 stand sie mit ihrem Song »Euphoria« auf dem Siegertreppchen.

Mit sieben Siegen schließt Schweden damit zum Rekordgewinnerland Irland auf, das den ESC ebenfalls schon sieben Mal gewonnen hat. Auf Platz zwei landete der Finne Käärijä mit seinem originellen Dancekracher »Cha Cha Cha«, der nicht nur großen Zuspruch beim Televoting bekam, sondern auch das Publikum in der Liverpool Arena voll im Griff hatte. Dass Loreen und Käärije die Spitzenplätze unter sich ausmachen würden, war ESC-Insidern klar. In den Wettquoten führten sie schon länger. Die israelische Sängerin Noa Kirel landete mit ihrem Dancetrack »Unicorn« auf dem dritten Platz.

Eine bittere Überraschung allerdings war, dass die Hamburger Band Lord of the Lost mit ihrem ansprechenden Heavysong »Blood and Glitter« auf dem 26. und damit letzten Platz landeten. Weder die Jurys noch das Publikum fühlten sich von dem Song angesprochen. Im Vorfeld hatte das Lied in den Wettquoten stets zwischen dem 15. und 20. Platz gelegen, was im Vergleich zu den Vorjahren eine echte Verbesserung gewesen wäre. Es sollte nicht sein. Deutschland setzt seine Serie in den Bottom-Five fort. Die Enttäuschung im deutschen Team war groß. Die Analyse für die Gründe des Debakels setzte sofort nach Ende der Sendung ein. Die beiden Moderatoren des offiziellen NDR-ESC-Podcast Marcel Stober und Thomas Mohr etwa bemängelten die einfallslose Performance der Band.

Verglichen mit der ausgefeilten Choreografie der australischen Band Voyager habe der sehr statisch abgefilmte Auftritt von Lord of the Lost nicht mithalten können. Das eigentlich vorhandene Charisma der Band habe sich so nicht entfalten können. Die Gruppe habe nur zwei Tage geprobt, bemängelten Mohr und Stober, während Acts wie Loreen oder Noa Kirell seit Monaten an jedem Detail ihrer Auftritte feilten.

Lobend erwähnen muss man den Auftritt der Österreicherinnen Teya & Selena, die ihren wunderbaren Song »Who the Hell is Edgar?« grandios performten. Erwartungsgemäß skurril war der Auftritt der kroatischen Band Let 3 mit ihrem Song »Mama ŠČ«. Die Truppe nutzte sämtliche Möglichkeiten, die ihnen die große Bühne und die LED-Wände in der Liverpool-Arena boten. Und am Ende standen sie in Feinrippunterhosen auf der Bühne.

Das ESC-Finale war auch in diesem Jahr wieder Spektakel vom Feinsten. Bühne und LED-Kulissen auf höchsten Niveau, ein großartiger Teilnehmercast und ein umwerfendes Rahmenprogramm. Schon das Eröffnungsvideo mit dem die Sieger des vergangenen Jahres, das ukrainische Kalush Orchestra, von der Kiewer U-Bahnstation Maidan in die Liverpool Arena gebeamt wurde, war umwerfend.

Und der Brite Sam Ryder, der im letzten Jahr zweiter wurde, hatte als Interval Act einen überzeugenden Auftritt mit seinem neuen Song »Mountain«. Ganz groß auch das »Liverpool Songbook«. Ehemalige ESC-Teilnehmer sangen berühmte Songs der Musikstadt Liverpool. Netta aus Israel gab den Achtzigerjahre Hit »You spin me round (like a record)« der Band Dead or Alive zum besten. Und besonders wunderbar war der Auftritt des sympathischen Isländers und Wollpulliriesen Daði Freyr, der »Whole again« von Atomic Kitten auf seine unvergleichliche Weise sang und sichtbar Spaß dabei hatte. Und am Ende sangen alle zusammen »You never walk alone« von Gerry an the Pacemakers. Ergreifend insbesondere deshalb, weil sich der Song vor allem an die Ukraine richtete.

»Ja, der ESC ist politisch«, räumte der deutsche ESC-Kommentator Peter Urban ein. Das ließ sich bei den vielen Solidaritätsgesten an die Ukraine und dem Motto »United in Music« nur schwer leugnen. Auch wenn der Ausrichter des ESC, die European Broadcastingunion (EBU), immer wieder den unpolitischen Charakter der Veranstaltung betonte und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj verweigert hatte, per Videoschalte ein Grußwort zu sprechen.

Auch in den Teilnehmerbeiträgen gab es politische Statements. Der Schweizer Remo Forrer sang mit »Watergun« einen Antikriegssong. Die bizarren Kroaten Let 3 kritisierten offen und bitterböse den belarussischen Präsidenten Lukaschenko. Nicht nur im enigmatischen Text ihres Songs, sondern auch in ihrer Bühnenperformance als Diktatoren mit Atomraketen unterm Arm.

Der European Song Contest ist weit mehr als ein Pop-Spektakel. Im Grunde ist es das einzige Ereignis, das tatsächlich so etwas wie eine positive europäische Identität stiftet. Es entfaltet einen magischen Moment, der ein breites, solidarisches Band von Brexit-UK bis zur Ukraine spannt und das mit einem bunten, von einem weltoffenen Geist getragenen Fest feiert und dabei feste Rituale etabliert hat, wie das gemeinsame Sitzen vor dem Bildschirm und das Fiebern bei der Punktevergabe.

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