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Festival-Präsidentin Iris Knobloch: Was kann Cannes noch?

Das Cannes-Filmfestival beginnt heute – ab diesem Jahr unter der Leitung einer neuen, deutschen Präsidentin. Das ist das erste Mal, dass eine Frau und eine nichtfranzösische Person diesen Posten übernimmt

»Die Deutsche« nennt man sie in Frankreich. Die in München geborene und seit 17 Jahren in Paris lebende Rechtsanwältin und Managerin Iris Knobloch ist die neue Präsidentin des Cannes-Filmfestivals, das an diesem Dienstag beginnt. Für die drei Ausgaben 2023, 2024 und 2025 wird sie neben dem künstlerischen Leiter Thierry Frémaux das Festival betreuen. Dabei ist die bald 60-jährige Iris Knobloch die erste Frau überhaupt an der Spitze der Filmfestspiele von Cannes – und die erste nichtfranzösische Person auf diesem Posten. Im Kontext eines internationalen Festivals spielt die Herkunft eigentlich keine Rolle, aber anscheinend nicht auf dem Boden Frankreichs. Als Knobloch im März 2022 in die Leitung des Filmfestes gewählt wurde, begannen die ersten Anfeindungen.

Vor allem der Direktor des französischen Autoren- und Komponistenverbands SACD, Pascal Rogard, zugleich Präsident der französischen Koalition für kulturelle Vielfalt, organisierte eine Kampagne gegen sie. Eine deutsche Frau an der Spitze des Juwels der französischen Kulturindustrie zu sehen, scheine für den Direktor der SACD ein Unding zu sein, schrieb beispielsweise die französische Tageszeitung »Le Monde«. »Sie hat einen Akzent, den man mit dem Messer schneiden kann«, zitierte »Le Monde« den Direktor Rogard.

Man vergleicht es unwillkürlich mit den hiesigen Verhältnissen. Als die Niederländerin Mariette Rissenbeek und der Italiener Carlo Chatrian 2019 die Leitung der Berlinale übernahmen, hätte solch eine Aussage in Deutschland wohl einen Skandal ausgelöst.

Dass ausgerechnet Knobloch wegen ihres Deutschseins angegriffen wurde, ist bitter. Ihre Familiengeschichte ist in Frankreich wahrscheinlich unbekannt. Sie ist die Tochter der Holocaust-Überlebenden Charlotte Knobloch, seit 1985 Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, die der Deportation ins Ghetto Theresienstadt gerade noch entkam, da eine Hausangestellte ihres Onkels sie auf dem Bauernhof ihrer Eltern versteckte.

Doch nicht nur die Herkunft Iris Knoblochs hat in Frankreich für Kritik gesorgt. Sie hat 25 Jahre in verschiedenen Leitungspositionen bei dem US-Unternehmen Warner Bros. gearbeitet und war vor allem für das Frankreich-Geschäft zuständig, seit 2020 noch als Warner-Geschäftsführerin in anderen europäischen Ländern wie Deutschland, Österreich und der Schweiz. So wird sie von Teilen der französischen Filmszene vielmehr als Vertreterin des US-Kinos wahrgenommen – und von daher mit Misstrauen betrachtet. Dass Cannes für die großen US-Studios nicht die erste Adresse ist, sondern wenn Europa, dann Venedig, hat die Fans des Arthouse-Kinos und der Autoren-Filme jahrelang nicht gestört, ganz im Gegenteil. Doch die französische Regierung, die im Verwaltungsrat des Cannes-Festivals eine starke Position hat, scheint neue Pläne für das Festival zu haben. Sie suchten vor allem jemanden, der sich mit dem internationalen Film-Business gut auskennt und einen Mittelweg finden kann, sodass Cannes zwar Cannes bleibt, aber mit größerer Beteiligung der US-Filmgiganten. So war Knobloch die Wunschkandidatin von Emmanuel Macrons vorherigen Kulturministerin Roselyne Bachelot. »Iris Knobloch hat sich nicht für den Posten beworben, ich war diejenige, die sie dazu ermutigt hat«, zitierte »Le Monde« Bachelot.

Letztendlich wurde Knobloch mit 18 Ja-Stimmen, sechs Nein-Stimmen, drei Enthaltungen und einer ungültigen Stimme für das Amt gewählt. »›Das ist das erste Mal, dass wir eine nicht einstimmig gewählte Präsidentschaft haben und dass der Staat, der bei den Filmfestspielen von Cannes sehr stark vertreten ist, seinen Kandidaten ohne Rücksprache jeglicher Art durchsetzt und die sehr großen Sorgen der Branche ignoriert‹, zeigte sich die SACD besonders empört«, schrieb das Pariser Magazin »Télérama«.

Ob nun mit der neuen Präsidentin große Änderungen im wichtigsten Filmfestival Europas vorgenommen werden, bleibt abzuwarten. Aber ein Blick in das diesjährige Programm lässt jedenfalls kleine Neuerungen erkennen. Dieses Jahr wurden sieben Titel von den 21 Wettbewerbsfilmen von Regisseurinnen gedreht. Das ist ein Rekord, wenn nicht eine Reform – vor allem in Anbetracht dessen, dass Cannes gerade nicht der Ort ist, wo man außer in der Kategorie Schauspielerin oft Frauennamen hört, nicht einmal bei den Kinosälen dort, die nach großen Künstlern wie Lumière, Buñuel, Debussy und Bazin benannt wurden. Erst im Jahr 2022 (!) wurde ein Kinosaal einer französischen Filmemacherin gewidmet, die Salle du Soixantième in Salle Agnès Varda umbenannt. So lange braucht es also, bis eine Änderung in Cannes durchgesetzt wird. Da ist die deutsche Bürokratie im Vergleich sogar schneller!

Zu den Regisseurinnen, die um die Goldene Palme konkurrieren, gehören die Französinnen Justine Triet, Catherine Corsini und Catherine Breillat, die Österreicherin Jessica Hausner und die Italienerin Alice Rohrwacher. Zudem wurden die französisch-senegalesische Filmemacherin Ramata-Toulaye Sy und die Tunesierin Kaouther Ben Hania zum ersten Mal in den Wettbewerb eingeladen. Auch der Eröffnungsfilm »Jeanne du Barry«, der außer Konkurrenz gezeigt wird und von der Liebesbeziehung des französischen Königs Ludwig XV. und dessen Mätresse Jeanne du Barry erzählt, wurde von einer Frau gedreht, der französischen Regisseurin und Schauspielerin Maïwenn.

Bemerkenswert ist außerdem, dass das deutsche Kino dieses Jahr im Programm des Cannes-Festivals gut vertreten ist. Liegt es am internationalen Erfolg des deutschen Netflix-Films »Im Westen nichts Neues« oder doch am Einfluss der deutschen Präsidentin? Jedenfalls zeigt der Regisseur Wim Wenders gleich zwei Titel in Cannes: den in Japan gedrehten »Perfect Days« im Wettbewerb und den Dokumentarfilm »Anselm« über den Künstler Anselm Kiefer in der Nebenreihe »Special Screenings«. Auch die deutsche Schauspielerin Sandra Hüller (»Toni Erdmann«) ist in zwei Wettbewerbsbeiträgen zu sehen: in Justine Triets »Anatomy of a Fall« und im Historiendrama »Zone of Interest« des britischen Regisseurs Jonathan Glazer mit Christian Friedel in der Hauptrolle.

Neben Aki Kaurismäki, Nanni Moretti und Ken Loach gibt es im Wettbewerb auch große Namen aus Hollywood: Allein Wes Anderson bringt mit seinem Film »Asteroid City« Stars wie Scarlett Johansson, Tom Hanks, Tilda Swinton, Margot Robbie, Bryan Cranston, Willem Dafoe und Adrien Brody. Martin Scorseses neues Werk »Killers of the Flower Moon« mit Leonardo DiCaprio und Robert De Niro läuft außer Konkurrenz, ebenso James Mangolds »Indiana Jones and the Dial of Destiny« mit Harrison Ford, Phoebe Waller-Bridge, Mads Mikkelsen und Antonio Banderas.

Eine neue Präsidentin, mehr Regisseurinnen, mehr deutsche Beteiligung und mehr Hollywood: Einiges scheint in Cannes im Wandel zu sein. Die gute alte Frage, ob Film Kunst ist oder Business, kann man leicht beantworten und behaupten: beides. Doch für deren Nebeneinander zu sorgen, ist schwer, wenn das eine das andere ständig ausschließt. Und genau das wird die neue Präsidentin des Festivals in den nächsten drei Jahren herausfordern.

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